Landversiegelung in Bayern

Bauland für 49 Euro pro Quadratmeter

Ein Einfamilienhaus entsteht, hier im September 2013 im bayerischen Geisling.
Ein Einfamilienhaus entsteht, hier im September 2013 im bayerischen Geisling. © picture alliance / dpa
Von Lorenz Storch · 18.04.2018
Immer mehr Wiesen werden in Bayern zu billigem Bauland erklärt und damit zubetoniert. Manche sprechen schon von einer "Asphalt-Lawine", die über das Land rolle. Dieser Entwicklung stellt sich jetzt ein Bündnis gegen Flächenfraß entgegen.
Bayern, wo es ländlich ist: in der Mitte zwischen München, Nürnberg und Stuttgart. Ein kalter Ostwind pfeift über das Nördlinger Ries. Hier bei Megesheim weht er ungebremst über die flachen Äcker. Eine neu gebaute Straße schiebt sich in großem Bogen über das Feld. Der Megesheimer Bürgermeister Karl Kolb (CSU) ist stolz darauf, dass sich hier etwas rührt:
"Wir stehen jetzt da im Baugebiet - erschlossen 2013, mit 14 Parzellen, das ist vollständig voll. Und hinter uns sehen wir das neu erschlossene, 2017 ist das erschlossen. Das ist ab sofort bebaubar, das Vermessungsamt muss noch die Grenzsteine setzen. Aller Voraussicht nach werden da heuer noch zwei Häuser drauf kommen. Weiter vor, das ist dann das drittletzte Baugebiet, das ist auch relativ schnell bebaut worden."
Bürgermeister Kolb hatte zuerst Sorgen, dass Parzellen mit durchschnittlich 1000 Quadratmetern zu groß und damit schwer verkäuflich wären – aber grundlos.
"Da drüben, das sind dann Parzellen mit 900 Quadratmetern. Der Eckbauplatz hat dann auch über 1000. Aber dadurch, dass der Preis da noch relativ günstig war, hat man die dann auch problemlos weggekriegt."

"Wir wollten einen großen Bauplatz"

Für 49 Euro pro Quadratmeter hat die Gemeinde den erschlossenen Baugrund zuletzt verkauft.
Die mit Wohnhäusern bebaute Fläche ist in Megesheim innerhalb von nur zwei Jahren um 14 Prozent gewachsen – bei konstanter Bevölkerungszahl. Das ist besonders viel – steht aber für einen landesweiten Trend. Immer neue Wohngebiete auf der grünen Wiese sind der wichtigste Treiber des Flächenverbrauchs in Bayern.
Die Wohnbaufläche hat in den beiden vergangenen Jahren mehr als doppelt so stark zugenommen wie die gewerblich genutzte Fläche. Und: Die Baugebiete werden nicht vorrangig dort ausgewiesen, wo die Bevölkerung besonders stark wächst. Sondern wo Land billig und verfügbar ist.
Eines der Häuser im Megesheimer Neubaugebiet ist noch im Bau. Der Eingang führt durch eine großzügig angelegte Doppelgarage – die brauchen alle hier, sagt Bürgermeister Kolb:
"In diesen Siedlungen gehen die Leute fast alle beide auf die Arbeit. Und dann braucht man zwei Autos. Bei uns auf dem Land ist das so: Wenn man in einem Haus wohnt, wo fünf einen Führerschein haben, dann braucht man fünf Autos."
Drinnen empfängt der Hausbesitzer in blauer Arbeitskluft.
"Mein Name ist Martin Wach. Ich wohne momentan mit meinem Bruder zusammen im Haus, das hat man umgebaut damals. Und jetzt mit meiner Frau haben wir dann überlegt eben, was wir machen. Wir haben ein paar Mal beim Bürgermeister nachgefragt, ob es im Dorf irgendwas gäbe. Wir hätten schon irgendwas umgebaut. Aber da hat sich nichts ergeben im Dorf. Und dann haben wir gesagt, okay, jetzt starten wir und machen da draußen einen Neubau."
Das Haus ist mächtig – 200 Quadratmeter Wohnfläche! Auf mehr als 1000 Quadratmetern Grund.
"Wir wollten einen so großen Bauplatz. Für mich ist ein großer Garten dann schon wichtig. Daheim haben wir auch einen gehabt. Und da haben wir gesagt: Machen wir lieber einen großen Bauplatz. Von den Preisen her ist es ja relativ in Ordnung, sag ich mal."
Eine andere Wohnform als ein frei stehendes Einfamilienhaus wäre Martin Wach gar nicht in den Sinn gekommen.
"Nein, das wäre nicht in Frage gekommen. Auf keinen Fall. Ich möchte schon mein eigenes haben."

