Leben mit Hartz IV

Von Tonia Koch · 03.01.2006
345 Euro zahlt der Staat seinen Bürgern , wenn sie länger als ein Jahr ohne Arbeit sind. Und viele haben Mühe, damit über die Runden zu kommen. Denn die meisten verfügen über keinerlei finanzielle Reserven und geht die Waschmaschine kaputt, so muss auch der Ersatz von den 345 Euro bestritten werden. Möbel- oder Kleiderbörsen und auch die Ausgabestellen für Lebensmittel haben Konjunktur in Deutschland. Immer mehr Menschen sind auf Almosen angewiesen.
Rund um die Grundschule im saarländischen Altenwald harkt Franz-Josef Landry Laub zusammen. Der gelernte Maurer, seit Jahren arbeitslos, würde gern was anderes machen, doch das lassen die Bestimmungen für die so genannten Ein-Euro-Jobs nicht zu.

Landry: "Wir dürfen nur Laub harken, Schnee kratzen und für die Leute Umzüge machen. "

120 Euro verdient er im Monat hinzu. Geld, auf das er angewiesen ist.

Landry: "Davon leben wir, das dient als Notgroschen, dann kommt mein Sohn, der braucht Kleider, da ist man froh, wenn man diese 120 Euro hat. "

Franz Josef Landry lebt mit Ehefrau und Sohn in einer so genannten Bedarfsgemeinschaft. Das heißt vom Arbeitslosengeld II stehen ihm monatlich 90 Prozent des Regelsatzes zu. Die Regelleistung für einen erwerbsfähigen Erwachsenen beträgt in den westlichen Bundesländern 345 Euro im Monat. Und 90 Prozent davon, das macht 311 Euro. Sie müssen reichen für Essen, Kleidung, Strom, Haushaltsbedarf und fürs Busfahren, die U-Bahn oder den Vorortzug. Damit lässt sich nicht auskommen sagen Wohlfahrtsverbände und Beratungsstellen.
Warum es nicht geht, erläutert der Vorsitzende der saarländischen Armutskonferenz Egbert Ulrich an einem Beispiel.

Ulrich: "Das Arbeitslosengeld II, 3 Euro 74 am Tag, die sie zum Leben haben und wovon sie auch noch die Verkehrsteilnahme gewährleisten sollen, das langt nicht. Wenn sie im Landkreis Saarlouis von irgendeiner Stadt aus nach Saarlouis aufs Amt fahren, dann dürfen sie den ganzen Tag nichts mehr essen. "

Der Paritätische Wohlfahrtsverband vertritt deshalb die Auffassung, dass die Regel-Leistungen für Arbeitslosengeld-II-Empfänger um mindestens 19 Prozent angehoben werden müssten. Doch diese Forderung stieß weder bei der alten noch stößt sie bei er neuen Bundesregierung auf Gegenliebe. Im Gegenteil. Der Vorstand der Wuppertaler Beratungsstelle Tacheles, Harald Thomé, wurde vom ehemaligen Arbeitsminister Clement sogar der "Beihilfe zum Betrug" bezichtigt, weil er den Betroffenen dabei behilflich ist, die Möglichkeiten, die das Arbeitsmarktgesetz bietet, zu ihrem Vorteil zu nutzen. Die augenblicklich geführte öffentliche Diskussion – so Thomé - laufe völlig schief.

Thomé: "Die Betroffenen werden verantwortlich gemacht, sie werden als Missbraucher dargestellt, und das ist nicht in Ordnung. Also, ich mache seit 13 Jahren Beratung und habe in den 13 Jahren kaum jemand erlebt, dem es Spaß macht, zur Behörde hingehen zu müssen, und quasi um Lebensunterhaltssicherung betteln zu müssen. "

Es sei ein Ammenmärchen zu glauben, Langzeitarbeitslose und Sozialgeldempfänger könnten sich mit Hilfe der staatlichen Leistungen wohlig einrichten. Da sind sich die Berater von karitativen Einrichtungen und Wohlfahrtsverbänden einig. Reinhard Schmitt von der freien Beratungsstelle Paedsak am Saarbrücker Wackenberg.

Schmitt: "Man kann mit so wenig Geld vielleicht auskommen für ein paar Monate, aber wenn man einen längeren Zeitraum damit auskommen muss, dann ist man arm, dann lebt man in Armut. "

Seit fünf Jahren verteilt Helga Kneppeck Brot, Wurst, Gemüse, Joghurt an Menschen, die es nötig haben. Wer seine Bedürftigkeit nachweist, kann bei der Saarbrücker Tafel für einen Euro Lebensmittel erstehen. Der Kreis der Bedürftigen wächst beständig.

