Leben und Vergänglichkeit

Von Anke Schaefer · 07.12.2011
Die Arbeiten der Malerin Bettina van Haaren erschließen sich nicht auf den ersten Blick. Es sind weder klassische Porträts noch Aktstudien: Die Körper, die sie malt, zerfallen oft in einzelne Teile. Daneben sind Dinge des Alltags zu erkennen - und immer Tiere.
Ein Tisch, darauf ein Stuhl, darauf die Malerin. Von einer Schnur hängt ihr ein Spiegel auf Augenhöhe gegenüber. Strawinsky erklingt aus einem stahlblauen, mit bunten Farbtupfern besprenkelten CD-Player zu ihren Füßen. Was - tut sie hier?
"Das ist ein inzwischen lebenslanger Prozess der Selbstsuche und der Selbsterkenntnis - es ist ein Versuch, immer wieder meine Wahrheit zu finden."
In ihrem großen Atelier in Witten bei Dortmund baut Bettina van Haaren aus Tischen und Stühlen kleine Gerüste, um an ihren über zwei Meter hohen Leinwänden arbeiten zu können. Sie malt sich selbst.
"Ich bewege mich in diesen Bildern, es ist wie ein Spiegelbild, wie ein Gegenüber. Ich bin dann immer wieder verwundert, dass die Menschen sagen, so siehst du doch aber gar nicht aus. Und ich sage, das entspricht ja tatsächlich nicht ganz dem Bild, aber ich bin den Bildern oft näher als dem Spiegelbild."
Wie aber sehen "die Bilder" aus? Es sind Collagen. Sie zeigen Teile von Tier- und Menschen-Körpern neben Alltagsgegenständen, zum Beispiel Topflappen, Fahrradschläuchen, Plastikschüsseln oder Löffeln. Bettina van Haaren steigt vorsichtig ab, vom Gerüst. Wir gucken das Bild, vor dem sie gerade saß, gemeinsam an.

Da liegen zwei Leoparden übereinander. Sie ergeben auf der großen weißen Leinwand eine Art Kreuz. Unten links im Bild: Teile einer knallblauen Lackfolie. Und rechts neben den Tieren: eine Frauenfigur, aber nur fragmentarisch, nur der Oberkörper. Zwei Hände an maßlos langen Oberarmen greifen einen lebensgroßen Kopf. Die Künstlerin guckt durch ihre randlose Brille kritisch hoch, auf die Leoparden, - auf den Kopf, der männliche Züge trägt und doch sie selbst darstellt.
"Ich bin da nachher ganz dicht dran und sage - das bin ich, in meinen Bildern."
Bettina van Haaren hat mehrere schwarze Pullis übereinander an, eine schwarze Hose, weiße Turnschuhe. Es macht ihr hörbar Spaß, über ihre Kunst nachzudenken. Geboren ist sie 1961 in Krefeld, 26 Jahre lebte sie im Saarland, seit 2000 hat sie eine Professur für Zeichnen und Druckgrafik an der Technischen Universität Dortmund. In ihrer Familie waren die Vorfahren und Eltern Lehrer oder Banker.
"Bisschen verstört sind sie immer noch, was da raus kommt. Weil das ja keine Dekorationsbilder sind. Ich glaube, da wünschten sich einige immer noch, dass es mehr schmückend ist, was ich tue. Diese Aufforderung zur Auseinandersetzung, zur Reibung, wirklich radikal hinzuschauen, das ist für eine kunstferne Welt wahrscheinlich nicht zu leisten."
Die Auseinandersetzung mit diesen Bildern ist aber manchmal auch für die Kunstwelt offenbar nicht zu leisten. Auf Vernissagen gucken manche Kunstfreunde mit Abscheu zum Beispiel auf die immer wieder kehrenden übergenau gemalten nackten Beine. Warum muss da jede Vene unter der dünnen, ältlichen Haut so genau dargestellt werden? Will Bettina van Haaren provozieren?
"Also, ich sehe ein bläuliches oder türkises Geflecht von Adern in meiner Haut, wodurch ein wunderbarer Kontrast zustande kommt zwischen rosa, orange, bräunlichen Tönen mit diesen türkis- grün. Ich sehe auch, wenn ich genau hingucke, einen Körper, der tatsächlich ein Leben schon hinter sich hat, die ersten Jahrzehnte und ich gucke trotzdem genau hin und entdecke darin die Schönheit."
Bettina van Haaren hat über die Jahre in etlichen Galerien und Institutionen ausgestellt, Preise und Stipendien gewonnen, aber den Kunstmarkt empfindet sie als hart. Zum Glück gibt ihr die Professur an der TU Dortmund die Freiheit, ganz unabhängig genau das zu malen, was in ihr ist - Leben und Vergänglichkeit:
"Vielleicht ist da auch ein gewisser Trotz, dass ich sage, warum eigentlich irgendjemandem gefallen? Ich versuche, so nah wie möglich an allem zu sein. Und ich kann sagen, dass ich nie etwas tue, was mich selbst abschreckt. Sondern ich liebe tatsächlich alles, was ich male! Es gehört zum Leben dazu, dass es auch Verfallsprozesse gibt."
Wir wandern durch das Atelier. Gucken jetzt die Bilder an, die aneinandergelehnt an einer Wand stehen. Es sind innere Bilder, die Bettina van Haaren malt. Bilder, die auch aus einer Traumlandschaft stammen könnten. Der Körper ist in all seiner Gebrochenheit immer das Zentrum des Bildes.

Oft braucht sie Monate, bis sie weiß, welche Gegenstände sie ihm zur Seite stellen möchte, oder welches Tier. Es sind nicht nur Leoparden, die Bettina van Haaren faszinieren, sondern auch Pferde, schwarze Schafe und weiße Lämmchen oder borstige Wildschweine. Ihre Tiermodelle bekommt sie aus der einzigen europäischen Tierpräparationsschule, die sich zufällig gerade hier in der Nähe von Witten, in Bochum befindet:
"Und diese verleiht oder verkauft mir sehr schöne Tiere, weil alles, was ich male, möchte ich direkt erfühlen, erschauen, inszenieren. Ich kann nicht frei erfinden, ich möchte den Dingen so sehr auf den Grund gehen, dass ich alles vor mir haben muss. Und deswegen bin ich sehr beglückt, dass diese Tierwelt auf mich zugekommen ist."
Aus der Tierpräparationsschule hat sie auch den Leoparden. Sie hebt den Arm und zeigt auf das wunderschön gemusterte Fell, das auf der Leinwand glänzt, vor der wir jetzt wieder stehen. Sie nimmt den Stuhl vom Tisch und macht aufmerksam auf jedes gemalte Härchen, jedes hat seine eigene Qualität.

Je länger man guckt, desto mehr sieht man. Die Collage vom Tier, von der blauen Plastikfolie und vom halben Frauenkörper wird immer rätselhaft bleiben, hat aber gleichzeitig etwas Erhabenes, Starkes, ganz Eigenes. Bettina van Haaren wird diese malerische Selbsterforschung weiterführen:
"Noch habe ich das Gefühl - es ist noch einiges zu sagen - und das ist das schönste, was es gibt vom Gefühl her! Ja, das muss ich so sagen."

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