Lebendige Antike

13.03.2012
Es ist eines der berühmtesten Gebäude der Welt und das größte erhaltene der römischen Antike: das Kolosseum in Rom, das zwischen 72 und 80 n. Chr. erbaut wurde. Erik Wegerhoff hat sich das Wahrzeichen Roms und seine Geschichte genau angesehen und zeigt, wie das Bauwerk in den Jahrhunderten immer wieder verändert und neu in Szene gesetzt wurde.
Kaiser Vespasian ließ das gigantische "Amphitheatrum Flavium", das mit Abstand größte Theater des Römischen Reiches, nicht nur für "Brot und Spiele" errichten. Es sollte gleichzeitig den in Stein gemauerten Herrschaftsanspruch der Flavier-Dynastie markieren, so der Autor. Seinen heutigen Namen erhielt der Bau erst im fünften Jahrhundert. Etwa gleichzeitig wurden die Gladiatorenkämpfe abgeschafft. Und mit der Beendigung der Kampfspiele trat das ein, was das Kolosseum seither charakterisiert: Funktionslos geworden, musste das Bauwerk immer wieder neu mit Inhalt gefüllt werden. Mal diente es als Wohnraum, mal als Festung.

Und keine dieser Nutzungen lässt Erik Wegerhoff aus. Sein umfassendes Buch ist die schön ausgestattete, gekürzte Fassung seiner Dissertation - ein knappes Drittel der 240 Seiten wird von Anmerkungen und Literaturhinweisen eingenommen. Dennoch liest es sich spannend, was vor allem an den unzähligen Bildbeispielen liegt, mit denen Wegerhoff seine Bau- und Deutungsgeschichte illustriert. Darunter auch Architekturzeichnungen, die barocke Entwürfe für eine Kirche im Kolosseum zeigen. Diese Kirche wurde zwar nie gebaut. Die Skizzen machen aber deutlich, wer sich ab dem 16. Jahrhundert den Bau aneignete: die katholische Kirche, die damals das Kolosseum einfach zum Märtyrerort erhob. Der Vatikan richtete einen Kreuzweg im Amphitheater ein. Der Bau sollte bewahrt werden, nicht seiner Kunstfertigkeit und Größe wegen, sondern als Ort des Triumphes des Glaubens.

Gleichzeitig ließ Papst Clemens XI. allerdings Mist und Dung für die Salpeterproduktion im Kolosseum lagern und Steine als Baumaterial verkaufen. Erste Reinigungs- und Sanierungsarbeiten setzten Mitte des 18. Jahrhunderts ein, als immer mehr Reisende nach Rom kamen. Die Besucher aus Nordeuropa suchten ihr Italien und ihre Antike, wie der Autor anhand zahlreicher gut ausgewählter literarischer Zitate beweist. Das Kolosseum bot zweierlei: eine perfekte Fassade zum Studium der klassischen Architektur sowie malerische, romantische Verfallenheit in einer überwucherten Ruine, wo man den Atem der Geschichte und die Vergänglichkeit und Sinnlosigkeit allen menschlichen Schaffens spüren konnte.

So war es auch nicht erstaunlich, dass es Proteste hagelte, als der junge italienische Nationalstaat, der sich im Rückgriff auf antike Größe definierte, das Kolosseum vom Pflanzenwuchs befreite und die Ruine sicherte. Und heute? Heute steht das Kolosseum machtvoll und isoliert auf dem Präsentierteller - absichtsvoll entrückt aus unserer Zeit, scheinbar für sich selbst und in einer eigenen Sphäre existierend. Auch wieder so eine Inszenierung, die aber genauso viel über unsere Zeit aussagt wie über die Antike selbst.

Besprochen von Günther Wessel

Erik Wegerhoff: Das Kolosseum. Bewundert, bewohnt, ramponiert.
Wagenbach-Verlag, Berlin 2012
240 Seiten, 24,90 Euro
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