Leben in der Spannung der Gegensätze

Von Rainer Pöllmann · 10.03.2005
Gut möglich, dass sie genervt ist von den Fragen nach ihren asiatischen Wurzeln: Unsuk Chin, 1961 in Seoul geboren, seit Mitte der 80er Jahre in Europa lebend. "Was mich furchtbar stört", so sagt sie, "ist die Tatsache, dass man als Komponistin, die aus Ostasien stammt, automatisch mit dem Klischee von ostasiatischer Musik behaftet wird und dann Erwartungshaltungen enttäuscht."
Diese Erwartungshaltung hat sie tatsächlich gründlich enttäuscht, seit sie 1985 nach Deutschland kam. Zunächst, um in Hamburg bei György Ligeti Komposition zu studieren. Und dann in Berlin, wo sie sich schnell als eine der originellsten und wichtigsten Komponistinnen einen Namen machte.

Sie hat ihre koreanischen Wurzeln nie verleugnet. Ausdrücklich hat die Komponistin darauf hingewiesen, dass sie gleichermaßen von der Ausbildung in Korea wie dem Studium in Hamburg geprägt worden sei. Dass sie zu György Ligeti nach Hamburg ging, war konsequent. Als einer der Komponisten beschäftigte sich Ligeti damals ernsthaft mit außereuropäischen Musikkulturen. Die Art, wie sie einen einzelnen Ton als Klang begreift, wie sie Klänge mit Bedeutung und Leben erfüllt, ist geprägt von der asiatischen Musiktradition. Wie ein fließendes Kontinuum gleiten die Klänge dahin.

Das Eigene seiner Kultur zu bewahren, ohne dem Klischee anheim zu fallen, das ist heute vielleicht noch ein bisschen schwerer geworden als früher. In einer globalisierten Musikwelt, mit Weltmusik, deren Klänge jederzeit an allen Orten abrufbar bereit stehen, zur gefälligen Benutzung. Eigentlich ist es eine unmögliche Herausforderung: ein multikulturelles Komponieren, das sich nicht im "Exotischen" erschöpft. Unsuk Chin hat sie bewältigt. Ihre Musik ist zart und energiegeladen gleichermaßen.

Unsuk Chin: Fantaisie mécanique

Seit 1988 lebt sie in Berlin. Vor zwei Jahren war sie Composer in Residence beim Deutschen Symphonie-Orchester Berlin. In dieser Zeit entstand auch ihr Violinkonzert, für das sie die höchste, jedenfalls die höchst dotierte Auszeichnung erhielt, die die klassische Musikwelt auf Erden hienieden vergibt: den Grawemeyer Award, dotiert mit 200.000 Dollar. Der Schönberg-Preis kann da natürlich finanziell nicht mithalten, aber er dokumentiert eine außerordentlich enge und von persönlicher Freundschaft geprägte Zusammenarbeit zwischen Kent Nagano, dem Künstlerischen Leiter des DSO und der Komponistin. Zwei Seelenverwandte haben sich da getroffen. Und so rundet sich nach dem großen Erfolg mit dem Violinkonzert nun mit dem Schönberg-Preis auch in gewisser Weise ein Kreis. Und schon vor ihrer Zeit beim DSO war Unsuk Chin auch Composer in Residence beim Festival UltraSchall, dem Festival für neue Musik von Deutschlandradio Kultur und dem RBB.

Heute ist Unsuk Chin nicht nur in Korea und Deutschland, sondern überall auf der Welt ein gern gesehener Gast. Vor allem in Paris, beim Ensemble Intercontemporain, für das sie einige wichtige Ensemblewerke schrieb. Aber auch in Amerika, wo sie für die Los Angeles Opera ein neues Werk schreibt.

Die Spannung zwischen Ordnung und Chaos - das ist ihr kompositorisches Grundthema. Und wie sie es ausführt, das ist ganz einzigartig. Ihre Musik schillert, vibriert, und changiert in den verschiedensten Farben. Die klangliche Fantasie von Unsuk Chin ist berückend. Es ist ein Schauspiel für die Ohren, das Unsuk Chin bietet.

"Meine Musik", so sagt sie, "ist die Abbildung meiner Träume. Die Visionen von immensem Licht und von unwahrscheinlicher Farbenpracht, die ich in allen meinen Träumen erblicke, versuche ich in meiner Musik darzustellen als ein Spiel von Licht und Farben, die durch den Raum fließen und gleichzeitig eine plastische Klangskulptur bilden, deren Schönheit sehr abstrakt und auch distanziert ist, aber gerade dadurch unmittelbar die Gefühle anspricht und Freude und Wärme vermittelt."