Kurz und kritisch

30.11.2008
Als brillanter Verteidiger der Frankfurter Schule erweist sich Günter Rohrmoser in "Kulturrevolution in Deutschland". In Heinrich Deterings "Bertolt Brecht und Lao-tse" erlebt der Leser Brecht als genialen Gedanken- und Sprach-Imitator uralter fernöstlicher Weisheiten und Dan Ariely gibt in "Denken hilft zwar, nützt aber nichts" Einblicke in die Verhaltensökonomie.
Günter Rohrmoser/Harald Seubert: Kulturrevolution in Deutschland. Philosophische Interpretationen der geistigen Situation unserer Zeit
Resch Verlag

Die geistige Situation unserer Zeit - ein weites Feld. Günter Rohrmoser steckt es ab. In diesem Band erweist er sich als brillanter Exeget und Verteidiger der Frankfurter Schule. Man müsse deutlich machen, schreibt er, "daß die Theorie der Dialektik der Aufklärung eine Theorie des Desasters der Aufklärung in der Gegenwart ist, das durch die Ausbildung eines neuen Typus totalitärer Herrschaft zutage tritt" - wohlgemerkt, hier geht es um das Hauptwerk von Horkheimer und Adorno. Rohrmoser beleuchtet, wie Horkheimer die ökonomischen Kategorien des Marxismus zugunsten einer Anthropologie und damit vor allem der Familie aufgibt. Er zeigt, wie die auch im heutigen Deutschland betriebene Auflösung der Familie den Totalitarismus vorantreibt. Um die geistesgeschichtliche und damit politische Bedeutung der - nicht nur deutschen - Kulturrevolution von '68 zu verstehen, ist diese Schrift des vor wenigen Wochen verstorbenen Philosophen eine erhellende Lektüre.


Heinrich Detering: Bertolt Brecht und Laotse
Wallstein Verlag, Göttingen.

Wissen wir genug über Bertolt Brecht, unseren Groß-Dichter mit politischem Anspruch? In diesem überraschenden Buch erleben wir Brecht, den Salon-Kommunisten, als Brecht, den Salon-Chinesen, als genialen Gedanken- und Sprach-Imitator uralter fernöstlicher Weisheiten. Heinrich Detering dokumentiert, über welche Autoren - wie etwa den Expressionisten Klabund - die deutsche Literatur der Jahrhundertwende dem Einfluss von Laotse und Li-tai-pe geöffnet wurde. Detering verweist auf Kafka, Heidegger, Bloch, Toller, Döblin und natürlich auf Hermann Hesses "Siddartha". Selbst Max Weber beschäftigte sich wissenschaftlich mit "Konfuzianismus und Taoismus". Ganz ausdrücklich bekennt sich Brecht zum Taoismus. Sein berühmter "Kaukasischer Kreidekreis" ist ein gelungenes Remake alter taoistischer Vorlagen. Zu überlegen ist sogar, ob nicht der ganze Brecht ein gelungenes chinesisches Remake ist. Einmal gefragt, welcher Text ihn am stärksten geprägt habe, antwortete Brecht bekanntlich: die Bibel von Martin Luther. Das muss man nach der spannenden Lektüre von Deterings Buch wohl ergänzen: Martin Luther und Laotse.


Dan Ariely: Denken hilft zwar, nützt aber nichts
Droemer Verlag, München.

Was ist Verhaltensökonomie? Eine junge Wissenschaft; sie untersucht - vor allem im Experiment - wie unsere Wirklichkeit sich formt und unser Verhalten bestimmt. Dan Ariely ist Professor für diese Fachrichtung, er lehrt Behavioral Economy am Massachusetts Institute of Technology und hat seine erstaunlichen Forschungen in einem erfolgreichen Buch veröffentlicht, das jetzt auch auf deutsch vorliegt. Darin führt er vor, wie berechenbar und manipulierbar wir Menschen sind. Und dass viele unserer Entscheidungen nicht vom Verstand bestimmt werden. Wie wir bei Ariely sehen, herrscht nur selten - gehe es um Kaufverhalten, Wahrheit, Moral, Sexualität, oder Selbstwahrnehmung - nur sehr selten die Ratio. Was tun? Arielys spannende Versuchsergebnisse lesen und die eigenen Handlungen besser reflektieren. Sehr zu empfehlen.


Lektüretipp von Alexander Graf Lambsdorff: "Die Stille ist ein Geräusch: Eine Fahrt durch Bosnien" von Juli Zeh, Schöffling Verlag, Frankfurt
Günter Rohrmoser/Harald Seubert: Kulturrevolution in Deutschland
Günter Rohrmoser/Harald Seubert: Kulturrevolution in Deutschland© Resch Verlag
Heinrich Detering: Bertolt Brecht und Laotse
Heinrich Detering: Bertolt Brecht und Laotse© Wallstein Verlag
Dan Ariely: Denken hilft zwar, nützt aber nichts
Dan Ariely: Denken hilft zwar, nützt aber nichts© Droemer Verlag