Lauschangriff

Abhören war schon immer

Andi Schoon im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 03.02.2014
Von Abhörgängen in Gebäuden der Barockzeit bis hin zur Wanze, erfunden von einem KGB-Spion während des Kalten Krieges: Die Menschen interessierten sich schon immer für das, was eigentlich nicht für sie bestimmt war. Doch nicht immer stand allein das Zusammentragen von Informationen im Vordergrund, meint der Historiker Andi Schoon.
Korbinian Frenzel: Das Handy einer Regierungschefin abhören – was sich die Amerikaner da geleistet haben, das ist in gewisser Weise wirklich beispiellos und so nie da gewesen, könnte man denken. Könnte auch stimmen, wobei das wirklich Neue ist wahrscheinlich nur, dass ein Handy angezapft wurde. Das Abhören an sich, das bewusste Lauschen, das hat eine ziemlich lange Tradition. Das sagt auf jeden Fall der Mann, dem wir jetzt ganz offen und transparent lauschen: Andi Schoon, Kulturwissenschaftler und Historiker an der Hochschule der Künste in Bern. Guten Morgen!
Andi Schoon: Guten Morgen, Herr Frenzel.
Frenzel: Steht die NSA nur am Ende einer ganz langen Tradition des Ausspionierens?
Schoon: Das könnte man schon so sagen. Ich denke, dass es eine lange Kulturgeschichte des Abhörens gibt, wobei man aber sagen muss, dass die Motivation, aus der heraus abgehört wurde, oder die Geisteshaltung, aus der dieser Akt entsprungen ist, sich sehr stark unterscheidet über die Jahrhunderte.
Frenzel: Dann lassen Sie uns doch mal so einen kleinen Parforceritt machen durch die Jahrhunderte. Sie sagen, da hat sich die Motivation geändert, möglicherweise oder mit Sicherheit ja auch die Techniken. Wo haben Sie denn so einen Anfangspunkt, wo Sie sagen, da stellen wir das zum ersten Mal fest, dass es so etwas gibt?
"Auch Freude an der technischen Verspieltheit"
Schoon: Ein interessanter Anfangspunkt wäre zum Beispiel die Zeit des Frühbarocks, 17. Jahrhundert. In dieser Zeit hat Athanasius Kircher, der ja ein Universalgelehrter gewesen ist und über viele Dinge berichtet hat, unter anderem auch berichtet über mögliche Pläne zu Abhöranlagen, die er an italienischen Fürstenhöfen zu installieren gedachte, und er soll auch einen Auftrag dazu bekommen haben, sich so etwas auszudenken.
Das ist nicht ganz gesichert, woher dieser Auftrag kam, aber das war eine Abhöranlage, mit der der Innenhof von Herrscherresidenzen akustisch transparent gemacht werden sollte. Da waren große Löcher in der Wand und dann ein schneckenhausartiger Gang, der in einen Innenraum führte. Der verjüngte sich zum Ende hin und mündete im Mund einer Büste, so dass dann der Herrscher an diese Büste heran hätte treten können, um sich dort zu informieren wie bei einem geheimen Informanten, der ihn darüber informiert, was draußen gesprochen wird.
Frenzel: Das ist auf jeden Fall ein schönes Bild, das ich da gerade vor Augen habe. – Warum hat man das gemacht, weil man es konnte?
Schoon: Wahrscheinlich, weil man es konnte, oder weil man sich überlegt hat, es wäre vielleicht möglich. Ich habe schon den Verdacht, dass es hier weniger darum ging, wirklich eine Architektur zu sichern, sondern eher darum, sie mit einem sensationellen Extra auszustatten. So eine Freude an der technischen Verspieltheit würde ja auch in diese Zeit passen, in die Barockzeit.
Frenzel: Und ab wann kommt dann so eine Funktion dazu, dass man abhört, weil man wirklich etwas erfahren möchte?
Den Gefangenen abhören, um ihn wieder für die Gesellschaft nutzbar zu machen
Schoon: Es gibt noch verschiedene Stationen, in denen vor allem darüber nachgedacht wird, wie man es machen könnte. Eine ganz interessante ist noch in der Aufklärung, als man begonnen hat, jeden Menschen als einzelnen Menschen zu begreifen, als Subjekt, und zwar selbst in dem Moment, in dem er straffällig geworden ist. Da gibt es so ein interessantes und auch sehr bekanntes Gefängnismodell, das sich der Philosoph Jeremy Bentham ausgedacht hat: mit einem Turm in der Mitte und Einblick in jede Zelle von diesem zentralen Turm aus.
Das aufklärerische Moment daran war, dass in jeder Zelle nur ein einzelner Gefangener sitzt, und die Zellen sollten auch mit akustischen Gängen ausgestattet sein, damit der Wächter im Turm hören können sollte, was da der einzelne Gefangene mit sich selbst auszumachen hat, im Vorhaben, ihn eigentlich wieder zu einem besseren Menschen zu machen, ihn also nicht zu zerstören, sondern dann wieder nutzbar zu machen für die Gesellschaft, und das ist ja damals immer so eine Gleichzeitigkeit gewesen von humanistischem Ansatz und auch frühkapitalistischem Ansatz. Das freie Individuum ist eines, das Wert generiert, und da sollte die Abhörtechnik auch ins Spiel kommen.
Frenzel: Also Abhören im Sinne des Abgehörten, wenn man so will?
Schoon: Sozusagen als produktive Technik.
Frenzel: Ab wann wird es denn oder wo stellen Sie fest, wo haben Sie Beispiele dafür, dass es ein Mittel der, ich sage mal, großen Politik ist, der Diplomatie?
"Stasi-Spitzel" im 19. Jahrhundert
Schoon: Bald danach, eigentlich als Antwort auf die Aufklärung ab 1819, als Klemens Fürst Metternich mit den Karlsbader Beschlüssen ja eine Art Überwachungsstaat aufgebaut hat. Der hat Spitzel losgeschickt, so ähnlich wie die Stasi das später auch getan hat, und das waren zum Teil Leute des Geisteslebens, die Zutritt hatten zu Orten, an denen interessante Gespräche geführt wurden, zum Beispiel im Zirkel um Karl Marx. Hier war die Motivation oder die Geisteshaltung einfach ein tiefes Misstrauen gegenüber der bürgerlichen Freiheit.
Frenzel: Wenn wir noch mal auf die Technik schauen: Wir haben jetzt die Trichter des Barock, wir haben die Spitzel, die herumgeschickt werden im 18., 19. Jahrhundert. Ich denke, vor der Zeit des Internets war ja die Wanze für uns alle wahrscheinlich der Inbegriff des Abhörens. Wann kommt die eigentlich auf und wer hat die auf den Markt gebracht?
Schoon: Die Wanze auf den Markt gebracht hat Leon Theremin, der auch das gleichnamige Musikinstrument erfunden hat. Der stand in den 30er-Jahren in den Diensten des KGB. Ob ganz freiwillig oder etwas unfreiwillig, ist nicht ganz geklärt. Der hat die Abhörwanze erfunden, die ja inzwischen eine beträchtliche Karriere gemacht hat.
Frenzel: Abhören war schon immer – das sagt der Kulturwissenschaftler Andi Schoon. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Schoon: Gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema