Kurz und kritisch

15.12.2013
Ein verzichtbares Buch, das die Schnüffelpraxis der USA rechtfertigt, ein irritierender, lesenswerter Bericht über ein zweifelhaftes Gefangenenlager im Kosovo und Tagebücher von Susan Sontag.
Es kann wohl passieren, dass die Zeit über ein Buch hinweg rollt. Wenn aber ein Autor im Jahr 2013 die Schnüffelpraxis der USA und ihrer National Security Agency als politische Notwendigkeit darstellt, nur eben etwas größer und wirkungsvoller als in anderen Systemen - dann löst das beim Lesen schon Verwunderung aus. Wenn er darüber hinaus die Spionage bei Freund und Feind rechtfertigt mit einem legitimen Sicherheitsbedürfnis der vom Terrorismus traumatisierten Nation - dann ignoriert und verdreht dieser Autor die Realität eines Landes, das sich gerade in eine gefährliche Isolation zurückzieht.
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Anton Pelinka: "Wir sind alle Amerikaner"© Braumüller Verlag
Anton Pelinka, Politologe aus Wien, tritt in seinem Buch "Wir sind alle Amerikaner" mit der Geste eines gereiften politischen Deuters auf. Dabei deutet er die USA psychoanalytisch als eine Art Spiegelbild, an dem die nicht immer angenehmen Züge des eigenen Ich erkennbar werden. Mag sein, dass die Idee ihren Charme hat. Ihr Problem liegt darin, dass historische Ursachen und Wirkungen allzu leicht durcheinander geraten. Und alle Analyse wird zur absurden Polemik, wenn Harry Truman für Europa wichtiger erscheint als Kaiser Augustus oder Karl der Große, wenn Pelinka auszudeuten versucht, warum der englische Autor John Le Carré die Helden seiner Romane nicht im amerikanischen sondern im britischen Geheimdienst findet und so weiter.
Prädikat für das Buch: sehr verzichtbar.

Anton Pelinka: "Wir sind alle Amerikaner. Der abgesagte Niedergang der USA"
Braumüller Verlag, Wien 2013
Knapp 200 Seiten, 22,90 Euro

Zwölf Jahre hat es gedauert, das Gefangenenlager im Kosovo ist längst verschwunden und die deutschen Soldaten sind abgezogen. Zwölf Jahre hat es gedauert, bis ein Feldwebel von seinem Einsatz im Kosovo schier Unglaubliches berichtet: Im Mai 2001 seien er und seine Kameraden abkommandiert worden, um ein Gefangenenlager der Amerikaner zu bewachen, womöglich ohne rechtliche Grundlage. Denn die Inhaftierten waren aus deutscher Sicht weder Kriegsgefangene noch zivile Häftlinge. Und nicht nur diese Umstände - auch die Fotos, die der damalige Soldat jetzt unter dem Pseudonym Hans Ragnitz veröffentlicht hat, erinnern an das Lager Guantanamo.
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Hans Ragnitz: "Soldatenmann: Zwischen Einsatz, Liebe und geheimen Lagern"© CreateSpace Independent Publishing Platform
War also die Bundeswehr unter dem damaligen Verteidigungsminister Rudolf Scharping an einem zweifelhaften Gefangenenlager beteiligt? Das Verteidigungsministerium heute dementiert nicht, sondern verweist darauf, im Kosovo habe es damals eben "kein funktionierendes Justizsystem" gegeben.
Der Erlebnisbericht kombiniert Politisches mit Privatem, vermengt Fakten und Gefühle und hätte ein besseres Lektorat gebraucht. Wer darüber aber hinwegsieht, erfährt irritierende Ansichten zu dem angeblich friedenssichernden Einsatz der Bundeswehr.

Hans Ragnitz: "Soldatenmann: Zwischen Einsatz, Liebe und geheimen Lagern. Als Militärpolizist im Kosovo"
CreateSpace Independent Publishing Platform, August 2013
Gut 250 Seiten, 12,90 Euro

"Abstieg des Briefs, Aufstieg des Notizbuchs“, vermerkt Susan Sontag 1980. "Man schreibt nicht mehr anderen, man schreibt sich selbst.“ Das hat sie zu diesem Zeitpunkt schon jahrzehntelang getan, regelmäßig, schonungslos und schlampig. Sontags Tagebücher von 1964 bis 1980 sind keine literarische Offenbarung, oft nur hingerotzte psychische Zustandsbeschreibungen voller masochistischer Selbstquälerei. Sie enthalten kaum Politik, kaum Zeitgeschehen, so gut wie keine Analysen. Hier demontiert sich jenseits der Öffentlichkeit eine Ikone der amerikanischen Linken. Substanzielle Beobachtungen sind rar, nur einmal schreibt Susan Sontag Interessantes über Vietnam als den ersten Fernsehkrieg der Geschichte: "Die Amerikaner können nicht, so wie damals die Deutschen, sagen: Wir haben es nicht gewusst. Es ist so, als wäre CBS in Dachau gewesen - mit Podiumsdiskussionen im Deutschland des Jahres 1943, wo einer von vier Deutschen die Meinung vertritt, dass Dachau Unrecht ist.“
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Susan Sontag: "Ich schreibe, um herauszufinden, was ich denke"© Carl Hanser Verlag

Susan Sontag: "'Ich schreibe, um herauszufinden, was ich denke': Tagebücher 1964 – 1980"
Carl Hanser Verlag, Berlin 2013
560 Seiten, 27,90 Euro