Kneppeck: "Die Armut wird immer größer, wir haben sehr viele junge Leute jetzt dabei, die ihre Arbeit verloren haben und jetzt von Hartz IV leben, das ist schlimm. "

Die Tafel sammelt beim Handel, der Gastronomie in Bäckereien ein, was an frischer Ware nicht verkauft werden konnte und verteilt es. Für viele ist das Warenangebot die einzige Möglichkeit, sich ausreichend zu ernähren.

"Ich hab’ gesagt große Familie, da hat sie mir noch ein Brot in die Tüte gemacht. "

Der Familienvater hat lange gezögert und musste sich erst überwinden, um hier her zu kommen.

"Ganz schlimm am Anfang, aber ich brauch das, die Familie... "

Er ist nicht allein, über 100 Menschen harren geduldig in der Kälte aus.

"Ich habe jetzt Hartz IV, ich habe jetzt 220 Euro zum Leben. Mann kann es drehen wie man will, es geht überhaupt nicht. Man kann es probieren, aber am 20. hast du nichts mehr und dann stehst du da und kaust an den Fingernägeln.
Ich bin froh, dass es das überhaupt gibt, sonst stünde ich ganz schön auf dem Schlauch mit 325 Euro im Monat. Vier Kinder zu Hause und auch Hartz IV. Und ich bin auch ganz froh, dass es das gibt. Zum Ende des Monats ist es immer ganz praktisch, wenn man einmal die Woche hier hin gehen kann. Wenn es auch vielleicht kein Fleisch gibt, es gibt Wurst und das ist nicht verkehrt. Für die Leute, die es nötig haben, ist es ein Hilfsmittel für den Haushalt, um die Kosten zu senken, um nicht plötzlich Mitte des Monats ohne Geld dazustehen.
Ich habe auch Familie, habe auch zwei Kinder und Hartz IV. Und das reicht halt eben nicht aus, beim besten Willen nicht, es geht einfach nicht. "

Franz-Josef Landry schiebt derweil seinen Einkaufswagen an den Regalen eines deutschen Discounters vorbei. Die 120 Euro, die ihm sein Ein-Euro-Job über den Regelsatz nach Hartz IV einbringen, entspannen seine Lage ein wenig. Aber auch für ihn gilt.

Landry: "Wenn wir einkaufen, immer nur das Billigste; das Frischfleisch, das muss ich stehen lassen. "

Der in jeder Werbesendung angepriesene Markenkaffee bleibt ebenfalls im Regal.

Ganz vorn an der Kasse, da gönnt sich Franz-Josef Landry zwei unbespielte Videokassetten.

Landry: "Ich nehme freitags die indischen Filme auf, das sind Liebesfilme, die sind sehr interessant, da fängt man an zu heulen. "

Irgendwie muss er sich die Zeit vertreiben, denn die Arbeit für die Caritas in Altenwald füllt ihn nicht aus. Die Sozialarbeiterin Silvia Hapermann zählt Franz-Josef Landry zu jenen zehn bis 15 Prozent ihrer Klientel, die in der Lage wären, ohne Integrationsmaßnahmen einer festen Beschäftigung nachzugehen. Wenn der Arbeitsmarkt dies hergäbe.

Hapermann: "Der Herr Landry hätte gute Chancen, scheitert m. E. aber an der mangelnden Mobilität und daran, dass er gar keine Chance bekommt, gar keinen Einstieg. "

So bleibt der erste Arbeitsmarkt für Franz-Josef Landry verschlossen. Und eine Antwort oder vielleicht eine Eingangsbestätigung auf seine unzähligen Bewerbungen bekommt er in den seltensten Fällen. Allenfalls ein Minijob oder vielleicht eine Beschäftigung im Niedriglohnsektor scheinen erreichbare Ziele. Doch Silvia Hapermann zweifelt daran, dass die Betroffenen auf Dauer in solchen Jobs verbleiben oder überhaupt zugreifen.

