Lehren aus der RAF-Zeit

"Niemals gegenüber Terroristen nachgeben"

Hanns Martin Schleyers Leiche wurde am 19. Oktober 1977 im Kofferraum eines Autos aufgefunden.
Hanns Martin Schleyers Leiche wurde am 19. Oktober 1977 im Kofferraum eines Autos aufgefunden. © imago/ZUMA Press
Butz Peters im Gespräch mit Nicole Dittmer und Julius Stucke · 25.01.2017
Vor 40 Jahren erlebte Deutschland den Terrorismus der zweiten RAF-Generation. Wie kann eine Gesellschaft auf Terror reagieren - und welche Lehren kann man für heute ziehen? Das fragen wir den RAF-Experten Butz Peters.
"Der heutige Terrorismus unterscheidet sich sehr durch das Motiv", sagt RAF-Experten Butz Peters über den Vergleich von heutigem Terrorismus und dem der RAF vor 40 Jahren. "Damals ging es darum, Repräsentanten des Staates zu töten und zu entführen." Es habe keine Anschläge "gegen die Bevölkerung insgesamt" gegeben.
Bis heute gelte die Devise Helmut Schmidts, so Peters: Niemals gegenüber Terroristen nachgeben. Außerdem dürfe man nicht versuchen, aus den Anschlägen politisches Kapital zu schlagen. Damals hätten alle Parteien zusammengehalten.
(mcz)

