Landwirtschaft

Bauern ohne Land - Land ohne Bauern

Von Christoph Richter · 18.11.2014
Die sogenannte Höfeordnung regelt den Verbleib eines Bauernhofs nach Ableben des Bauern. In Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein verhindert die Höfeordnung, dass bäuerliche Betriebe zerschlagen werden. In Sachsen-Anhalt gilt das normale Erbrecht - ein einfaches Spiel für Agrargenossenschaften.
Groß und weit ziehen sich Wiesen, Felder und Äcker durch das sanft hügelige Harzvorland. Darüber viel blauer Himmel. In der Ferne blinkt der 1.142 Meter hohe Brocken mit dem markanten Fernsehturm und der Wetterwarte. Halblinks am halben Hang sieht man das Neuschwanstein des Ostens, das barocke Schloss von Wernigerode mit seinen Zinnen und Türmchen. Romantik pur. Hier - eine knappe Autostunde westlich von Magdeburg – lebt der 61-jährige Klaus Münchhoff mit seiner Familie.
"Ein herrliches Fleckchen Erde. Da wo andere Urlaub machen leben wir und wirtschaften sogar."
Stolz stapft Bauer Münchhoff mit schweren Gummistiefeln und grüner Lodenjacke über seine Felder am 210 Meter hoch gelegenen Kaiserberg. In Derenburg, wo sich sein Hof befindet gab es bis zum Krieg vierzig Landwirtschaftsbetriebe. Jetzt sind es nur noch vier, den Münchhoffschen Familienbetrieb mitgezählt. Mit 400 Hektar hat man begonnen, sagt Münchhoff. In den letzten zwanzig Jahren dann, peu a peu Land dazugekauft . Heute bewirtschaftet der Landwirt zusammen mit seinen vier Mitarbeitern knapp 1.000 Hektar. Eine Fläche, die er sich heute nicht mehr leisten könnte, sagt er.
"In der ersten Zeit habe ich Ackerland kaufen können für acht bis 9.000 Euro den Hektar. Heute liegen wir hier bei ungefähr 25.000 Euro je Hektar."
Unbezahlbar findet Klaus Münchhoff.
"Vor zehn, 15 Jahren war es durchaus möglich, 30, 40, 50 Hektar zu pachten oder zu kaufen. Das ist heute kaum noch möglich."
Seine Familie, die seit 1872 im sachsen-anhaltischen Derenburg ansässig ist, war 1953 wegen der Zwangskollektivierung aus der DDR geflohen. 1991 hat Klaus Münchhoff den Hof seiner Familie von der Treuhand zurückbekommen. Und den Betrieb dann wieder aufgebaut. Wichtig ist ihm die Artenvielfalt, weshalb er neben Zuckerrüben auch Raps, Weizen, Wintergerste und Mais anbaut. Daneben überlässt er auch einige Flächen dem Wildwuchs, um sie als Brutstätten für seltene Vögel, wie den Rotmilan oder Schwarzstorch zu erhalten.
Noch im Jahr 2007, also vor der Finanzkrise, zahlt er pro Hektar 200 bis 300 Euro Pacht. Jetzt sind es 400 bis 500 Euro je Hektar. Da verwundert es nicht, so Münchhoff, dass allein in den letzten fünf Jahren 40 Prozent aller bäuerlichen Vollerwerbsbetriebe in der Gegend von der Oberfläche verschwunden sind. Hauptgrund seien der rasende Anstieg der Kauf- und Pachtwerte und der damit einhergehende Umsatz bzw. Gewinneinbruch.
"Die Maus beißt sich in den Schwanz. Sie können heute kaum noch einen Betrieb, wie ich das vor 24 Jahren machen konnte, so aufbauen, weil sie einfach an den Kauf – und Pachtpreisen scheitern."
Für den Anstieg der Boden-Preise sind insbesondere Agrar-Investoren verantwortlich, die vor allem in Ostdeutschland riesige Flächen aufkaufen, 3.000 Hektar sind da keine Seltenheit. Lieblingsobjekte sind die ehemaligen, flächenmäßig sehr großen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften aus DDR-Zeiten, kurz LPG.
