"Kyoto ist ja die Stadt der Kunst und der Bildung"

Marcus Hernig im Gespräch mit Susanne Führer · 27.09.2011
Der Leiter der Villa Kamogawa in Kyoto, Marcus Hernig, hofft zur anstehenden Eröffnung, dass diese eine Wirkung auf den gesamten ostasiatischen Raum entfalten wird. Das sei sein "persönlicher Wunschtraum" für die neue Künstlerresidenz des Goethe-Instituts in Japan, sagte er.
Susanne Führer: Zwei deutsche Künstlerresidenzen im Ausland gab es bisher: die Villa Massimo in Rom und die Villa Aurora in Los Angeles. Jetzt kommt eine dritte hinzu: die Villa Kamogawa in Kyoto. Die offizielle Einweihung durch Bundespräsident Christian Wulff findet zwar erst in einem Monat statt, aber das Haus ist schon geöffnet, die ersten Stipendiaten sind schon in Kyoto, wie auch der künftige Leiter der Villa Kamogawa, Marcus Hernig. Guten Tag, Herr Hernig!

Marcus Hernig: Guten Tag, Frau Führer!

Führer: Die Villa Kamogawa heißt so, weil sie am Fluss Kamogawa liegt, so viel konnte ich schon herausfinden. Aber warum liegt die erste und einzige deutsche Künstlerresidenz in Ostasien in der Stadt Kyoto?

Hernig: Das hat folgenden Grund: Diese Künstlerresidenz ist ja ein Ort, den das Goethe-Institut betreibt. Und wir befinden uns hier in den alten Räumen des Goethe-Instituts Kyoto, das hier schon 1963 seine Pforten eröffnet hat. Das heißt also, es ist eigentlich ein altes Gebäude, ein großes Gebäude, auch ein sehr repräsentatives Gebäude, was jetzt einer völlig neuen Nutzung zugeführt wird.

Und so was gibt es praktisch nur einmal in Ostasien, dass wir ein solches Gebäude haben, das zur Verfügung steht und das man entsprechend dann auch umbauen konnte zu einer solchen Residenz. Und das ist eben jetzt im Jahre 2010, 2011 geschehen.

Führer: Liegt es denn nur daran, dass es da ein Gebäude gab, oder hat es auch was mit der Stadt Kyoto zu tun?

Hernig: Ich denke, es hat auch was mit der Stadt Kyoto zu tun, weil die Stadt selber ja nun auch eine Stadt ist, die wirklich für die Künste steht. Kyoto ist ja die Stadt der Kunst und der Bildung, wenn man mal so will. Nicht nur das Traditionelle, was allein schon durch die 2000 Tempel, die wir hier in der Stadt selber haben, oder durch die viele Theatertradition, die diese Stadt ausmacht, auf der einen Seite haben. Es ist auch das Moderne. Wir haben also viele moderne Kunst- und Art-Festivals hier, im Moment läuft zum Beispiel Kyoto Experiment 2011, das ist ein spezielles Festival, wo es um darstellende Kunst geht, also das läuft praktisch bis in den Oktober hinein.

Kyoto ist in Ostasien, auch wenn man das mal so vergleicht, auch mit anderen Orten, die ich jetzt selber aus eigener Anschauung kenne, vor allen Dingen auch China, schon sehr prädestiniert für einen solchen Ort der Künste und für einen solchen Austausch mit ostasiatischen, spezieller jetzt eben auch japanischen Künstlern.

Führer: Sie haben gerade schon gesagt, Herr Hernig, diese Künstlerresidenz wird vom Goethe-Institut betrieben. Warum hat sich das Goethe-Institut eigentlich dazu entschlossen? Oder anders gefragt: Was ist das Ziel dieser Künstlerresidenz?

Hernig: Um was es hier geht, ist einfach, den Austausch, den interkulturellen Austausch, der für das Goethe-Institut zentral ist, zu fokussieren auf die Arbeiten renommierter Künstler, die hier sind, die sich dann also tiefer und intensiver mit diesem Gastland austauschen können, sodass wir am Ende auch praktisch neue Produkte haben und auch neue Präsentationsformen haben durch diese neue Villa hier.

Denn schließlich ist es ja auch geplant, dass die Künstler nicht nur an ihren eigenen Arbeiten hier arbeiten und damit sich sozusagen während dieser drei Monate, die sie hier ein Stipendium haben, beschäftigen, sondern sie sollen ja auch intensiv interkulturellen Austausch mit Japanern pflegen. Und am Ende wünschen wir uns natürlich, dass diese Dinge, die dann hier entstehen, auch einer größeren Öffentlichkeit sowohl in Deutschland, als auch in Japan präsentiert werden.

Führer: Das war sozusagen schon ein Teil der Beantwortung der Frage, was erwartet die Villa von den Stipendiaten. Und was erwartet die Stipendiaten denn in der Villa Kamogawa?

