Lebensmittel als Wegwerfprodukt

Von Udo Pollmer · 20.02.2011
Weltweit hungern eine Milliarde Menschen - aber allein in Deutschland werden Jahr für Jahr 20 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Vor allem das Mindesthaltbarkeitsdatum hat sich als Vernichtungsinstrument erwiesen.
Etwa ein Fünftel bis zu einem Drittel aller Lebensmittel landet ungenutzt in der Biotonne. So lauten zumindest die Schätzungen, denn harte Daten fehlen. Die Supermärkte sortieren alles aus, sobald das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist, oder wenn eine frische Lieferung mit Gemüse eintrifft. Da kommt das unverkaufte Grün einfach in die Tonne. Daheim werfen die Verbraucher ebenfalls Nahrungsmittel wie trocken Brot oder Essensreste in ihre Biotonne. Angesichts der Tatsache, dass zahllose Menschen auf unserem Globus hungern, ist das ziemlich beschämend.

Vor allem das Mindesthaltbarkeitsdatum hat sich als Vernichtungsinstrument erwiesen. Viele Menschen sind so verunsichert, dass sie sich nicht mehr auf ihr Näschen verlassen wollen. Die achten lieber auf den Stempel. Und wenn das MHD noch nicht erreicht wurde, essen sie es, auch wenn es verdorben ist. Das MHD war eine Idee unserer Verbraucherschützer, sie wollten damit der Kundschaft überlagerte Ware ersparen. Als Resultat wird nun massenhaft einwandfreie Ware weggeworfen.

Frisches landet am häufigsten im Müll – egal ob beim Handel oder beim Verbraucher. Alles was nicht haltbar gemacht wurde, verdirbt eben schnell. Bisher haben wir gelernt: Frische ist Trumpf. Aus ökologischer Sicht wäre natürlich "haltbar bis zum St. Nimmerleinstag" die bessere Lösung. Aber auch das hat seine Grenzen – Brot vom Vortag lässt der Kunde links liegen. Großbäckereien nutzen das Altbrot, um damit die Backöfen zu heizen. Das mag befremdlich klingen. Aber wenn wir hierzulande Weizen ernten, um daraus Biodiesel herzustellen, stört das anscheinend kaum jemanden.

Die mit Abstand übelste Verschwendung bei Lebensmitteln wird von den Kritikern der Wegwerfgesellschaft leider nicht erwähnt. Es ist die Tatsache, dass am Schlachthof Knochen, Innereien und andere Reste nicht zur Herstellung von Viehfutter genutzt werden dürfen. Der Mensch dürfte sie natürlich essen. Er kann sich aus Knochen eine Suppe kochen oder eine Leber braten. Aber eine Verfütterung an Schweine ist verboten. Für Haustierfutter darf es wieder genutzt werden. Lumpi und sein Herrchen können sich daran ganz legal sättigen, aber die Sau im Stall nicht. Es geht hier nicht um Tiermehl aus Zootieren oder von gefallenen Tieren – nein, um gesundes Speisevieh, das zu Müll ernannt wurde.

Bedenken Sie bitte: Heute wird deshalb etwa die Hälfte des Schlachtkörpers verbrannt. Die Hälfte der gesamten Fleischproduktion löst sich in Rauch auf. Und um dieses wertvolle Eiweiß zu ersetzen, muss der Regenwald dem Soja weichen. Dabei ist die reichliche Fütterung mit Soja oft nicht artgerecht und auch mit Krankheit und Leid verbunden – gerade beim Geflügel.

Der verständliche Wunsch, das Wegwerfen von Lebensmitteln zu vermeiden, hat seine Grenzen. Jedes Gasthaus muss für seine Speisekarte bevorraten. Der Koch weiß aber nicht, wie viele Gäste kommen und was sie bestellen. Da bleibt was übrig. Wenn wir also Nahrungsmittel konsequent verwerten wollen, müssen wir den Menschen vorschreiben, was sie zu essen haben: Die Supermärkte liefern morgens ihre Reste einfach an die Uni-Mensa. Und mittags dürfen die Studenten vor der nächsten Demo zur Rettung des Regenwaldes erst mal essen, was auf den Tisch kommt. Das wäre Ökologie.

Wie wichtig uns die freie Wahl beim Essen ist, zeigen die Erfahrungen der Tafeln – jene Einrichtungen, die ausgemusterte Lebensmittel abholen und an Bedürftige verteilen. Da heißt es dann von Insidern: Manche Vereine, die Küchen für Bedürftige betreiben "holen sich bei den Tafeln großzügig Lebensmittel. Dann passen die Zutaten nicht so richtig zusammen oder sie haben sich verschätzt, und schon landet die Hälfte wieder im Müll." Ja auch bei den Tafeln menschelt es – grad so wie im Edel-Restaurant oder der eigenen Küche. Mahlzeit!

Literatur:
Spiegel Online: Verschwendung – Ein Drittel aller Lebensmittel landet im Müll. 14.10.2010
Deutsche Welthungerhilfe: In Deutschland landen jährlich 20 Millionen Tonnen Nahrungsmittel auf dem Müll. 14.10.2010
Kantor LS: Estimating and addressing America’s food losses. FoodReview 1997; 20: 2-12
Selzer MM: Die Entsorgung von Lebensmitteln in Haushalten: Ursachen – Flüsse – Zusammenhänge. Diplomarbeit, Universität für Bodenkultur, Wien 2010
Schneider F: Lebensmittel im Abfall – mehr als eine technische Herausforderung. Ländlicher Raum, Online-Fachzeitschrift des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft 2009
Engström R, Carlsson-Kanyama A: Food losses in food service institutions Examples from Sweden.
Food Policy 2004; 29: 203-213
WHO Collaborating Centre for Research and Training in Veterinary Public Health, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover: Die (Wieder-)Nutzung von Schlachtnebenprodukten als Futtermittel. Tagung vom 4. Februar 2011.
kraut&rüben Forum: Systematische Lebensmittelvernichtung. http://www.krautundrueben.de/Forum/board_entry.php?id=129969&page=9&order=last_answer&category=all ; retrieved 15.2.2011