Erster Bauer an der Börse
In der Nachwendezeit – das hat die Untersuchung einer Enquete-Kommission ergeben – wurden den LPG-Nachfolgern bei der Umwandlung in Genossenschaften viele Flächen von der Treuhand zu vergünstigten Preisen angeboten. Zwangskollektivierten Altbesitzern wurden keine angemessenen Abfindungen gezahlt. Die Enquete-Kommission kritisiert, dass in der Nachwende-Zeit die früheren LPG-Besitzer bei der Vergabe der Flächen durch die Treuhand bevorzugt, während freie Bauern benachteiligt wurden und bei Null anfangen mussten. Es hat also agrarpolitische Gründe, warum gerade im Osten Deutschlands, die heutigen Agrargenossenschaften immens große Flächen bewirtschaften. Von denen heute kaum einer weiß, in wessen Händen sie sind.
Nach Angaben des Bauernbunds in Sachsen-Anhalt sollen allein zwischen Arendsee und Zeitz die Hälfte der gesamten Ackerflächen des Landes im Besitz von außerlandwirtschaftlichen stillen Kapitalinvestoren sein. Dazu zählen Unternehmer wie der Hamburger Siegfried Hofreiter und dessen Investment-Fond KTG Agrar. Im Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL bezeichnete er sich mal kürzlich als der "erste Bauer an der Börse". Mit einem Jahresumsatz von 110 Millionen Euro – zum Vergleich: ein Bauer setzt jährlich etwa 70.000 Euro um – sind für ihn die Bodenpreise in Ostdeutschland locker bezahlbar. Andere Investoren sind nach Angaben des Braunschweiger Thünen-Instituts unter anderem der Brillenhersteller Fielmann, der Möbelkonzern Steinhoff, die Südzucker AG und die Rethmann-Gruppe, die sich als Dienstleistungsunternehmen einen Namen gemacht hat. Unternehmen die nicht nach der Natur schielen, sondern nach der Börsenberichtserstattung.
Es ist kaum herauszufinden, wer die Stricke der Agrargenossenschaften zieht, sagt der sachsen-anhaltische Bauer Jochen Dettmer.
"Wir müssen auch mal analysieren, wo die LPG-Nachfolgebetriebe sich hin entwickelt haben. Wer ist das eigentlich mittlerweile. Das sind doch nicht mehr die Publikumsgenossenschaften. Ich komme aus dem Landkreis Börde. Bei mir ist es ganz leibhaftig drum herum. Betriebe sind verkauft worden. Von einem Unternehmer, von einer Kapitalgesellschaft, von einem Bodenfond zum anderen."
Versuche mit Vertretern der Genossenschaften zu sprechen, an denen sich Investoren wie KTG Agrar beteiligen, scheitern. Keiner will vor dem Mikrofon sprechen. Bei Nachfragen wird der Telefonhörer empört aufgeknallt, wie bei der Agrargenossenschaft Flechtingen, einst nannte man sich" LPG Frieden".
Über uns kreisen die Geier, sagt Dettmer. Er nennt Sachsen-Anhalt einen Brennpunkt der Bodenauseinandersetzung.
"Wir kennen nicht mal mehr die Treckerfahrer die da sind, der regionale Landmaschinenreparateur kriegt keine Aufträge mehr. Das hat doch Folgen für den ländlichen Raum."
Dettmer ist ausgebildeter Agrarwissenschaftler, Mitbegründer und mittlerweile auch Bundesgeschäftsführer des Neuland Qualitätsfleischprogramms, dass sich die tiergerechte Haltung auf die Fahnen geschrieben hat. Und er ist Kleinbauer in Belsdorf bei Flechtingen in der Magdeburger Börde. Die Gegend mit Deutschlands besten Böden. Dettmer bewirtschaftet hier 60 Hektar Grünland und hält neben Gänsen und Hühnern, das vom Aussterben bedrohte Bunte Bentheimer Landschwein.
