Leidenschaft, Ekstase, Konvention

Von Barbara Wiegand · 11.10.2013
Von Walzer bis Rock'n'Roll, im Reifrock oder Lendenschurz, ums Lagerfeuer, am Königshof oder auf der Straße – getanzt haben die Menschen zu allen Zeiten, nur nicht im Museum. Das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden holt das jetzt nach.
Ja – man kann tanzen lernen, im Dresdner Hygiene Museum. Cha Cha Cha - etwa mit dem Ehepaar Fern, die in den 60ern unter dem Motto "Gestatten Sie" erste TV Tanzstunden präsentierten.

Oder den Sirtaki – per Knopfdruck …

Wobei die eigenen Bemühungen auf Wunsch per Video festgehalten werden. Man lernt zu tanzen, lernt aber auch etwas über den Tanz – etwa, dass der vermeintliche griechische Volkstanz eine Erfindung Hollywoods ist, um Antony Quinn in seiner legendären Rolle als Alexis Sorbas vor allzu schweren Schritten zu bewahren…

Eine abwechslungsreich gestaltete Unterrichtsstunde, die den Focus auf unsere vom Klischee bedrohte Faszination für’s Exotische genauso richtet, wie auf die ureigene Lust, sich mit dem Körper auszudrücken. Klaus Vogel, Direktor des Deutschen Hygiene-Museums

"Uns war wichtig, den Tanz in seiner ganzen Breite in den Blick zu nehmen. Vielfach und vor allem im Feuilleton wird Tanz als reiner Bühnentanz gerichtet. Darum geht es uns nicht. Natürlich spielt er eine Rolle in der Ausstellung aber wir wollten auch einen Blick auf die unterbelichteten Formen des Tanzes werfen, der auf der Straße stattfindet, die Grenzen des Tanzes, vielleicht auch Menschen dazu animieren, sich selbst in Bewegung zu setzen und die Unmittelbarkeit des Tanzes als körperliche Ausdrucksform womöglich am eigenen Leibe zu erleben, aber auch etwas darüber zu erfahren."

Die ersten Schritte führen dabei zu Nike – der griechischen Siegesgöttin, die geflügelt und mit beschwingtem dynamischem Schritt Inspiration für Künstler der Antike wie für Sportartikeldesigner war. Kuratorin Colleen Schmitz:

"Also hier die Nike von Samothrake, der Ursprung der Bewegung sozusagen. Über ein Kunstwerk von Rodin, der die antiken Skulpturen wie die Tänze von Louie Fuller angeguckt hat über Louies Serpentinentänze bis hin zur Kühlerfigur von Rolls Royce. Dann bis heute mit dem Markensymbol von Nike, dem Sportartikelhersteller, dieser Swush der geht auch auf die Nike zurück – Nike – Nike…da geht es um den Sieg, den Fortschritt, die Bewegung."

Tanz, das zeigt sich dann auf dem weiteren, reich mit Skulpturen, Alltagsobjekten, kunstvollen Kostümen, mit expressiv von Emil Nolde ins Bild gesetzten Tänzerinnen, mit Filmen, Fotos und interaktiven Installationen bestückten Parcours ist Ausdruck dessen, was uns bewegt und unser Leben bestimmt. Zwischen Himmel und Erde, im Bezug auf Religion, Ritual und Alltag.

Tanz – das ist Leidenschaft, Ekstase, Konvention. Vom Veitstanz bis zum Rave, vom Menuett bis zur Revue. Er spiegelt die Gesellschaft wider – mit ihren Grenzen – und ihren Grenzgängern. Die akribisch unter den Noten einer Gavotte skizzierten Schritte etwa sind Sinnbild einer strengen Choreografie – ganz im Gegensatz zu späteren Stars, die ganz eigene Schritte wagten –

"Wir stellen verschiedene Persönlichkeiten vor, die durch ihre Tänze solche Normgrenzen hinausschieben wollten. Von Nijinski, der mit verschiedenen Genderrollen gespielt hat in seinen Tänzen bis hin zu David Bowie, Grace Jones, Madonna."

Die meisten, die einst aneckten, sind lange schon Kult. Genauso wie das, was Anfangs eine kleine Parkett-Revolution war, heute Standard ist -

"Hier geht es um den Walzer – was als sehr anrüchig empfunden worden ist. Und weil sie wussten, sie konnten es nicht loslassen wurden Regeln aufgestellt. Und es verfolgt die Sachen bis in die Gegenwart. Also es sind Standardtänze. Und beim Rock n Roll mit Elvis the Pelvis der mit dem Mikrofonständer im Fernsehen wie sie es damals nannten einen lasziven Tanz abgehalten hat. Und wie sich das weiterentwickelt mit der Zeit. Jetzt gehen alle drei Generationen zu Konzerten der Rolling Stones – also früher die Bad Boys, die jetzt Generationsübergreifend die Menschen vereinen."

So zeigt die Ausstellung viel vom Tanz, wie er uns und die Welt bewegt – in einer abwechslungsreichen Choreografie, die selten überladen - aber immer sehr lebendig wirkt. Jenseits des bloßen Gimmicks lässt sie uns nicht nur sehen, sondern auch spüren, was Tanz ist – und sein kann.

Etwa im letzten Raum, in dem ein Computerprogramm unsere Schritte von einem Computerprogramm als weiße Linien nachzeichnet – so dass die flüchtigen Bewegungen, die wir zur Trance-Music improvisieren, für einen Moment lang festgehalten werden…als bezaubernde Formationen …