Leckeres aus dem Parlament

Rezensiert von Brigitte Neumann · 23.12.2007
Insgesamt 52 Politiker steuern für "Das Parlament kocht" ihre Rezepte bei. Von einfachen Gerichten wie zum Beispiel der Frühlingssuppe bis hin zum aufwendigen Saumagen haben sich die prominenten Köche, egal welcher Partei, zu ihrem Lieblingsgericht bekannt. So gibt es statt der immer schlechten Schlagzeilen endlich mal gutes Essen "von oben".
"Merkel kocht Kohl" - Das ist eine Schlagzeile von immenser Sprengkraft! Unglaublich, aber wahr. Sie stammt nicht aus der "Bild" und auch nicht aus der Satirezeitschrift "Titanic". Sondern wir entnehmen diese Tatsache einem Parlaments-Kochbuch. Zugegeben, da steht zwar nur, unsere Kanzlerin koche am liebsten Grünkohl mit Mettwurst – eine rustikale Delikatesse aus dem norddeutschen Brauchtum. Aber der ödipal-kannibalistische Aspekt ihrer Wahl ist offensichtlich. Politik kann schon brutal sein.

Grünkohl sei robust, sagt Angela Merkel

"und scheut den Frost nicht. Es ist ein Gewächs, das etwas wegstecken kann und immer schmackhafter wird."

Die Parallelen zu Merkels Vorgänger sind unverkennbar. Kochen hat ja immer etwas Magisches an sich. Die eigenen Kräfte werden gesteigert durch Einverleibung eines wilden Tieres, von Aphrodisiaka oder symbolisch – des Gegners.

Diese tiefschürfenden Betrachtungen zum Thema liegen nun den wenigsten kochenden Politikern. Da macht der Herr Scholz keine Ausnahme:

"Das Schöne am Kochen ist, dass man schnell gute Ergebnisse erzielen kann – ganz im Gegensatz zur Politik."

Dieser entlarvende Satz hätte das Zeug zum Motto des Kochbuchs. Er stammt von Olaf Scholz, einst SPD-Hoffnungsträger in Hamburg, kurz Innensenator der Hansestadt und in der Rolle des harten Hundes gescheitert. Ein paar Jahre im Off, ist Olaf Scholz heute wieder oben, diesmal in Berlin als Arbeitsminister. Bei ihm soll’s also schnell gehen. Er liebt schnelle Wagen. Schnelle Abnehmkuren. Und so sieht auch das Rezept aus, das er zum Kochbuch beisteuert: Als Finish kippt er eine Schachtel Tiefkühlerbsen an sein auch sonst eher bescheiden wirkendes Lieblingsgericht "Frühlingssuppe".

Renate Künast, die auf dem Kochbuch-Foto bubenhaft zerknautscht lächelt, kocht mit und für Freunde. Dem Einführungstext zu ihrem Rezept darf man entnehmen, dass es sich um ein seltenes Ereignis handelt. Sie empfiehlt: Lamm. Gregor Gysi und Oskar Lafontaine haben es beide mit Paprika – nicht nur wegen der Farbe, betont Gysi!

Insgesamt auf 220 Seiten viel deutsch-regionales. Pfälzer Saumagen – diesmal zum Lieblingsgericht auserkoren von der Grünen Dr. Uschi Eid. Der Hamburger Dirk Fischer liebt Labskaus, Peter Gauweiler aus Bayern isst Reiberdatschi und Hartwig Fischer schenkt uns sein Rezept für Schweinebauch mit Steckrüben.
Der Sternekoch Vincent Klink, der in seinem Restaurant Wielandshöhe in Stuttgart-Degerloch auch am liebsten deutsches Traditionsessen veredelt - Hasenrücken in Blutsauce ist seine Spezialität, er findet es erstaunlich, wofür die 52 Volksvertreter so schwärmen:

"Also, ich kann es nicht glauben, was die da so kochen. Das ist ja so toll. Wenn das so ist, dann ist ja Deutschland dermaßen auf einem Erfolgskurs, was das Kulinarische angeht. Mich freut schon, dass die zu so einem Essen stehen. Dass die sich mit so einem Essen identifizieren. Und auch das veröffentlichen. Das finde ich schon eine tolle Sache. Denn man erinnert sich: Vor ein paar Jahren hat jeder Politiker so tief gestapelt wie es ging. Der eine aß nur Currywürste, der andere nur Spätzle oder sonstigen Handkäs. Und das war offensichtlich chic und man wollte sich zum Volk hinabbegeben, aber irgendwie haben die Politiker gemerkt, dass das Volk gar nicht so tief unten ist wie sie selber. Und deswegen freut mich des sehr, was für schöne Gerichte in diesem Buch drin sind. Auch schön fotografiert. Und die Porträts, also so nette Leute wie die Politiker in diesem Buch, man kann es schier nicht glauben."

Der Fotograf Klaus-Maria Einwanger hat die Mitglieder des deutschen Bundestages insgesamt ausgesprochen appetitlich ins Bild gesetzt. Offenbar beherrscht er nicht nur seine Technik, sondern weiß auch, wie er chronisch gestresste Politiker bei Laune hält.

Eine weniger glückliche Hand hatte der Verlags-Texter Lars Borchert. Die Einführungen zu den Rezepten sind betulich, ängstlich und komplett humorfrei formuliert. Wie schön hätte jeder Politiker sich hier mal als Individuum darstellen können, wenigstens beim Essen mal unkorrekt sein, aus der Reihe fallen, mal was wagen. Den Vogel schießt Gesundheitsminister Seehofer ab, mit dem – sicherlich von sämtlichen Referenten und PR-Beauftragten für korrekt befundenen Satz:

"Eigenständig zubereitete Speisen mit frischen Zutaten sorgen nicht nur für eine vitaminreiche und gesunde Kost, sondern steigern auch die Lebensqualität."

Das könnte der Apotheken-Umschau entnommen sein, der Rezepteseite des Trierer Volksfreunds oder einem Seniorenblatt. Wie kann man über einen der stärksten menschlichen Triebe, einen der sinnlichsten Genüsse so keimfrei und leidenschaftslos schreiben? "Gesangbuchbraves Allerweltsgenöckel" würde Vincent Klinks Freund und Mitautor diverser kulinarischer Grundlagenwerke dazu sagen.
Tatsächlich wollen wir dieses Kochbuch im Atlas-Format mit dem Titel "Das Parlament kocht" doch empfehlen. Die Rezepte stimmen. Sie eignen sich zum Nachkochen. Naja, und in den Kochpausen sorgt das Vorlesen der Politiker-Selbstauskünfte für große Heiterkeit. Es sind Dokumente unfreiwilliger Komik, Dokumente auch des Versagens der Referenten und Berater, denn nun scheint’s so, als seien unsere Volksvertreter selbst noch zu steif, um spontan und frei über ihr Lieblingsessen zu reden.


Ralf Frenzel (Hrsg.): Das Parlament kocht. Was Politiker so anrichten…
Tre Torri Verlag, Wiesbaden 2007