Initiativen zum Flächensparen waren erfolglos

Andererseits: Dass in Bayern jedes Jahr so viel freie Fläche zugebaut wird, gefällt auch Häuslebauer Wach nicht.
"Ich sehe schon, dass es ein Problem ist. Man sieht es ja auch im Fernsehen und überall. Was alles zugebaut wird. Irgendwo gehört vielleicht schon irgendwann mal ein Riegel vorgeschoben. Aber wie genau, weiß ich auch nicht. Es ist schwierig. Ich bin auch im Urlaub in den Bergen. Und im Allgäu, wenn man da sieht was zugebaut wird jedes Jahr, das ist traurig."
Alle sehen im Prinzip ein Problem im Flächenverbrauch – aber wenn es konkret wird, bauen sie doch wieder auf die grüne Wiese. So geht es schon zu lange in Bayern, finden die Landtagsgrünen. Fraktionsvorsitzender Ludwig Hartmann:
"Wir haben das seit über zwei Jahrzehnten erlebt. Es gibt ein Bündnis zum Flächensparen: Bauindustrie, kommunale Spitzenverbände, bis hin zum Bund Naturschutz. Der Erfolg ist ausgeblieben. Die Beton- und Asphalt-Lawine wälzt sich über Bayern, unaufhaltsam. Mit unserem Volksbegehren wollen wir jetzt eine Höchstgrenze von fünf Hektar gesetzlich definieren, um die Betonflut einzudämmen. Alle anderen freiwilligen Maßnahmen haben bisher nicht funktioniert. Und da muss der Gesetzgeber andere Mittel in die Hand nehmen."
Maximal 5 Hektar pro Tag – das würde den Flächenverbrauch in Bayern etwa halbieren. Das Volksbegehren "Betonflut eindämmen" stößt offenbar auf große Zustimmung in der bayerischen Bevölkerung. Fast 50.000 Unterschriften hat das Bündnis gegen Flächenfraß vor einigen Wochen beim bayerischen Innenministerium abgegeben.
Die Staatsregierung hat nun jedoch erklärt, das Volksbegehren sei nicht verfassungsgemäß. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof muss nun darüber entscheiden. Nicht ungewöhnlich bei Volksbegehren in Bayern – die Chance, dass Bayerns oberstes Gericht am Ende grünes Licht gibt, ist nicht schlecht. Aber dieser zusätzliche Verfahrensschritt kostet Zeit, so der Grüne Hartmann:
"Also wenn man sich die Sitzungsvorlage fürs Kabinett anschaut, die uns ja Gottseidank zugespielt worden ist, und man darin Sätze liest, dass man unter Ausreizen aller Fristen das Volksbegehren dann nach der Landtagswahl stattfinden lassen kann, das finde ich eigentlich ein Unding. Es muss im Interesse einer starken Demokratie sein, dass ein Volksbegehren dann relativ zeitnah stattfindet und die Bürger entscheiden dürfen."

Gericht muss über Volksbegehren entscheiden

Wenn der Verfassungsgerichtshof das Volksbegehren zulässt, sieht das weitere Verfahren laut bayerischer Verfassung so aus: Innerhalb von zwei Wochen müssten zehn Prozent der Wahlberechtigten in die bayerischen Rathäusern kommen und für die Initiative unterschreiben, damit das Volksbegehren angenommen ist. Wenn der Landtag es dann immer noch ablehnt, kommt es zum Volksentscheid, bei dem dann alle Wähler zur Abstimmung aufgerufen sind. Auf diesem Wege hat das bayerische Volk etwa vor einigen Jahren gegen die CSU einen besonders strengen Nichtraucherschutz durchgesetzt. Die Mehrheitsfraktion hat also durchaus Respekt vor dem Volksbegehren. Trotzdem lehnt sie es ab. CSU-Wirtschaftspolitiker Erwin Huber:
"Aus meiner Sicht ist das eine Strangulierung vieler Gemeinden, die gerade sich entwickeln wollen zugunsten der Bürger. Und eine solche Strangulierung wollen wir in keinem Fall."