Hapermann: "Weil, die Arbeit, die sie machen könnten, so schlecht bezahlt wird, dass sie mit regulärer Arbeit nicht viel besser dastünden als jetzt, so, wie sie sich eben eingerichtet haben. "

Wer sich auf einen längeren Zeitraum in der Arbeitslosigkeit eingerichtet hat, der ist häufig immobil, besitzt kein Auto und vielfach keinen Führerschein. Eine Monatskarte für den öffentlichen Personennahverkehr ist zu teuer. Erreichbar ist der Betroffene ebenfalls äußerst unregelmäßig. Und zwar dann, wenn Geld übrig ist, um eine Karte fürs Handy zu erstehen. Der Festanschluss fürs Telefon ist längst abgemeldet. Und viele müssen umziehen, ebenso wie Franz-Josef Landry.

Landry: "Vorher hatte man noch Arbeitslosenhilfe bekommen, da hatte ich eine Wohnung von 120 m². Diese hat mich 550 Euro warm gekostet. Seit das Hartz IV gekommen ist, hab’ ich die Wohnung verlassen müssen. Ich hätte auf alle Fälle ein Schreiben bekommen, dass ich raus muss, deshalb bin ich lieber freiwillig gegangen, hab’ meine Koffer gepackt und bin nach Sulzbach in eine 75 m² -Wohnung gezogen. "

Die Miete für die neue Wohnung inklusive Heizkosten beläuft sich auf 330 Euro. Exakt soviel darf sie laut Arbeitslosengeld-II-Bescheid auch kosten. Für Strom muss Franz-Josef Landry selbst aufkommen. Und weil er schon über einschlägige Erfahrung verfügt, hat er die Forderung der Stadtwerke über seine Stromkosten von vorneherein an die Behörde abgetreten.

Landry: "Da kommt man nie in "Starwenzel" hinein, dass man das Geld ausgibt, verpfeffert. Weil, ich habe ein Kind und ich kann mir nicht leisten, dass sie den Strom abdrehen, ich bin darauf angewiesen, weil ich ein Kind habe. "

Der erzwungene Wohnungswechsel ist erneut eine spürbare Einschränkung seiner Lebensqualität. Er muss sie hinnehmen. Und es wird voraussichtlich nicht die letzte sein, denn wie alle Ein-Euro-Jobs, ist auch der von Franz-Josef Landry befristet.
Wer beständig Abstriche an der Lebensqualität vornehmen müsse, der füge sich und könne durch weiteren finanziellen Druck nicht mehr dazu bewogen werden, eine niedrig bezahlte Tätigkeit anzunehmen. Davon ist die Sozialarbeiterin Silvia Hapermann überzeugt. Nur wenn die Aussicht bestünde, dass sich an der Situation grundlegend etwas ändere, seien die Menschen dazu bereit. Integration in den regulären Arbeitsmarkt müsse für die Betroffenen auch heißen, wieder in die Gesellschaft integriert zu werden.

Hapermann: "Das Selbstwertgefühl, das zählt extrem viel, dafür wären viele bereit, eine Arbeitsstelle anzunehmen und auch sich weiterzubilden. Also, anders als für uns. Für uns ist eine Weiterbildung fast eine Selbstverständlichkeit. Aber für die ist das ganz viel Energie und auch ganz viel Einringung ihrer Persönlichkeit, wenn sie das machen."

Vor allem jene, die irgendwann einmal aus dem Arbeitsprozess ausgeschieden sind, weil ihr Arbeitsplatz wegrationalisiert worden ist, hätten eine Vorstellung davon, was es bedeute, dazu zu gehören. Das gilt zum Beispiel für Markus Schröder. Er hatte einen gut dotierten Zeitvertrag bei einem namhaften Automobilzulieferbetrieb. Seit März ist er arbeitslos. Der befristete Vertrag wurde nicht verlängert. Im vergangenen halben Jahr hat er bereits damit angefangen, seine Bedürfnisse zurückzuschrauben. Essen gehen mit der Freundin ist gestrichen, das Handy bereits abgeschafft und statt Zigaretten raucht er inzwischen Selbstgedrehte. Nur an einem will er festhalten.

Schröder: "Der einzige Luxus, den ich zu hause noch habe, ist mein Computer, mein Internet-Anschluss, den möchte ich behalten. Da kann man mit anderen kommunizieren und nach Arbeit suchen, das möchte ich nicht missen. "

Trotz guter Voraussetzungen beurteilt der seit Jahren in sozialen Fragen beratend tätige Reinhard Schmitt die Chancen des knapp 30-Jährigen skeptisch.