Hernig: Wir haben großzügigen Platz, wir haben insgesamt hier 2000 Quadratmeter Fläche, wenn man das mal so nimmt, und davon ist ein großer Teil für Ateliers, steht zur Verfügung. Wir haben einen großen Saal, wo zum Beispiel jetzt ein großer Tanzboden ausgelegt ist für die Tanzkünstler, die wir haben. Wir haben aber auch ein Atelier für bildende Künstler draußen. Also, ich denke, es ist schon alles da, was letztendlich für die Arbeit mit Musik oder Kunst oder Tanz, Bewegung, Literatur letztendlich notwendig ist. Die Literaten haben es natürlich auch am einfachsten, die brauchen in der Regel am wenigsten Platz. Also, man kann hier gut leben und arbeiten.

Führer: Marcus Hernig, ab 1. Oktober Leiter der Künstlerresidenz Villa Kamogawa in Kyoto, im Gespräch in Deutschlandradio Kultur. Herr Hernig, die Literaten brauchen am Literaten brauchen am wenigsten Platz, das stimmt schon. Aber sie arbeiten ja mit der Sprache. Und Sie haben gerade gesagt, dass man sich wünscht, einen intensiven Austausch mit den japanischen Künstlern. Wie soll das gehen, die Sprachhürde ist ja doch sehr groß?

Hernig: Die Sprachhürde ist in der Tat groß. Wir versuchen natürlich, am Anfang so ein bisschen Hilfestellung zu leisten, indem wir so einen Japanischkurs für unsere Stipendiaten hier anbieten, der ist auch jetzt gerade angelaufen. Das ist natürlich klar, dass wir es nicht schaffen, in der Zeit auch noch unsere Leute fit zu machen für hinreichende Kommunikation im Japanischen. Aber ich denke – von der Literatur mal abgesehen, die sicherlich da das etwa schwierigste Bindeglied darstellt, weil es tatsächlich über Sprache läuft –, Tanz, Musik oder aber auch Malerei, Fotografie bedürfen ja vor allen Dingen anderer Medien, da geht es ja vor allen Dingen um den visuellen oder um den musikalischen Ausdruck. Und der ist erstaunlicherweise schon doch ziemlich in Linie, wenn man das mal so sagen will.

Also, es gibt sehr viele japanische Künstler, die genau wissen, was in der deutschen Kunstszene läuft, die ähnliche Avantgarde-Gruppen kennen, die wiederum auch für unsere Künstler relevant sind und so weiter. Also, man kennt sich irgendwo und da kommt man auch relativ leicht miteinander ins Gespräch.

Führer: So eine Künstlerresidenz lebt ja logischerweise von ihren Künstlern und unter den ehemaligen Stipendiaten der Villa Massimo oder der Villa Aurora zum Beispiel sind ja einige heute wirklich große Namen wie Hans Magnus Enzensberger, Thomas Demand, Anselm Kiefer, Durs Grünbein und so weiter, und so weiter. Wie werden denn die Stipendiaten für die Villa Kamogawa ausgewählt?

Hernig: Wir haben ein Auswahlverfahren in München, die das Goethe-Institut in der Zentrale in München durchführt. Man kann sich jederzeit bewerben und im Prinzip ist es offen für jeden entsprechend qualifizierten Künstler, sich in diese Programme hineinzubewerben. Und die Bewerberlage ist also recht gut und das überrascht umso mehr, wenn man ja bedenkt, dass Japan nun gerade dieses schreckliche Fukushima-Beben hinter sich hat.

Führer: Ja, nicht nur das, sondern ich habe auch den Eindruck, Japan steht auch gar nicht – abgesehen jetzt von Fukushima, dem Fukushima-Beben –, Japan steht gar nicht so im Fokus des Interesses? Alle Welt spricht über China zurzeit, aber wer spricht über Japan und japanische Kunst?

Hernig: Das ist richtig. Japan ist natürlich im Vergleich zu der großen, sagen wir mal, China-Euphorie der letzten Jahre, die wir ja auch gerade im künstlerischen beobachten können, sehr stark, aber das Interessante ist ja, dass wir mit dieser Villa Kamogawa eigentlich darauf aufmerksam machen, dass wir auch gerade hier in Japan eine sehr lebendige und vielleicht im Vergleich zu China in Teilen auch reifere Kunstszene haben. Wir haben in China sehr viel schnelle Entwicklungen gehabt in der letzten Zeit, von denen aber auch sehr viel schnell wieder verpufft ist.

Ich habe hier in Japan das Gefühl, gerade in den verschiedenen künstlerischen Bereichen, nehmen wir mal nur die darstellende Kunst, die ja in Kyoto wirklich jahrhundertealte Tradition hat, da ist der Austausch schon etwas tiefer oder ist teilweise auch noch ein bisschen an Substanz da. Und das lässt so ein bisschen erhoffen, dass wir durch diese Villa auch wieder den Austausch mit Japan beleben können. Aber hoffentlich auch insofern, das wäre natürlich ein Wunsch, dass es auch weiter ausstrahlt und dieser Ort eben nicht nur auf Japan am Ende irgendwann mal fokussiert ist, sondern dass auch aus China, aus Korea, aus den Nachbarländern ein Interesse an diesem Ort besteht. Das wäre mein ganz persönlicher Wunschtraum.