Investoren kommen über Nacht
Ein ausgesprochener Kritiker der aktuellen Agrarstrukturen Ostdeutschlands ist auch Kurt-Henning Klamroth. Bauer in der Harzrandgemeinde Westerhausen und Präsident des Bauernbunds, der die freien Landwirte vertritt. Und moniert, dass Agrarinvestoren und Kapitalanleger keinen Bezug zur Landwirtschaft hätten.
"Das ist in den großen Betrieben so, dass die Mitarbeiter eingestellt werden, wie sie gebraucht werden. Frühjahr, zuerst auf der Spritze, Düngerstreuer. Zur Herbstbestellung sind die dann wieder alle da. Und danach gehen die dann wieder. Und der Kreislauf wiederholt sich im nächsten Jahr."
Rucksackbauern nennt Klamroth diese Art von Land-Wanderarbeitern. Die Konsequenz: Die Dörfer veröden, weil keiner mehr vor Ort wohnt und arbeitet.
"Wo sie durchfahren, wo nur noch zwei alte Omas und ein Opa vor dem Haus sitzen. Ansonsten ist keiner mehr da. Am Horizont leuchten ein paar Betonhallen, dass ist dann der bewirtschaftende Betrieb..."
...das erinnere ihn an DDR-Zeiten, poltert Bauernfunktionär Kurt-Henning Klamroth. Denn schon damals haben die damaligen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, aus vielen ursprünglich idyllischen Dörfern - durch riesige Betonställe, Silos und Plattenbauten für die Agrararbeiter - gesichtslose Siedlungen gemacht. Ein Prozess, der durch die Agrarinvestoren heute ein Revival erlebe.
"Und wenn dann die Steuergelder, die in diesen Betrieben erwirtschaftet werden, die werden dann nicht in Magdeburg oder Leipzig versteuert. Das sind ja oft Kapitaleigner aus Hamburg oder München. Und dann findet da die Bodenrendite statt. Und das wollen wir als ortsansässige Landwirte überhaupt nicht."
International agierende Agrarfonds bedrohen damit gerade in Ostdeutschland ganz massiv die bestehende kleinbäuerliche Landwirtschaft, betont das CDU-Mitglied Klamroth.
Ortsansässige Landwirte dagegen engagieren sich in der Lokalpolitik, in der Kirchengemeinde oder den Vereinen. Sie sind in ihre Heimat tief verwurzelt und das nicht nur kurzfristig. Ihnen geht es ganz massiv darum etwas für die Region zu tun. Soziale Teilhabe nennt es Landwirt und Agraranwalt Christoph von Katte.
"Der Landwirt ist vor Ort. Er lebt vor Ort. Die Kinder leben vor Ort. Und es sind nicht Investoren die über Nacht kommen, die Flächen abernten und am nächsten Tag wieder weggefahren sind."
Christoph von Katte, der Vertreter eines 800 Jahre alten altmärkischen Adelsgeschlechts, residiert in einem alten Backsteingut in Hohenkamern im romantischen Elbe-Havel-Winkel – dem sogenannten Katte-Winkel, wie die Gegend noch heute heißt. Dort wo Elbe und Havel zusammenfließen, und wo auf fast jedem Friedhof oder jeder Kirchenbalustrade der Name von Katte zu finden ist.
Er ruft nach einer Regelung in Sachsen-Anhalt, die das Überleben bäuerlicher Landwirtschaftsbetriebe sichern könne.
"Also, es ist jetzt schon so, dass eine Menge Erbengemeinschaften entstanden sind. Und wenn dann die Erbfolge kommt, wollen alle Kinder ihren Teil abhaben. Und dann wird der Betrieb noch kleiner. Und dann kommen Investoren die aufkaufen. Die Landwirte selber, insbesondere die Privat-Betriebe können das Geld nicht aufbringen. Sie haben nach der Wende viel gekauft, sind hoch verschuldet. Aber derzeit kommen immer mehr Flächen auf den Markt, wo die Investoren versuchen aufzukaufen."
