Land und Leute verändert

Von Sven Scherz · 26.11.2010
Die einen kamen als Gastarbeiter, die anderen suchten Asyl. Heute leben viele der Zugewanderten sowie deren Kinder in zweiter oder dritter Generation als Deutsche in der Bundesrepublik. Im Ernst-Bloch-Zentrum in Ludwigshafen diskutierten Experten über das Thema Migration.
Ein Reisekoffer, ein Pass und das einfache Bahnticket nach Deutschland. Das sind die drei symbolischen Präsentationsstücke, die wohl jedes Museum zeigt, wenn es zum Thema "Einwanderung und Migration" ausstellt. Ob das immer die angemessene Darstellung ist, darüber debattierten seit gestern die 75 Teilnehmer der Fachtagung "Heimatmuseum. Migration und Erinnerung".

"Meine sehr geehrten Damen und Herren, herzlich willkommen in der Migrationsstadt Ludwigshafen!"

Etwa über 150 Jahre sei die Stadt alt, begrüßte Bürgermeister Wilhelm Zeiser die aus dem gesamten Bundesgebiet angereisten Tagungsgäste. Und das letzte Drittel der Stadtgeschichte war ganz wesentlich durch Migration geprägt. Ausländische Arbeiterfamilie zogen nach Ludwigshafen, weil sie hier über die Industrie und den Chemiekonzern BASF eine neue Heimat fanden. In vielen deutschen Großstädten verlief die jüngste Zeitgeschichte ganz ähnlich.

Aber im Vergleich dazu haben sich nur wenige Museen dem Phänomen "Migration" gewidmet, sagt Eleonore Hefner, Leiterin des Kultur-Rhein-Neckar-Vereins, der die Tagung veranstaltete:

"Das Thema Migration ist zum Beispiel im Historischen Museum in Bonn angekommen. Es findet sich auch in regionalen Museen wie im Kreuzbergmuseum. Es taucht hin und wieder auf und es ist so, dass der Deutsche Museumsbund jetzt dran arbeitet. Es ist noch zu wenig repräsentiert, aber es tut sich durchaus was."

So zum Beispiel in Rheinland-Pfalz. Das Bundesland hat im Dezember 2009 das erste Integrationsmuseum im Internet eröffnet. Online klickt sich der Besucher durch Dossiers und Lebenswege von Zeitzeugen:

"Die Leute kamen zu der deutschen Kommission in Verona zum Beispiel, sie wurden untersucht von Kopf bis Fuß, die Zähne, alles wurde angeschaut ..."

Das virtuelle Integrationsmuseum bietet eine großartige Sammlung solcher Tondokumente. Museumspädagogisch ist das sinnvoll, denn das Thema Migration, das immer auch mit Einzelschicksalen und persönlichen Erlebnissen zu tun hat, wird so sehr einfühlsam dargestellt. Doch die Tagung machte deutlich: Kaum ein Museum in Deutschland verfügt über eine vergleichbare Tondokumente-Sammlung. Jenseits der erwähnten Exponate Koffer, Pass und Bahnticket stehen die Museen beim Thema Migration vor dem Problem, die Vitrinen und Schaukästen spannend zu füllen.

Eleonore Hefner: "Jenseits dieser Problematisierung muss man sagen, dass die Museen in ihren Depots zu wenig haben zum Thema Migrationsgeschichte. Also man hat im letzten Jahrhundert nicht gesammelt, weil man davon ausgegangen ist, dass Einwanderung nicht stattfindet, dass das ein Phänomen ist, das sich auflöst, und erst jetzt ist den Letzten im Lande klar geworden, dass Einwanderung diese Gesellschaft prägt und da ist natürlich auch die Frage der Erinnerung dieses Prozesses wichtig."

Doch auch hier tut sich was. Seit über 20 Jahren sammelt Aytac Eryilmaz Dokumente, Fotos und Gegenstände für DOMiD, das ist der abgekürzte Name für das "Dokumentationszentrum über die Migration in Deutschland". Der Verein hat in den vergangenen Jahren in Essen und Köln größere Ausstellungen realisiert:

"Wir haben circa 70.000 Exponate nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere Arbeitsmigration, aber nicht nur Bundesrepublik Deutschland, sondern auch DDR-Vertragsarbeiter, gesammelt. Und wir wollen gerne in Zukunft in Deutschland ein Migrationsmuseum bauen, nicht allein natürlich,. mit Experten und Wissenschaftlern gemeinsam."

In anderen Ländern gibt es solche Migrationsmuseen. Das bekannteste Beispiel ist das "Immigration Museum" in New York auf Ellis Island. Die Erfolgsaussichten auf ein vergleichbares Museum bei uns wurden auf der Tagung aber skeptisch diskutiert. Solange Uneinigkeit darüber herrsche, ob Deutschland nun ein Einwanderungs- oder Zuwanderungsland sei, solange unversöhnliche Thesen wie die des Thilo Sarrazins die Migrationsdebatte bestimmten, solange werde ein Migrationsmuseum wohl keine Mehrheiten finden.

Dass hier allerdings ein rein praktischer Bedarf besteht, das beweist die Arbeit von DOMiD: Viele Kuratoren etwa fragen beim Dokumentationszentrum an, um sich aus dem Fundus für ihre Ausstellungen Exponate auszuleihen. Die Museumsszene würde ein mögliches Migrationsmuseum deshalb sicherlich unterstützen. Doch wer könnte der Träger einer solchen Einrichtung sein?

Aytac Eryilmaz hofft auf die Bundeskulturstiftung oder aber Kulturstaatsminister Bernd Neumann:

"Der Staatsminister für Kultur und Medien muss auch so ein Gefühl geben, er darf nicht nur Vertriebenen- oder deutsch-deutsche Geschichte-Kultur fördern, sondern er muss auch die Migrantenkultur und -geschichte fördern – das ist seine Verantwortung."

Häufig kursiert selbst unter Museumsleuten ein Vorurteil, Migranten würden sich generell nicht fürs Museum interessieren. Bettina Scheeder vom Museumsverband Rheinland-Pfalz stellt aber klar, dass dieser Vorwurf durch nichts, durch keinerlei Daten zu beweisen oder zu widerlegen ist. Es gibt schlichtweg keinerlei entsprechende Besucherstatistik:

"Es ist mit der Evaluationslage sehr problematisch. Das hat aber mit der Haltung der Museen zu tun, die ich gut verstehen kann. Die sagen: Ich kann doch einen Besucher nicht fragen, woher kommst du? Sie können ihn örtlich fragen, kommen Sie aus Mannheim oder Heidelberg oder er weiteren Umgebung, aber würden Sie sich willkommen fühlen, wenn Sie gefragt werden, woher stammen Sie denn ursprünglich kulturell?"

Als Fazit hielt die Ludwigshafener Tagung dennoch fest, dass die Museen mehr für Migranten tun können – nicht zuletzt, weil es um neue Besucherzielgruppen gehe. Der Museumsverband empfiehlt sogar seinen Mitgliedern, Personalstrukturen zu überdenken. Vor allem im Bereich der Vermittlung würden Migrantenstellen der Museumsarbeit häufig neue Blickwinkel öffenen.

Link auf dradio.de:
Mehr zum Thema finden Sie auf dem Themenportal Integrationsdebatte.