Lampedusa

Durchgangsort für Zehntausende

Eine Aufnahme zeigt 105 Flüchtlinge, die vor der italienische Insel Lampedusa aus einem Schlauchboot an Bord der "Phoenix", des Schiffes der Flüchtlings-Rettungsstation auf See, gebracht zu werden.
Oktober 2014: Flüchtlinge werden vor Lampedusa in Sicherheit gebracht. © dpa / picture alliance / Darrin Zammit Lupi
Von Nadine Lindner · 27.02.2016
Lampedusa war lange Zeit die bekannteste Chiffre für die europäische Flüchtlingskrise. Wie sieht es jetzt auf der italienischen Insel aus, wie ist der Umgang mit den ankommenden Menschen?
Die Flüchtlinge wissen manchmal überhaupt nicht, wo sie eigentlich sind, erzählt Paulo La Rosa. Sie werden auf dem offenen Meer von der Küstenwache gerettet und landen dann sehr orientierungslos hier im Hafen:
"Wir gehen an die Mole, wenn die Flüchtlinge ankommen und verteilen Decken, Fruchtsaft und etwas zu essen. Wir sagen ihnen aber auch, wo sie sich befinden. Sie bekommen nicht nur Nahrung, sondern ein Lächeln."
Die Sicherheitskräfte, die für die Registrierung zuständig sind, dulden die Freiwilligen. 20 Leute sind es ungefähr beim "Forum Lampedusa Soledale".
Die 48-Jährige strahlt Herzlichkeit und Wärme aus. Aber dann verschwindet das Funkeln in ihren Augen mit einem Schlag. Wenn sie über den Gesundheitszustand der Flüchtlingsfrauen spricht. Sie trifft es besonders, denn sie müssen in der Mitte der Schlauchboote sitzen. Dort sammelt sich schnell eine Brühe aus Benzin, Meerwasser, Fäkalien und Urin. Nach mehreren Tagen auf See ist die Haut der Frauen verätzt und löst sich ab.
Paula La Rosa, lange braune Haare, füllig, raucht eine Zigarette während des Interviews, sonst findet sie doch wieder keine Ruhe dafür. Ständig klingelt ihr Handy im knallroten Lederetui:
"Es bringt nichts, über Abschottung und neue Grenzen nachzudenken, wenn wir nicht auch über die Perspektiven für Flüchtlinge sprechen."
5000 Einheimische gibt es hier, die Insel bleibt Durchgangsort für Zehntausende Flüchtlinge.
Man lebe nicht wirklich miteinander, sondern aneinander vorbei. Die Flüchtlinge im Hotspot am Rande des Ortes, viele bleiben nur ein paar Tage, Wochen.

Jungs in viel zu großen Jacken

Eine Momentaufnahme: In der Bar in der Hauptstraße von Lampedusa haben sich am Nachmittag nur wenige Stammgäste auf der Terrasse niedergelassen. Flüchtlinge, offenbar aus Afrika, die auf den ersten Blick kaum älter als 15 oder 16 wirken, laufen langsam vorbei. Die Jungs haben viel zu große Jacken an, an den Füßen Flip-Flops. Sie mustern die Gäste, aber aus ihren Mienen lässt sich nichts ablesen. Auch die Café-Besucher lassen sie nicht aus den Augen, die Gesichter reglos, es ist unmöglich zu erahnen, was sie denken. Als die Flüchtlinge aus dem Blickfeld verschwunden sind, leben die Gespräche an den Tischen wieder auf.
Esthel: "Es gibt viele Arbeitslose hier. Und Touristen kommen nur im Sommer, im Winter ist niemand hier. Manche klagen, dass sich hier alles nur um die Flüchtlinge dreht und nicht um ihre Sorgen."
Esthel, die Kellnerin, glaubt, dass es durchaus eine ambivalente Gefühlslage auf der Insel gibt. Einerseits Ablehnung, andererseits Hilfsbereitschaft. Lampedusa ist seit Jahrzehnten einer der wichtigsten Ankunfts- und Transitorte für Flüchtlinge, seit dem Herbst gibt es hier den ersten europäischen Hotspot.
Dorfpfarrer Mimmo Sambito schaut sich im Hafen von Lampedusa ein privates Seenotrettungsprojekt an. Zu ihm in die Kirche kommen immer wieder Flüchtlinge:
"Sie kommen häufig. Auf der Suche nach Hilfe, aber auch, um zu beten, wenn sie Christen sind."
Sie suchen seinen Trost. Und freuen sich, dass er eine offene Internetverbindung anbietet. So sitzen sie vor der Kirche und schicken nach der gefährlichen Überfahrt ein Lebenszeichen nach Hause.
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