Sachsen-Anhalt sträubt sich gegen Höfeordnung
Womit die Betriebe faktisch zerschlagen würden. Das könnte eine sogenannte Höfe- Ordnung - wie sie es in einigen alten Bundesländern gibt - unterbinden. Eine besondere Form des Erbrechts, nach dem der Erbe bevorzugt wird, der den Hof weiterführen will, während die übrigen Erben – die sogenannten weichenden Erben – abgefunden werden. Und diese Abfindungen orientieren sich nicht am meist höheren Verkehrswert des Hofes, sondern am geringeren Ertrag des Betriebes. Da sei erstens keine finanzielle Ungerechtigkeit für die Nachkommen, und könne zweitens den Fortbestand bäuerlichen Lebens und bäuerlicher Traditionen sichern, meint Jurist Christoph von Katte. Ein 1,90 Mann, der erst kürzlich den Hof, seinem Sohn Philipp überschrieben hat, während die anderen Kinder nur kleine Abfindungen bekommen haben.
"Die Briten haben die Höfeordnung nicht aus Jux und Tollerei eingeführt, sondern sie standen vor dem großen Dilemma, dass wir die große Hungersnot nach dem Krieg gehabt haben. Und dass die Briten gesehen haben, wir müssen hier dringend die Höfeordnung einführen, damit die Betriebe nicht zerschlagen werden."
Anders als in Süd– oder Ostdeutschland gibt es die Höfeordnung in den Ländern, die damals zur britischen Besatzungszone gehörten: Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Dabei ist diese Ordnung aber kein Landesgesetz, sondern ein auf bestimmte Bundesländer beschränktes Bundesgesetz.
"Und die Höfeordnung sieht ja auch vor, wenn der Hof innerhalb von 20 Jahren verkauft wird, dann doch die weichenden Erben angemessen zu beteiligen. Eine ganz gerechte Lösung auch. Oder wenn Windkraftanlagen gebaut würden, die keine Landwirtschaft sind, also dann werden auch die weichenden Erben, die Geschwister in der Regel beteiligt an den Einnahmen. Also eine sinnvolle, ausgeglichene Regelung. Und ich kann nur wünschen und hoffen, dass wir die Kraft haben in den Neuen Ländern, dass auch einzuführen."
Bislang nicht geschehen. Warum man sich in Sachsen-Anhalt auf Biegen und Brechen sträubt, die Höfeordnung einzuführen? Christoph von Katte ist überfragt und zuckt mit den Schultern.
"Das verstehe ich nicht."
Nach einem kurzen Moment des Zögerns äußert Christoph von Katte dann aber doch seine Vermutungen:
"Natürlich gibt es Kräfte die sagen, bloß keine Höfeordnung. Denn dann entstehen ja leistungsfähige Betriebe."
Auch Börde-Landwirt Jochen Dettmer appelliert an das Land. Es müsse endlich Stellung nehmen, welche Landwirtschaft es wolle. Und erinnert an die Zerschlagung der überwiegend bäuerlichen Landwirtschaft zu DDR-Zeiten zugunsten einer kollektivierten Landwirtschaft, zugunsten einer Agrar-Monotonie. Ein Landwirtschaftsmodell, dass seines Erachtens nach der Friedlichen Revolution in Sachsen-Anhalt nie revidiert, sondern strukturell erhalten und seines Erachtens gar gefördert wurde.
"Offensichtlich will sich die Landesregierung da raushalten, die Debatte ist ja nicht neu. Und möglicherweise scheuen sie die Auseinandersetzung mit dem Bauernverband über den Status von Genossenschaftsmitgliedern. Ich glaube hier muss die Bereinigung eines idealisierten Genossenschaftsbegriffs verhandelt werden. Sondern wir müssen mal schauen, was in der Realität da ist. Es ist doch ganz klar, die Trennung von Arbeitsverhältnis und Genossenschaftsanteilen und den anderen gesellschaftsrechtlichen Formen wie Aktiengesellschaft und GmbH, dass muss man mal auseinander fimmeln."