Führer: Können Sie uns denn die aktuellen Stipendiaten etwas vorstellen?

Hernig: Also, wir haben zurzeit hier fünf Künstler wohnen. Wir haben vier Wohnungen hier, es sind aber fünf, weil eben zwei sind praktisch ein Paar, die wohnen also, teilen sich sozusagen eine unserer beiden größeren Wohnungen ...

Führer: ... Nina Fischer und Maroan el Sani ...

Hernig: ... ja, ganz genau, richtig. Also, die beiden sind Fotografen beziehungsweise Filmemacher und sie haben sich also schon seit einigen Jahren mit Japan beschäftigt, die waren auch Associate-Professoren in Sapporo und haben sich also sehr intensiv auseinandergesetzt mit der Situation der gegenwärtigen japanischen Gesellschaft und auch den Problemen, die Japan also zurzeit hat. Sie fokussieren sich zurzeit eben auch so ein bisschen auf diese Thematik mit ihrem neuen Filmprojekt, was macht Japan oder was machen einzelne Individuen hier in diesem Land nach der großen Katastrophe, die wir jetzt gerade hatten im März in Fukushima.

Dann haben wir zurzeit noch zwei, die sich mit darstellender Kunst beschäftigen beziehungsweise dem Tanz, um es ganz speziell zu sagen. Das ist zum einen der Franz Anton Cramer. Franz Anton Cramer ist mehr ein Theoretiker, der aber einen sehr spannenden Ansatz hat, indem er sagt, mich interessiert vor allen Dingen der zeitgenössische Ausdruck im Bereich Tanz und die Reflexion dieses Zeitgenössischen auf Traditionelles, beziehungsweise wo ist eigentlich die Schnittstelle zwischen dem, was hier zeitgenössisch gerade auch in Japan präsentiert wird – nicht nur in Japan, sondern auch in Deutschland – und wo ist letztendlich ein traditioneller Einfluss letztendlich da, wo schneiden sich diese Dinge?

Und ich denke, das ist auch ein sehr spannendes Thema, weil er genau da in Kyoto ja am rechten Ort ist, weil wir diese lange Tradition zum Beispiel des No-Theaters hier haben, traditionelles japanisches Theater, oder des Kyogen-Theaters, auch das ist sehr traditionell beziehungsweise arbeitet eben sehr viel mit traditionellen japanischen Inhalten.

Und der Zweite ist Thomas Lehmen. Das ist, wenn man so will, der Praktiker, der Darsteller, der Künstler, der sozusagen dann auch selber als Choreograf hier Stücke inszeniert und auch ständig bei uns unten den großen Saal belegt, wo er einen gewaltigen Tanzteppich ausgerollt hat und da eben auch versucht, sein Projekt, was sich ebenfalls auf bestimmte Traditionen Japans bezieht und eben diesen Einfluss dieser, oder diese möglichen Einflüsse eben auf sein eigenes Schaffen.

Führer: Bleibt noch für die Musik Andi Otto?

Hernig: Der Andi Otto ist, wenn man so will, der Jüngste hier in unserer Runde und er ist jemand, der sich an der Schnittstelle ebenfalls zwischen Klassik und Moderne bewegt, wenn man so will, nämlich zwischen dem klassischen Cello-Instrument und eben der elektronischen Musik. Er ist eigentlich jemand, der für die elektronische Musik in gewisser Weise steht und eben auch ein eigenes Projekt entwickelt, das sogenannte Fello-Instrument, das versucht eben, mithilfe von Elektronik, elektronischen Aufzeichnungen, klassische Klänge des Cello zu mischen mit Klängen aus der Natur zum Beispiel und da eben neue Musik und Kreationen zu schaffen.

Und was ihn besonders hier fasziniert, sind so die Bewegungs-, die Umfeldgeräusche, die er hier wahrnimmt. Er ist jetzt also schon seit Tagen dran und nimmt zum Beispiel die Grillen hier auf, die so hier im Umland überall zirpen, ein sehr typisch nicht nur japanischer, überhaupt ostasiatischer Klang, den er dann versucht, eben mit seinem klassischen Cello-Instrument zu kombinieren.

Führer: Und dann haben wir noch für die Literatur Lucy Fricke?

Hernig: Genau, Lucy Fricke ist ja nicht mehr aktuell hier, die war hier. Das war auch gleichzeitig unsere erste Stipendiatin, die trotz Fukushima sich getraut hat, hier hinzukommen. Sie hat das dann auch dokumentiert ins Blogs. Sie hat hier an einem Roman gearbeitet, der in der nächsten Zeit eben herauskommen soll. Und auch da findet sich natürlich Kyoto als ein wichtiger Hintergrund und als ein wichtiger Ort, der im Vordergrund steht.

Führer: Marcus Hernig, ab 1. Oktober Leiter der Villa Kamogawa in Kyoto, der ersten deutschen Künstlerresidenz in Ostasien. Ich danke Ihnen herzlich fürs Gespräch, Herr Hernig!

Hernig: Sehr gerne, Frau Führer!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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