Lehrer

Wie die DDR in der Schule nachwirkt

Schulalltag in der DDR - Schüler im Unterricht an der 6. Polytechnischen Oberschule Karl-Friedrich-Schinkel in Berlin
Schulalltag in der DDR - Schüler im Unterricht an der 6. Polytechnischen Oberschule Karl-Friedrich-Schinkel in Berlin © Imago / Seeliger
Von Susanne Schädlich  · 13.02.2015
Die Härte der Gegenwart lässt die Vergangenheit wieder glänzen: Nicht nur in den Erinnerungen der Alten, sondern auch in den Erzählungen der Lehrer lebt die alte DDR fort, hat die Schriftstellerin Susanne Schädlich beobachtet.
"Wir haben Pech, wir haben noch DDR-Lehrer", sagte kürzlich ein Schüler eines Berliner Gymnasiums. Der alte Mief! Er weht durch die Schulen, besonders in den östlichen Bezirken Berlins und in den neuen Bundesländern.
Nach der sogenannten Wende wurden die DDR-Lehrer in den Schuldienst übernommen, größtenteils ungeprüft. In Berlin allein etwa 15.000. Und nein, das erledigt sich nicht bald biologisch, wie böse Zungen gleich einwenden mögen. Etliche Lehrer sind nämlich erst Mitte/Ende Vierzig. Hatten ihre Lehrausbildung 1990 gerade beendet.
Gar nicht ungewöhnlich also, dass ein Lehrer in Sachsen-Anhalt vom Kollegium, zum großen Teil ehemals SED-Parteigenossen, gemobbt wird, weil er kritisch mit der Geschichte umgehen will.
Oder dass ein Direktor, der eine Lesung durchsetzt, warnt, Lehrer und Erziehrinnen kämen sicher nur in kleiner Zahl. Es sei nach wie vor ein schwieriges Thema, zu viele seien verstrickt gewesen, hätten etwas zu verbergen, zu wenige gingen ehrlich mit ihrer Biografie um.
Gar nicht ungewöhnlich, dass eine Klassenlehrerin jammert, sie führe in den Sommerferien wohl ein letztes Mal in ihr Dorf an der Ostsee, in das sie schon zu DDR-Zeiten gereist sei, noch heute ein echtes DDR-Dorf. In den nächsten Ferien sei es damit vorbei, dort würde gebaut.
Ungewöhnlich auch nicht, dass die Erzieherin im Schulhort Pionierleiterin war – in der DDR waren das an Oberschulen hauptamtlich beschäftigte Funktionäre der FDJ – und sich auch so benimmt.
Aber wer will das schon hören 25 Jahre nach dem Ende der ach so kommoden Diktatur, in der es, mal abgesehen von der Stasi, eigentlich ganz gemütlich war und besonders Pädagogen ein hehres Ziel verfolgten: die Schäfchen zu besseren, will heißen sozialistischen Menschen zu erziehen. Wer aufmuckte, wurde bestraft, war draußen. Raus aus dem Kollektiv.
Ausschluss aus dem "Kollektiv"
Ja, auch solche Vokabeln fallen heute noch. Von diesen ach so edlen Lehrern der einstigen Diktatur, die damals wie heute agieren. An unseren Schulen, mit unseren Kindern.
So ist es ganz und gar nicht ungewöhnlich, dass ein Schüler, der aus der Reihe tanzt, vor die Tür gestellt wird. Klinke von außen hinunterdrücken. Oder in die Ecke. "Gesicht zur Wand".
Ebensowenig ungewöhnlich ist es, wenn, als "Erziehungsmaßnahme", ein Kind aus dem "Kollektiv" ausgeschlossen wird. Vom Wandertag bis hin zu Klassenfahrten. Erziehung à la DDR.
Apropos Klassenfahrten. Mit konstanter Bosheit geht es gen Osten, als gebe es den Westen gar nicht, in "Ferienlager", wo sogar die Straßen Pionierlagerstraße heißen. Die Pädagogen finden sich in der Romantik von einst wieder und sind glücklich.
Was an den Schulen sichtbar wird, ist ein Spiegel dessen, wie es wohl vielerorts aussieht in unserer heutigen Bundesrepublik. Im allgemeinen wird geflissentlich in Political-Correctness-Manier darüber hinweggeschwiegen. Doch die personelle und mentale DDR-Hinterlassenschaft in Institutionen, bei Radio- und Fernsehsendern oder eben in Schulen ist spürbar.
So kommt im Geschichtsunterricht die DDR oft nicht vor – kein Wort von Diktatur, Mauertoten, Mangelwirtschaft. Dafür Geschichten aus dem Alltag: Vom besseren Schulsystem, der großen Solidarität, dem Urlaub an der Ostsee und den vielen Freuden des Alltags – schließlich der Satz "früher war alles besser" – aus Mündern von Lehrern, und zu Hause von den Eltern und Großeltern.
Das wird müde belächelt und als Nostalgiegerede abgetan.
Jedoch: Das ist keine Lippenfolklore, sondern das Substrat der Ideologie eines Systems, das an die nächste Generation weitergegeben wird. Überraschen da noch Sätze wie jener eines jungen Mannes: "Wenn ich an der Grenze gestanden hätte, hätt ich geschossen. Auch wenn es mein Vater gewesen wäre."
Susanne Schädlich, geboren 1965 in Jena, verließ zusammen mit ihren Eltern, dem Schriftsteller Hans Joachim Schädlich und der Lektorin Krista Maria Schädlich, und ihrer Schwester Anna 1977 die DDR. 1987 ging sie in die USA, wo sie mit literarischen Übersetzungen begann. Ab 1993 arbeitete sie u.a. am Max Kade Institute in Los Angeles. 1996 erhielt sie ein Stipendium der University of Southern California und schloss 1999 das Studium der Neueren Deutschen Philologie ab. Danach kehrte sie nach Berlin zurück, wo sie mit ihren beiden Söhnen lebt. 2007 veröffentlichte sie ihren ersten Roman "Nirgendwoher, irgendwohin" (Plöttner Verlag). Es folgten weitere Veröffentlichungen: "Immer wieder Dezember. Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich" sowie "Westwärts, so weit es nur geht. Eine Landsuche" (beide: Droemer). Zuletzt gab sie gemeinsam mit ihrer Schwester Anna Schädlich die Anthologie "Ein Spaziergang war es nicht, Kindheiten zwischen Ost und West" (Heyne) heraus.
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