Kurzbesuch in der Hölle

Von Stefan May · 09.08.2013
Ein sinnloser Fronteinsatz, die Rückkehr in ein völlig zerstörtes Deutschland: So erging es vielen jungen Männern, die noch kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs als "Kanonenfutter" rekrutiert wurden. Erich Loest erzählt in seinem neu aufgelegten Debütroman die Geschichte einer Gruppe junger Rekruten - ein Buch, das man kaum aus der Hand legen mag.
Es ist kein Hurra-Patriotismus, der einem aus den Seiten entgegenschlägt, keine Helden werfen sich mutig dem Feind entgegen. Es sind junge Männer, eigentlich gerade erst erwachsen gewordene Kinder, von deren Schicksal das Buch erzählt.

Ein Jahr vor Ende des Zweiten Weltkriegs werden sie zur Ausbildung zu Reserveoffizieren ins Lager Zeithain in Sachsen einberufen. Allesamt bis dahin keine inneren Gegner des NS-Regimes. Während die Grenzen des Reichs bereits zu bröckeln beginnen, wird in dem Lager getan, als wäre der Krieg weit weg: Die jungen Soldaten, die Spunde, werden erbarmungslos geschliffen, sind der schlechten Laune ihrer Ausbilder wehrlos ausgeliefert. Immer wieder ergeben sich Anlässe zu Pauschalstrafen, außerordentlichen Gefechtsdiensten, Märschen, Kontrollen.

Vom Krieg ahnt man nur, wenn die schlechte Ausrüstung, die karge Verpflegung erwähnt werden. Und dann, mit noch nicht abgeschlossener Ausbildung, werden die Männer an die Ostfront geschickt, Kanonenfutter. Doch die Front bricht zusammen, die Sowjets rücken näher. Es sind nur wenige Tage, die die jungen Männer an der Front verbringen, ein Kurzbesuch in der Hölle.

Erich Loest beschreibt eine Handvoll der Abiturienten in Uniform genauer. Hauptperson des Romans ist der 18-jährige Walther Uhlig, wohl der intelligenteste unter allen, einer, der seinen Willen nicht brechen lässt, der klar sieht und dementsprechend entscheidet.

In weiten Teilen autobiographisch geprägt
Es braucht kein großes Gefecht, um die meisten Kameraden zu verlieren. Und auch Uhlig rettet sich gerade noch. Doch daheim in Chemnitz ist alles zerbombt. Er konnte zwar fliehen, während seine Kameraden entweder fielen oder in Gefangenschaft gerieten. Aber es ist kein Aufatmen: Es gibt nichts zu essen, nichts anzuziehen.

Loest versteht es, das Trauma des kurzen Kriegserlebnisses zu vermitteln: Uhlig, der in der Wehrmacht verbissen Stärke zeigte, hält die Arbeit im Werk nicht aus. Er hat neue Freunde gefunden, lernt das Schieben, geht am Wochenende Tanzen und trinkt viel Schnaps.

Erst als der eine Freund sich eine Geschlechtskrankheit einhandelt, der andere verhaftet wird und Uhligs Freundin ihn verlässt, weil er "ein Lump" zu werden droht, beginnt er über das aktuell geführte Leben nachzudenken. Das ist der Moment im Roman, wo Loest moralisiert, die Botschaft zu vermitteln sucht, dass nur Arbeit dem Leben neuen Sinn geben könne.

Doch abgesehen von dieser Tönung des Textes gegen Schluss gelingt dem Autor ein Roman, den man fast atemlos von Anfang bis Ende liest.

Loest zeigt viele Aspekte auf, die eine Neuauflage dieses ersten Romans des Autors mehr als rechtfertigen: Die Jugend der Protagonisten, die ihnen in den letzten Kriegstagen gestohlen wird; der sinnlose Einsatz an der Front; der Neubeginn mit Nichts, das Überleben ohne Aufatmen, weil das danach erst recht Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit mit sich bringt; das Schiebertum als verführerische Alternative zum mühevollen Wiederaufbau.

Dies ist alles andere als ein Landser-Roman: Er erzählt vom Scheitern, vom schwachen Führungspersonal in der Wehrmacht, von den seelischen Verhärtungen, die ein Krieg verursacht. Und das alles, man muss es sich beim Lesen permanent neu bewusst machen, hat Erich Loest, der viel von dem Geschilderten wohl selbst auch erlebt hat, mit 24 Jahren geschrieben.

Besprochen von Stefan May

Erich Loest
Erich Loest© dpa / picture alliance / Rainer Jensen
Erich Loest: Jungen, die übrigblieben
Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2013
312 Seiten, 14,95 Euro
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