Das Interview im Wortlaut:
Julius Stucke: Terrorismus, das ist ein Wort, das ist Teil unserer Gegenwart in den Medien, in der Politik, im Alltag, wir reden sehr, sehr oft über Terrorismus, ein Wort, das, wenn man mal bei Wikipedia nachschaut, gar nicht allgemein akzeptiert definiert werden kann. Es gibt ja auch sehr viele Ausprägungen, es gibt Terror gegen den Staat, aber manchmal auch durch Staaten, es gibt rechten Terror, linken und islamistischen Terror und noch viel, viel, viel mehr.
Nicole Dittmer: Was aber den Terrorismus eint, ist wohl eine Art von Gewalt und der Versuch, Schrecken zu verbreiten, und auch die Frage: Wie kann man als Gesellschaft reagieren, wie kann ein Land, eine Regierung der Bedrohung etwas entgegensetzen? Ähnlich unterschiedlich wie die Arten des Terrors sind vielleicht auch die möglichen Reaktionen. Wir wollen uns daher über konkrete Erfahrungen nähern. Vor 40 Jahren erlebte dieses Land den Terrorismus der zweiten RAF-Generation, 1977, Butz Peters hat gerade ein Buch dazu veröffentlicht, "1977. RAF gegen Bundesrepublik". Einen schönen guten Tag, Herr Peters!
Butz Peters: Guten Tag!
Dittmer: Die RAF war ja nicht nur 1977. Warum haben Sie besonders dieses Jahr gewählt, warum war 1977 entscheidend?
Peters: 77 ist das deutsche Terrorjahr, das Schlüsseljahr, die RAF stellte die Machtfrage. Folgendes war passiert: Bei der ersten Generation wurden die Köpfe gefasst, 1972, im Spätsommer 1972 saßen Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe, Holger Mainz und viele mehr im Gefängnis. Und Baader hatte aus dem Gefängnis heraus unablässig seine Gesinnungsgenossen draußen aufgefordert, ihn zu befreien. Und da hat sich im Jahr 1976 eine Formation gefunden, nämlich Verena Becker, ehemaliges Mitglied der Bewegung 2. Juni, freigepresst durch die Lorenz-Entführung, die war in einem palästinensischen Lager in der Nähe von Aden, und traf dort Baaders Exanwalt Siegfried Haag, und beide kamen auf die Idee, die Offensive 77 zu starten. Das war der Gedanke, durch eine Reihe von Anschlägen den Staat immer weiter weichzuklopfen, damit der Staat am Ende völlig genervt Andreas Baader und Co. laufen lässt. Und da die beiden alleine ja viel zu schwach waren, haben sie Kontakt aufgenommen mit drei kleineren Haufen, kann man sagen, die in Deutschland vom bewaffneten Kampf träumten, und von denen kamen Abgesandte in die Nähe von Aden geflogen in dieses Palästinenserlager, aus Frankfurt, aus Heidelberg und Karlsruhe, das waren die drei Gruppen. Und diese zehn jungen Menschen wurden sich einig, dass sie dem Staat die Machtfrage stellen wollten. Das Interessante war jetzt in der Gesamtschau: Sie fühlten sich stark genug, sie waren fest davon überzeugt, dass ihr Plan aufgehen wird.
Stucke: Er ist ja nicht aufgegangen, wie wir wissen. Sie schreiben nun am Anfang Ihres Buches, das ist keine Geschichte von vor 40 Jahren, sondern eine von 40 Jahren. Warum ist denn diese Geschichte noch nicht so richtig Geschichte?
Peters: Weil, das, was wir wissen über 1977, kann man nicht festmachen ein, zwei, drei Jahre später, sondern das ist ein fortlaufender Prozess. Wir haben innerhalb von 35 Jahren 26 Gerichtsentscheidungen bekommen, die vieles von dem ausleuchten. Die letzte Entscheidung erging im Jahr 2012. Und natürlich ist die prozessuale Wahrheit, die strafprozessuale Wahrheit nicht mit der historischen Wahrheit gleichzusetzen. Aber wir haben eine Vielzahl von Erkenntnissen jetzt mit dazubekommen durch diese Entscheidung, 2012 erging das Urteil gegen Verena Becker, es ist das letzte Urteil, bislang jedenfalls das letzte Urteil, die Richter in Stuttgart haben akribisch aufbereitet die Vorgeschichte, es ist zeitgeschichtlich sehr interessant, sehr wichtig, dies zu lesen. Das ist der eine wichtige Aspekt, und der andere wichtige Aspekt ist, dass die Archivfristen weitgehend verstrichen sind. Also, Urteile und auch Hintergründe, um die ich mich bemüht habe, Dokumente, die vor zehn Jahren noch nicht zugänglich waren, sind jetzt zugänglich gewesen, unter anderem im Hauptstaatsarchiv in Stuttgart, da konnte ich sehr genau nachvollziehen, wie RAF-Mitglieder im Gespräch mit ihren Rechtsanwälten in Stammheim überwacht worden sind.
Dittmer: Und vielleicht ist es auch deshalb noch nicht Geschichte, weil man Lehren aus den Ereignissen von damals heute ziehen kann?
Peters: Ja, das ist schwierig. Wenn man sieht, die heutige Bedrohungslage durch den IS ist eine eigentlich völlig andere Lage, die wir da haben. Damals, schlagwortartig gesagt, könnte man sagen, der Terrorismus war noch überschaubar, der heutige Terrorismus unterscheidet sich doch sehr durch das Motiv. Es ging ja 77 darum, zunächst das Konzept Stadtguerilla umzusetzen, also die Idee, durch eine Avantgarde, die Anschläge macht, die potenziell revolutionären Teile der Bevölkerung zu mobilisieren, Zwischenstation war 77, man wollte die Häftlinge rausholen, das war der entscheidende Punkt, die Gefangenenfrage. In dem anderen Fall geht es praktisch ja um einen Religionskrieg. Die Ziele auch sehr unterschiedlich, Baader träumte ja von einer Revolution, was immer dann kommen sollte, das ist nie gesagt worden. Und auch die Angriffsrichtung sowie die Gefährdungslage sind heute natürlich völlig anders. Damals ging es darum, Repräsentanten des Staates zu töten, zu entführen, betroffen waren mit deren Begleiter, beispielsweise der Fahrer von Buback und auch die Leibwächter von Hanns Martin Schleyer, dem Arbeitgeberpräsidenten. Aber es gab keine Anschläge gegen die Bevölkerung insgesamt. Und wenn Sie an den Anschlag hier in Berlin denken, ist das doch eine ganz andere Gefährdungslage für die Menschen.
Stucke: Ist das trotzdem – weil wir ja nach den Lehren fragen – etwas, was man daraus mitnehmen kann? Also, man hat ja damals darauf sehr heftig reagiert. Würden Sie manchmal sagen, wenn man heute sieht, wie die Sicherheitsdebatte sich entwickelt, wie sofort immer über Sicherheitsgesetze, über neue Regelungen gesprochen wird, über mehr Überwachung gesprochen wird, dass man heute zum Teil auch sehr heftig reagiert und da vielleicht sich manchmal sagen sollte: Moment, vielleicht braucht es ganz andere Dinge, vielleicht sollten wir nicht überreagieren?
Peters: Da haben Sie vollkommen recht. Es gibt glaube ich zwei Grundsätze, die wir von damals auch heute noch beherzigen sollten. Erstens niemals gegenüber Terroristen nachgeben, das hat Helmut Schmidt so gesagt, das war seine Devise bei der Schleyer-Entführung, vom ersten Abend an, also, der Staat darf nicht erpressbar sein. Und der andere wichtige Punkt in dem Deutschen Herbst 1977 war halt die Einheit der Vertreter der demokratischen Parteien, sie haben es verstanden als Angriff auf uns alle, auf unser System, haben zusammengestanden, Helmut Schmidt hat das vorbildlich gemacht, indem er zwei Krisenstäbe – er hat sie genannt Lagen, eine kleine, eine große Lage – hatte, da war die ganze Opposition mit drin. Und damals hat niemand versucht, aus der Entführungslage Schleyer, also 44 Tage Deutschland im Ausnahmezustand, politisches Kapital zu schlagen oder gegenseitige Schuldzuweisungen vorzunehmen. Das war damals gut, damals, 1977.
Dittmer: Sagt Butz Peters, Autor des Buches "1977. RAF gegen Bundesrepublik". Vielen Dank für das Gespräch!
Peters: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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