Kurzes Glück

24.05.2011
Julie Orringer erzählt von einem Liebespaar, das das Schlimmste erdulden muss – eine Geschichte im Angesicht der Vernichtung der ungarischen Juden.
Als die Amerikanerin Julie Orringer 2005 mit Erzählungen unter dem Titel "Unter Wasser atmen" debütierte, horchte die Literaturwelt auf. Sie verstand es, das Erwachsenwerden von jungen Mädchen eindringlich zu beschreiben –als ein Kampf gegen Anpassung, als eine "Reise in einem fremden, unversöhnlichen Land".

Nun legt die in Brooklyn lebende Autorin ihr zweites Buch vor - und gleich ist es ein Roman von 800 Seiten. Einige amerikanische Kritiker sprachen von einem neuen "Doktor Schiwago". Dieser Überschwang mag von Orringers unbestrittenem dramaturgischen Handwerk her rühren: Wie scheinbar leicht sie Handlung, Personen und Zeitgeschichte in diesem Mammutwerk zusammenhält - allein dafür kann es nur Applaus geben.

Die Probleme beginnen allerdings bei der sprachlichen Gestaltung dieses Romans. Orringer verwechselt zuweilen Detailgenauigkeit mit Weitschweifigkeit und überrascht bei allem Handwerk mit sprachlichen Ungenauigkeiten – immer wieder driftet sie auch in einen biedermeierlichen Ton ab, der eine nachvollziehbare Geschichte zuweilen mit einer Glasur aus Sprachzucker überdeckt – wenn etwa vom "sprudelnden Gefühl der Freude" die Rede ist oder Bäume "eng anliegende grüne Kleider" tragen.

Was zählt ist nicht ihre Sprache, sondern ihre Geschichte. Orringer siedelt den ersten Teil ihres Buches im Paris von 1937 an. Sie erzählt vom 24-jährigen Architekturstudenten Andras Lévi, der seine Heimat Ungarn verlassen musste, weil dort Juden kaum an Hochschulen zugelassen waren.

In Paris trifft er seine erste große Liebe, die ungarische Balletttänzerin Claire -auch sie Jüdin, auch sie geflohen, allerdings vor ganz greifbaren Nachstellungen rechtsradikaler Kräfte. Sie war eine junge Hoffnung am Königlichen Budapester Ballett gewesen, als Jüdin aber ein Dorn im Auge der Horthy-Regierung. Als sie sich gegen die Nachstellungen wehrte, tötete sie in Notwehr einen Polizisten. Ein Trauma, das sie ihr Leben lang verfolgt.

In Paris fühlte sie sich sicher, doch der Roman erzählt im zweiten Teil von der Verfolgung der ungarischen Juden – und damit auch der beiden Protagonisten und ihrer Familien. Als Andras' französisches Visum abläuft, kehrt er – gemeinsam mit Claire – gegen besseres Wissen nach Ungarn zurück, wird in die berüchtigten Munkaszolgalat-Einheiten eingezogen, einem Strafbataillon für Juden, in denen Tausende gequält wurden - ein bisher selten erzähltes Thema.

Beide gehen durch die Hölle der letzten Kriegsmonate, als die ungarischen Pfeilkreuzler die Budapester Juden deportierten. Dennoch endet der Roman nicht ohne Hoffnung.

Dieser zweite Teil des Buches erinnert an das Lebensthema von Nobelpreisträger Imre Kertész, seinen "Roman eines Schicksallosen". Orringer nimmt den Leser allerdings erst ab Seite 400 mit durch diese Hölle – im Anschluss an eine relativ glückliche Zeit im Paris der späten 30er. Ein zweigeteiltes Buch, dessen Bögen sie dennoch zu spannen weiß.

Nur mehr sprachliche Ökonomie und Genauigkeit hätten diesem beachtenswerten und am Ende erschütternden Roman gut getan.

Besprochen von Vladimir Balzer

Julie Orringer: Die unsichtbare Brücke
Aus dem amerikanischen Englisch von Andrea Fischer
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011
816 Seiten, 24,95 Euro