Kunstwerke des Understatements

Von Brigitte Neumann · 26.12.2008
Truman Capote war eine zwiespältige Figur. Er war selbst Teil des Jetsets und verachtete zugleich den Promikult. In seinen Reportagen porträtierte er zahlreiche Stars schonungslos, teileweise ohne ihnen jemals begegnet zu sein. In "Die Hunde bellen" lässt sich nun ein Teil seiner Reportagen nachhören.
Was leicht daher kommt, ist oft schwer erarbeitet. Das sagen etliche Schriftsteller, so auch der Autor Truman Capote über seine journalistischen Texte. "Schlicht sollen sie sein, meine Sätze, und klar wie ein Gebirgsbach", hatte er sich vorgenommen. Und das macht auch heute noch ihre große Qualität aus.

"Selbst wenn er die Nächte am Pokertisch durchgezockt und sich zum Frühstück gerade mal ein Glas Brandy hinter die Binde gekippt hatte, er war pünktlich am Set, fertig geschminkt und absolut textsicher. (Nun gut, sein Text war mehr oder weniger immer derselbe, aber es gibt kaum etwas Schwierigeres, als hier keine Monotonie aufkommen zu lassen.)"

Exemplarisch für Capotes Können soll hier das Kurzporträt des Schauspielers Humphrey Bogart stehen. Es umfasst genau 36 Zeilen. Trotzdem scheint es alles Wesentliche über diesen Menschen zu enthalten. Capote hat Bogart offenbar noch nicht einmal getroffen, um diese Skizze schreiben zu können, sondern schöpfte aus dem, was er über ihn gehört hatte oder auf Promi-Parties miterlebte.
Humphrey Bogart verfügte über einen sehr reduzierten Wortschatz oder war am Sprechen nicht sonderlich interessiert. Jedenfalls hatte er genau zwei Begriffe, um Menschen zu klassifizieren: Profi und Penner.

"Nein, an Bogart war jeder Zoll Profi. Als Schauspieler vertrat er keine spezielle Theorie (abgesehen von der Notwendigkeit hoher Gagen), er hatte keine Zicken, aber sehr wohl Temperament. Und weil er begriffen hatte, dass seine Kunst zum größten Teil auf Disziplin beruhte, hat er bis heute überlebt und allen Filmen, in denen er spielte, seinen Stempel aufgedrückt."

Truman Capote war ein zerrissener Mensch, der wenigstens sein Schreiben deutlich und einfach halten wollte. Der Regisseur, Schauspieler und Buchautor Hanns Zischler verleiht Capotes journalistischen Texten mit seiner sachlichen und wenig zur Exaltiertheit neigenden Stimme genau den richtigen Ausdruck.

Im Vorwort zu einer ersten Gesamtausgabe seiner Reportagen und Porträts schrieb Truman Capote, dass er sich zu Beginn seiner Arbeiten für den New Yorker, für Esquire oder Vanity Fair die Frage gestellt hätte: "Was ist die niederste Stufe des Journalismus? Anders gefragt: Welcher Dreck lässt sich am schwersten zu Gold machen? Antwort, ganz klar: Interviews mit Hollywood-Stars, dieses unerträgliche Promi-Gelaber, das man in Filmzeitschriften üblicherweise zu lesen kriegt."

Und er hat sie zu Gold gemacht, seine Promi-Geschichten. Angefangen bei der über Marlon Brando, die es leider nicht ins Hörbuch geschafft hat. Über – nur um ein paar zu nennen - Charlie Chaplin, Jean Cocteau, André Gide und Liz Taylor:

"Ähnlich wie bei Mrs. Onassis waren ihre Beine zu kurz für den langen Oberkörper und der Kopf wiederum zu groß für ihre gesamte Figur. Aber ihr Gesicht, das Gesicht mit den zartlila Augen war der Traum aller Strafgefangenen und das Ideal jeder Sekretärin: unwirklich, unerreichbar und zugleich scheu und verwundbar, also sehr menschlich, nicht zuletzt durch dieses misstrauische Flackern hinter den zartlila Augen."

Derart sachlich und wenig schmeichelhaft erläutert Truman Capote die körperlichen Gegebenheiten und erotischen Potenzen einer Diva. Es ist eine Analyse auf Augenhöhe. Schließlich war er selbst eine.
Mit der Weisheit des traumatisierten Kindes, das elternlos aufwachsen musste und zeitlebens seinen Mangel nicht stillen konnte, erkennt Capote den Narzissmus seinesgleichen: Das, was Liz Taylor mit anderen Schauspielerinnen wie Judy Garland und Marilyn Monroe verbindet:

"Nämlich eine Art emotionaler Extremismus, das gefährliche Bedürfnis, mehr geliebt zu werden als selber zu lieben."

Marilyn Monroe war eine Freundin Truman Capotes. Und er protokolliert einen Tag, der mit der Beerdigung ihrer Schauspiellehrerin beginnt. Und in einer Kneipe endet.

"Während ich die Rechnung beglich, verschwand sie auf die Damentoilette. Ich wünschte, ich hätte etwas zu Lesen dabeigehabt, denn ihre Aufenthalte dort dauerten oft so lang wie die Tragzeit eines Elefanten. ... Nach zwanzig Minuten wollte ich der Sache nachgehen. Vielleicht hatte sie eine Überdosis genommen oder sich die Pulsadern aufgeschnitten."

Aber nein, entwarnt Capote. Sie hatte nur Beruhigungstabletten eingeworfen und bürstete sich nun selbstvergessen das Haar.

"Sie ist ein bildhübsches Kind. Ich meine das nicht rein äußerlich. Ich halte sie auch nicht für eine Schauspielerin, nicht im traditionellen Sinn jedenfalls. Aber sie besitzt diese gewisse Präsenz, dieses innere Strahlen, diese plötzlich aufblitzenden Intelligenz, die auf der Bühne nie sichtbar würde. Das alles ist so zart und zerbrechlich, dass nur eine Kamera in der Lage ist, solche Momente festzuhalten."

Truman Capote führte all seine Interviews ohne Aufnahmegerät oder Notizblock. Er rekapitulierte das Gesagte aus seinem Gedächtnis, das er extra dafür trainierte. Das tue er, um die Vertraulichkeit der Situation nicht zu gefährden, war seine Begründung. Zum Schluss seiner Karriere war das Vertrauen trotzdem dahin. Denn er hatte seine Freunde aus der besseren Gesellschaft vor den Kopf gestoßen, indem er Indiskretionen veröffentlichte und einen Enthüllungsroman ankündigte.

Hanns Zischler hörend, wie er die Porträts von Truman Capote liest, diese Kunstwerke des Understatements und der beiläufigen Klugheiten, da scheint die Welt auf einmal viel weniger kompliziert. Eher: handhabbar. Und vielleicht keimt ja an dieser Stelle die Lust, die restlichen Seiten von "Die Hunde bellen" nun selbst zu lesen.

Truman Capote: Die Hunde bellen. Begegnungen mit wahren, manchmal auch berühmten Menschen
Gelesen von Hanns Zischler
Kein & Aber Verlag 2008
2 CDs
Spieldauer: 150 Minuten, 19, 90 Euro