Es gibt freilich durchaus Gemeinden, die sich anders entscheiden.
Heimenkirch im Allgäu. Der Markt mit 3600 Einwohnern erstreckt sich im Tal entlang der Bundesstraße 32, unweit von Lindau. Die Alpen grüßen von fern, wenn man am Ortsrand auf den Hügel steigt.
Hier in Heimenkirch ist der Flächenfraß bereits gestoppt – durch den Gemeinderat! Denn der hat ganz einfach beschlossen, bis auf Weiteres keine neuen Baugebiete auszuweisen. Obwohl die Nachfrage da wäre.
Der grüne Bürgermeister Markus Reichart steht voll dahinter. Wir könnten schon Baugebiete ausweisen, sagt er:
"Neues Bauland ist gesucht. Nur würden wir dann automatisch in zehn, 20, 30 Jahren Leerstände in der Ortsmitte erzeugen."
Mit ihrer Haltung erzeugen Bürgermeister und Gemeinderat bewusst einen Siedlungsdruck in ihrem Ort. Einen Druck darauf, bestehende Häuser zu sanieren.
"Wir haben sehr viele Arbeitsplätze bei uns in Heimenkirch. Die Wirtschaft brummt. Also ist auch die Nachfrage nach gebrauchten Immobilien sichergestellt. So lange es keine Bauplätze auf der grünen Wiese gibt."
Blick über die hügelige Voralpenlandschaft mit Lindenberg und Heimenkirch, im Hintergrund die Nagelfluhkette mit Hochgrat und Rindalphorn
Blick über die hügelige Voralpenlandschaft mit Lindenberg und Heimenkirch, im Hintergrund die Nagelfluhkette mit Hochgrat und Rindalphorn© imago/Kickner

Der Ort soll nicht zu sehr in die Breite gehen

Bauplätze innerorts gäbe es allerdings durchaus – insgesamt 50 unbebaute Grundstücke hat die Gemeinde gezählt. Das muss reichen, findet der Bürgermeister. Auch wenn sie im Privatbesitz sind und vorerst meist nicht zum Verkauf stehen.
Der Ort soll nicht zu sehr in die Breite gehen – auch damit der Bahnhaltepunkt im Zentrum und die Geschäfte für möglichst viele noch zu Fuß erreichbar bleiben.
"Noch gibt es bei uns mehrere gut laufende Dorfwirtschaften, Gaststätten. Es gibt Hausärzte, einen Zahnarzt, Schreibwarenhandel, es gibt die Metzgerei. Und derlei Dinge wollen wir bewahren, indem wir den Ortskern auch wirtschaftlich nachverdichten."

Trotzdem: Das gefällt nicht allen. Kathrin Tämmerich etwa. Sie hat selbst lange vergeblich nach einem Bauplatz gesucht.
"Also ich finde es nach wie vor super, dass man das Zentrum erhalten will. Aber ich glaube halt, meiner Meinung nach, so wie ich es auch in Kindergarten und Schule mitbekomme, dass das nicht in dem Umfang realisierbar ist. Weil es nach wie vor sehr viele Familien gibt, die bauen oder was kaufen möchten. Und ich glaube, dass des in dem Umfang einfach nicht gegeben ist."
Familie Tämmerich selbst wohnt mit zwei Kindern inzwischen in einem blendend weißen Haus, das wie neu aussieht. Obwohl es aus den 1960er Jahren stammt. Sie haben, sozusagen unter Zwang, kein neues Haus gebaut, sondern diesen Altbau grundsaniert. Von der Elektrik über einen geänderten Zimmerzuschnitt bis zum neuen Dach. Ein Neubau wäre wahrscheinlich günstiger gewesen.
"Ich hätte natürlich nach wie vor lieber neu gebaut. Aber so wie es jetzt ist, ist es super. Wir haben mitten im Ort was, es ist für die Kinder perfekt. Er hier kommt zum Beispiel im September in die Schule, er kann dorthin laufen. Der große hat es nicht weit zur Bushaltestelle. Von dem her ist es perfekt."
Also wieder das Einfamilienhaus – wenn auch gebraucht.
Unter dem Druck der verknappten Siedlungsfläche in Heimenkirch gedeihen aber auch andere Modelle – wie bei Familie Übelhör. Sie haben sich ein noch unansehnliches Haus an der Hauptstraße vorgenommen, mit grauen Eternitplatten verkleidet. Mathias Übelhör ist noch beim Entrümpeln:
"Das Haus ist in Familienbesitz, unsere Großmutter lebt hier drin. Und dadurch, dass mein Bruder und ich auch gern uns eine eigene Wohnung oder ein eigenes Haus bauen wollten, ist die Idee entstanden, dass wir hier jetzt ein großes Haus mit drei verschiedenen Wohneinheiten sanieren."
Die Jungen leben dann mit ihrer Großmutter unter einem Dach – statt im Neubaugebiet am Ortsrand. Weil die Siedlungspolitik ihrer Gemeinde zum Zusammenrücken ermutigt.
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