Schmitt: "Von der Ausbildung her geht das, der hat gearbeitet, hat gute Zeugnisse. Das ist der typische Fall, es gibt zu wenig Arbeitsstellen. Würde es sie geben, würde er arbeiten. Und je länger der Bezug von Arbeitslosengeld II für ihn dauert, umso wahrscheinlicher ist Verarmung und umso schwieriger wird es später werden, auf dem regulären Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen. "

Besonders diejenigen, die vorher gut verdient hätten - so Schmitt - hätten enorme Problem sich an die neue Situation mit Arbeitslosengeld II zu gewöhnen. Nicht zuletzt deshalb sei der Staat bereit, den so genannten "Armutsgewöhnungszuschlag" zu zahlen. Die Zuschläge belaufen sich monatlich auf höchstens 160 Euro im ersten und 80 Euro im zweiten Jahr.

Schmitt: "Das ist im Prinzip diese Treppchenbildung: Von Arbeit, dann Arbeitslosengeld I mit 67 oder 63 Prozent wie auch immer, dann ALG II plus Zulagen und dann reines Arbeitslosengeld II und dann ist man, wenn man Einzelperson ist, bei 345 Euro im Monat. "

Bei Franz-Josef Landry hat der Gewöhnungseffekt längst eingesetzt. Trotzdem hat er im Moment große Sorgen. Die Waschmaschine ist kaputt. Und von den 311 Euro kann er sich keine neue leisten. Er wendet sich an Heiner. Dieser führt einen An- und Verkauf in seinem neuen Wohnort Sulzbach.

Heiner/Landry: "Guten morgen, ich such eine Waschmaschine, hast Du eine billige? Oh, im Moment nicht, ich kann mal durchsehen, manchmal geben Leute Zettel ab, das sie welche abzugeben haben, aber im Moment gar nichts, da ist nichts zu machen. "

Auch die Möbelbörse gegenüber hat kein Angebot. Jetzt heißt es, auf eine Gelegenheit warten. Theoretisch sollten von den 345 Euro Regelleistung 49 Euro pro Monat für solche Fälle angespart werden. Die Betroffenen sollten mehr Eigenverantwortung üben und lernen, mit ihrem Geld zu haushalten. Deshalb hat der Gesetzgeber die Extra-Finanzierung von Sachleistungen abgeschafft.
Bis vor einem Jahr hatten die Sozialämter die Möglichkeit, im Einzelfall den Bedarf an Extrawünschen, vornehmlich Hausratsgegenstände, zu prüfen und zu finanzieren. Nach der neuen Regelung sind die Ausgaben für Bekleidung, Renovierung, Hausrat, besondere Anlässe wie Weihnachten oder Hochzeit, mit 49 Euro pro Monat pauschaliert. Doch viele Arbeitslosengeld-II-Bezieher sind damit überfordert.
Zu sparen gibt es nichts, Geld das man hat, geht in den Konsum. Harald Thomé:

"Ich halte die Bestimmung mit den einmaligen Leistungen für erheblich besser. Wenn eine individuelle Notlage vorgelegen hat, konnte die gedeckt werden. Und sie hat auch vielmehr dem Sozialstaatsprinzip und der Menschenwürde entsprochen. "

Wie schnell Franz-Josef Landry eine Waschmaschine bekommt, wird vom Zufall abhängen und von seinem Organisationstalent. Mit Hilfe des Ein-Euro-Jobs könnte er eine gebrauchte Waschmaschine augenblicklich finanzieren. Noch besitzt er einen Notgroschen. Aber wie lange noch. Eine nochmalige Verlängerung seines Ein-Euro-Jobs wird es kaum geben, denn die Nachfrage danach ist extrem hoch. Er wird also alles daran setzen, in den regulären Arbeitsmarkt zurück zu finden.

Landry "Ich mach alles. Reinigungsarbeiten, wenn es sein muss, auch Klos putzen, Hauptsache Arbeit. "

Doch selbst der Chef der Bundesagentur für Arbeit glaubt nicht daran, dass Menschen wie Franz-Josef Landry eine Chance bekommen werden.

Weise: "Selbst wenn die Konjunktur wieder anspringt, wird es für wenig qualifizierte Menschen oder auch für Ältere keine Angebote geben. "

Ohne Perspektive auf dem ersten Arbeitsmarkt wird auch Landry in die Schattenwirtschaft abgleiten.

Landry: "Was sollen die Leute denn machen mit Hartz IV, die müssen doch schauen, wie sie zu Geld kommen, wenn ich könnte, würde ich auch schwarz arbeiten. "