Lakonisch Elegant

#51 Aufstand oder Anpassung? Ungarn, Orbán & die junge Literatur

52:32 Minuten
Junge Menschen protestieren auf dem Heldenplatz in Budapest und klettern dabei auch auf die alten Reiterstandbilder.
Auf dem Heldenplatz in Budapest treffen sich alte Helden und neue Gestalter. © AFP/ Attila Kisbenedek
Von Christine Watty und Johannes Nichelmann  · 26.09.2019
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Ágnes Heller, György Konrád, László Rajk: Drei einflussreiche linke Intellektuelle und Orbán-Kritiker haben in Ungarn lange den Diskurs mitbestimmt. Nun sind sie innerhalb kurzer Zeit verstorben. Wer sind die neuen Stimmen aus der Kultur?
Vor wenigen Monaten traf der seit 30 Jahren in Budapest lebende Deutsche Autor und Literaturwissenschaftler Wilhelm Droste die Philosophin Ágnes Heller († 19. Juli 2019, 90 Jahre) und den Schriftsteller György Konrád († 13. September 2019, 86 Jahre) auf einer Party. Geladen hatte der Architekt und Bürgerrechtler László Rajk († 11. September 2019, 70 Jahre). Geredet haben sie damals womöglich einmal mehr über die Regierung Viktor Orbáns und über deren Auswirkungen auf die Gesellschaft.

"Blinde Hoffnung auf Jugend"

"So richtig eine zündende Idee, wie sich die Sache von innen auflösen könnte, hat niemand. Alle haben so eine blinde Hoffnung auf Jugend. Dass diese Jugend alle Fehler der älteren Generation ablegt", sagt Wilhelm Droste. In dieser Ausgabe von "Lakonisch Elegant - Der Kulturpodcast" fragen wir: Wer sind diese neuen jungen Künstlerinnen und Künstler Ungarn? Welche Rolle schreiben sie sich selbst zu und wie wurden sie durch Heller, Konrád und Rajk geprägt?

Neubeginn für eine unpolitische Generation?

Vor dem eindrucksvollen Budapester Bahnhof Keleti sind wir mit Márió Z. Nemes verabredet. Der 1982 geborene Schriftsteller sieht vor allem Heller und Konrád als Ikonen. "Ich fühle mich ein bisschen alleine jetzt. Man muss sich eigene Strategien überlegen, wie man sich im heutigen Ungarn und im heutigen Europa als Künstler bewegt."
Im Interview erzählt er, wie seine Generation vom Umbruch von 1989 geprägt wurde, warum sie für lange Zeit vor allem unpolitische Lyrik und Prosa verfasst hat und welche Rolle sie im Hier und Heute einzunehmen versucht.

Opposition durch neue Perspektiven

Noémi Kiss ist Schriftstellerin, deren Bücher auch teilweise aus dem Ungarischen ins Deutsche übersetzt wurden. Immer wieder beschäftigt sie sich mit dem Osten Europas. Der Tod von Heller, Rajk und Konrád ist für sie traurig, zugleich hofft sie auf neue Stimmen in den Debatten.
Sie selbst publiziert auch in deutschen Medien und versucht eine neue Perspektive durch die Themen, die sie dabei setzt: "Meine Opposition zu dieser älteren Intellektuellen-Generation habe ich auch damit ausgedrückt, dass ich ganz andere Themen angreife. Mein Thema ist nicht, dass Orbán ein Diktator ist, ich möchte eine viel breitere Perspektive über die ungarische Gesellschaft aufarbeiten und auch zeigen."

Vereinzelung statt Gemeinschaft

Gábór Schein ist Schriftsteller und Dozent für Literatur in Budapest. Er lebt im jüdischen Viertel, wo wir ihn auch treffen. Wir fragen ihn im Kulturpodcast nach der Veränderung und der Notwendigkeit von intellektuellen Vordenkern oder Gemeinschaften für die ungarische Gesellschaft. Schein sagt:
"Solche Gemeinschaften gibt es kaum in Budapest – fast jeder lebt irgendwie auf den eigenen Inseln oder man schwimmt in der eigenen Bahn wie im Schwimmbad. Es gibt diese abstrakte Gemeinschaft, aber die Verkuppelung der Inseln funktioniert eigentlich kaum." Die heutige Jugend Ungarns sei extrem politisch, anders als noch die Generation davor.


Wir feiern: Ein Jahr Lakonisch Elegant!

"Lakonisch Elegant" wird ein Jahr alt und wir laden euch am 01. November nach Berlin, ins R.E.H. in der Kopenhagener Straße ein!
Gemeinsam mit lakonisch eleganten Special Guests wird es einen Live-Podcast mit anschließender Party geben. Wenn ihr dabei sein wollt, dann schreibt uns eine Mail an lakonischelegant@deutschlandfunkkultur.de.

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