Der Magdeburger CDU Landwirtschaftsminister Hermann Onko Aeikens hält in der Tat nicht viel von einer Höfeordnung. Betont aber im gleichen Atemzug, dass für bäuerliche Familienbetriebe dringend etwas getan werden müsse. Er will die Agrarstruktur zukünftig per Gesetz sichern. Ein Gesetz, dass im nächsten Jahr im Magdeburger Landtag eingebracht werden soll.
"Dieses Gesetz soll dazu dienen, dass eine stärkere Privilegierung der vor Ort wirtschaftenden Landwirte stattfindet. Soll dazu dienen, dass externes Kapital zurückgedrängt und abgehalten wird in Landwirtschaft zu investieren. Wir wollen keine Filiale von Industriellen und börsennotierten Aktiengesellschaften sein, sondern wir wollen den Bauern vor Ort."
Schutzschirm "Höfeordnung"
Dem Agrarökonom Alfons Balmann, einem der Direktoren beim IAMO, dem in Halle beheimateten Leibniz-Institut für Agrarentwicklung und Transformationsökonomien geht allerdings auch das zu weit. Er hält nichts von Bodenregulierung und auch nichts von einer Höfeordnung. Mit weichen Faktoren wie der bäuerlichen Tradition von Familienbetrieben kann er nichts anfangen und warnt vor einem Schwarz-Weiß Bild und der pauschalen Vorverurteilung von Investoren. In seinen Augen seien sie die wirtschaftlichen Akteure im Agrarsektor, weil nur sie in der Lage seien im globalen Wettbewerb zu bestehen. Denn Landwirte stünden heute im direkten Konkurrenzkampf mit mächtigen Agrarunternehmen in den USA, Kanada oder Australiens. Forderungen nach rechtlichen Beschränkungen für Unternehmensbeteiligungen beim Bodenkauf, wie es der Bauernbund will, sind für IAMO-Direktor Balmann völlig abwegig. Seines Erachtens könne Landwirtschaft im 21. Jahrhundert nur in effizienten, also großen Strukturen überleben. Alles andere nennt er Heidi -Landromantik.
"Und hier gibt es eine Konkurrenz. Denn auch viele juristische Personen..."
...gemeint sind Agrargenossenschaften und GmbHs...
"...haben ihr Eigenkapital aufgebaut. Haben sich entwickelt. Und möchten wachsen. Und dass tun diese Betriebe auch häufig. Und das tun sie, indem sie nicht Schritt für Schritt einige Hektare dazu pachten, sondern ganze Betriebe übernehmen."
Das sei ein völlig normaler Schritt betriebswirtschaftlichen Handelns, so Balmann weiter. Und:
"Ich denke, dass Problem der steigenden Preise resultiert letztlich daraus, dass es die ostdeutsche Landwirtschaft bisher es nicht gewohnt ist, dass das Preisniveau so hoch ist."
Biobauer Jochen Dettmer kann bei solchen Aussagen nur mit den Augen rollen. Er sieht in Alfons Balmann, einen kalten, wenig empathischen Ökonomen, der die sozialen und ökonomischen Folgen einer entfesselten Bodenpolitik nicht im Auge hat, wie er sagt. "Die Landwirtschaft", so Dettmer weiter, "werde immer mehr zum Rohstoffmarkt." Gerade deshalb brauche man den Schutzschirm "Höfeordnung" für die bäuerlichen Familienbetriebe, für Landwirte die vor Ort arbeiten und leben und sich für die Nutzfläche verantwortlich fühlen.
Selbst der CSU- Agrarfunktionär Gerd Sonnleitner, ehemaliger Präsident des deutschen, aktueller Präsident des europäischen Bauernverbands, nickt mittlerweile zu solchen Aussagen. Der Mann der bislang eher für markige Worte bekannt war, ist umgeschwenkt. Im Jahr der bäuerlichen Landwirtschaft, das die Vereinten Nationen für 2014 ausgerufen haben, ist er ihr UN-Sonderbotschafter. Zwar kann er der Höfeordnung nichts so recht etwas abgewinnen, gleichwohl fordert er:
"Im Grundsatz muss über das Grundstücksverkehrsgesetz Regeln geschaffen werden, dass Bauern bevorzugt, als Käufer von Grund und Boden."
