Lea-Lina Oppermann: "Was wir dachten, was wir taten"

Angstschweiss und Ungewissheit

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Leere Schulzimmer - Lea-Lina Oppermann beschreibt in ihrem Roman die Ausnahmesituation eines Amoklaufs © Beltz Verlag
Von Sylvia Schwab · 23.08.2017
Die Durchsage platzt mitten in eine Mathe-Klausur der Oberstufenklasse: Amokalarm! Der Schulroman von Lea-Lina Oppermann widmet sich dieser Ausnahmesituation, die unsere Kritikerin faszinierend beschrieben findet. Die Spannung hält bis zum Schluss.
Schulen sind kleine, in sich geschlossene gesellschaftliche Systeme, und sie sind nicht besser als ihre Schüler oder die Gesellschaft, in der sie verankert sind. Darum sind Romane, die in der Schule spielen, so realistisch – und halten der Gesellschaft den Spiegel vor. Lea-Lina Oppermann hat mit "Was wir dachten, was wir taten" einen Schulroman geschrieben, der nur 143 Minuten umfasst.

Panik und purer Horror

Die Durchsage platzt mitten in eine Mathe-Klausur der Oberstufenklasse: Amokalarm! Der Lehrer ordnet das Schließen der Tür an, Verwirrung kommt auf, erste Renitenz, Panik. Ein weinendes Kind vor der Tür wird nach langer Diskussion eingelassen, es folgen 143 Minuten purer Horror. 143 Minuten, die den 13 Schülern, dem Lehrer und dem Leser vorkommen wie Tage. Die jeden für immer verändern, die subtil erzählt und faszinierend beschrieben sind.
Ein Maskierter mit Pistole zwingt die Klasse, ihm seine letzten zehn Wünsche zu erfüllen. Das geht relativ harmlos los: der Lehrer soll der Lieblingsschülerin ins Gesicht spucken. Doch damit sind erste Hemmungen abgestreift. Zwei Dicke müssen sich ausziehen, einer Schönheit werden die Haare abgeschnitten, ein Dieb und eine Magersüchtige werden scharfsinnig enttarnt, die Doktorarbeit des Lehrers zerstört. Die Forderungen des Unbekannten werden brutaler und die Aktionen der Schüler – unter Todesandrohung – immer gewalttätiger. Zum Schluss gibt es fast einen Mord, eine Schussverletzung, eine verbrannte Hand und eine Tote.

Täter und Gegner

Lea-Lina Oppermann beschreibt realistisch, wie aus einer relativ homogenen Schulklasse durch die berechtigte Todesangst Täter und Gegner werden. Wie Geheimnisse gelüftet und Beziehungen und Lebensträume zerstört, Helden zu Feiglingen und Außenseiter zu mutig Handelnden werden. Wie Schamgrenzen fallen, Gefühle kaputt gehen und sich das Innerste der Persönlichkeit nach außen kehrt. Durch die drei Ich-Erzähler– Lehrer, Schülerin und Schüler – erleben wir das Geschehen schmerzhaft unmittelbar. Sehen das Entsetzen, hören die Schreie, riechen Angstschweiß und Blut, fühlen Angst und Ungewissheit. Beobachten aus drei sehr unterschiedlichen Perspektiven, wie eine Welt aus den Fugen gerät und vierzehn Menschen demaskiert werden.
"Was wir dachten, was wir taten" erinnert im Aufbau und in seiner Radikalität an Janne Tellers "Nichts. Was im Leben wichtig ist". Die dänische Autorin lotete in ihrem schmalen Roman vor Jahren in vielen Experimenten aus, was "Bedeutung" hat für junge Menschen und wie weit sie gehen, um diese zu beweisen bzw. zu opfern. In ihrer blinden Bestialität zerstörten sie selbst das Bedeutendste: ihre Menschlichkeit. So weit geht Lea-Lina Oppermann nicht: Hier kommt der Druck von außen, Vertrauen, Zuneigung und Werte werden aus Todesangst zerstört. Nicht aus Langeweile. Alle Hüllen fallen, ganz real. Der Jugendroman ist keine Parabel, sondern ein Thriller.

Der Maskierte bleibt stumm

Da der Maskierte kein Wort spricht, bleibt bis zum Schluss offen, wer er ist. Warum er das groteske Schauspiel in Szene setzt und woher er alle Geheimnisse kennt, die nun enttarnt werden. Der Schluss ist absolut plausibel, das Experiment gelungen. Wobei die innere Spannung der psychologischen Abläufe mindestens so groß ist wie die äußere Spannung. Denn eines wissen wir ja: die Erzähler werden überleben, sonst könnten sie nicht erzählen. Aber auch sie sind danach nicht mehr die, die sie mal waren.(gem)

Lea-Lina Oppermann: "Was wir dachten, was wir taten"
Verlag Beltz & Gelber, Weinheim 2017
180 Seiten, 12,95 Euro
ab 14 Jahren

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