Längst vergangenes Begehren

Rezensiert von Edelgard Abenstein · 07.08.2006
Sex im Alter - ein lange tabuisiertes Thema wird in "Am Ende ein Anfang" einfühlsam behandelt. Die Briefe der beiden Protagonisten, der 69-jährige Charlotte und des 73-jährigen Johannes, sind offene Versuche der Selbstbefragung. Auch wenn Barbara Bronnen das offenbar als heikel geltende Thema mit großer Einfühlsamkeit angeht, umschifft sie nicht immer die Klippen von Kitsch und Klischee.
Erstaunlich, dass es so lange gedauert hat, bis sich die Literatur auf ein Thema besonnen hat, das sich seit einer Weile auf die Ratgeberseiten der Frauenzeitschriften durchgekämpft hat: Sex im Alter. Das meint nicht die übliche Konstellation: alter Professor, junge Studentin, auch nicht die von der Erfolgsunternehmerin, die einen metrosexuellen Mittzwanziger an ihrer Seite führt. Es meint eine frische Liebe zwischen Gleichaltrigen jenseits der Pensionsgrenze.

Barbara Bronnen nimmt sich in ihrem Roman "Am Ende ein Anfang" dieses Themas an. Vor über 30 Jahren waren sie schon einmal ein Liebespaar: Charlotte, eine erfolgreiche Fotografin, und Johannes, Leiter eines renommierten Verlages. Nach einer heftigen Affäre entschied sie sich damals für einen anderen Mann. Nun ist sie 69, inzwischen verwitwet, er 73 und von seiner jüngeren Freundin verlassen, als sie sich zufällig zwischen zwei Anschlusszügen in Hannover wiederbegegnen.

Sie beginnen einander zu schreiben, erwartungsvoll und zögernd zugleich. Es sind erstaunlich offene Versuche der Selbstbefragung. Sie breiten ihre Enttäuschungen voreinander aus, unerfüllte Träume, und sie ersparen einander nichts. Schonungslos und unsentimental enthüllen sie ihre Angst vor dem Altsein, der Hinfälligkeit, dem Tod, während sie durch ihre Erinnerungen vagabundieren, an schamlose Liebesnächte, an längst vergangenes Begehren.

Er drängt auf ein Wiedersehen, sie mag sich nicht vorstellen, dass eine alte Geschichte sich reanimieren ließe, zumal sie nach dem Tod ihres Mannes gerade dabei ist, sich auf ein Leben vorzubereiten, das nicht mehr von einem anderen abhängt. Doch dann treffen sie sich, und, was sie nicht für möglich hielt, tritt ein. Ein längst versunken geglaubtes Gefühl wird wach, beide lassen sich neu auf die Liebe ein.

Barbara Bronnen wählt mit der Form des Briefromans für ihr ungewöhnliches Sujet ein fast aus der Mode gekommenes Genre. Das Frage – und Antwortspiel eignet sich bestens für das, was in dem Roman geschieht: Zwei Menschen, die letztlich nichts anderes im Sinn haben, als sich in einem andauernden Dialog auseinander zu setzen, um sich schließlich neu zu finden.

Schon in ihrem letzten Buch, "Du brauchst viele Jahre, um jung zu werden" hat sie diese Form erprobt, als sie eine Großmutter sich den Fragen ihrer Enkelin stellen lässt. "Seltsam - je weniger Lebenszeit vor mir liegt, desto intensiver kann ich lieben", sagt dort die 75-Jährige selbstbewusst über ihr Lebensprogramm.

Auch wenn Barbara Bronnen das offenbar als heikel geltende Thema mit großer Einfühlsamkeit angeht, umschifft sie nicht immer die Klippen von Kitsch und Klischee. So lässt sie ihren Helden ungebremst vom Marlene-Dietrich-Geheimnis in den Augen der Geliebten schwärmen und, arg aufgesetzt, billigt sie ihm sogar späte Vaterfreuden als umfassenden Trost zu.

Dennoch ist der Roman ein überzeugender Versuch über das Glück der späten Liebe, über die Melancholie des Altwerdens und die Erkenntnis, dass der Rest des Lebens unser ganzes Leben ist.

Barbara Bronnen: Am Ende ein Anfang.
Arche Verlag 2006
176 Seiten, 18 Euro