Nach Ansicht von Agrarsoziologen gehören die vor Ort wirtschaftenden Bauern zu den tragenden Säulen des sozialen Zusammenhalts im ländlichen Raum und gelten als Bewahrer des Dorflebens. Es sei mehr als offensichtlich, dass dieses in Sachsen-Anhalt schon jetzt durch Investoren bedroht sei, betont recht harsch der 61-jährige Landwirt Klaus Münchhoff aus Derenburg. Und erzählt, wie Landwirte von Maklern, die im Auftrag der Investoren unterwegs seien, mit Wildwest bzw. Türdrückermethoden erpresst würden, damit die Landwirte ihr Land und damit ihre Existenzgrundlage verkauften.
"Das ist sehr bedauerlich..."
...die Höfeordnung, sei daher durchaus ein probates Mittel, um diesen Gaunern, wie er sagt, das Handwerk zu legen.
Jahrhundertalte Bauernhöfe könnten ruiniert werden
Ein weitere Forderung: Die Privatisierungspolitik der bundeseigenen BVVG - der Bodenverwertungs- und verwaltungs GmbH, die Nachfolgerin der Treuhand - müsse stärker auf Landwirte ausgerichtet sein. Bisher sei es doch so, dass die BVVG Flächen zum Höchstgebot versteigere, die wir Bauern nie zahlen können, ergänzt Münchhoff. Weshalb die bundeseigene BVVG eine großen Anteil an der ungerechten Bodenverteilung und einer Zementierung industrieller landwirtschaftlicher Großstrukturen habe.
In Sachsen-Anhalt scheint zumindest diese Forderung auf Gehör zu treffen. Die etwa 40.000 Hektar die noch zum Verkauf stehen – ehemalige Bodenreformflächen – sollen künftig durch das Land in eigener Regie privatisiert werden, indem man sie dem Bund abkauft. Die Verhandlungen laufen derzeit.
Aber auch über Kürzungen von EU-Subventionen für Betriebe mit einer Größe ab 1.000 Hektar müsse nachgedacht werden, sagt Kurt-Henning Klamroth. Der Präsident vom Bauernbund hat mal geschätzt, was die Agrar-Investoren so von der EU an Subventionen einstreichen. KTG-Agrar fünf Millionen, Möbelfabrikant Steinhoff 2,6 Millionen, die Immobilenholding Rethmann-Gruppe 4,4 Millionen Euro. Klamroth muss sich beherrschen, denn das seien alles Steuergelder, sagt er. Gelder mit denen jahrhundertalte ortsansässige bäuerliche Betriebe ruiniert würden.
"Was wir brauchen sind Rahmengesetzgebungen die greifen. Grundstücksverkehrsgesetz, Durchsetzung Landpachtverkehrsgesetz und dann haben sie auf einmal schon viel weg."
Die Zeit drängt, sagt er. Denn das Sterben der bäuerlichen Betriebe schreite rasant voran. Gab es nach Angaben des Statistischen Bundesamts 1991 bundesweit etwa 650 Landwirtschaftsbetriebe, so sind es heute noch 285. In ähnlichen Dimensionen ist das Hofsterben auch in Sachsen-Anhalt zu beobachten. Land ohne Bauern, Bauern ohne Land? Der Börde-Landwirt Jochen Dettmer aus Belsdorf resigniert trotzdem nicht.
"40 Jahre DDR haben es nicht geschafft, das bäuerliche Denken wegzukriegen. Wir haben unseren Hof 1990 wieder gekriegt. Und die nächsten 40 Jahre wird es auch noch Bauern weiter geben. Und wir handeln nach dem Motto: Bleib auf dem Lande und wehre dich täglich."
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