Kunstprojekt "Woher Kollege Wohin Kollege"

Der Müllmann als Künstler - eine Münchner Erfolgsstory

Marc Provencal mit seinem Sohn Martin Kollmann, auf dem Tisch liegen Zeitungsausschnitte und Folder, die über das Kunstprojekt "Woher Kollege Wohin Kollege" berichten
Marc Provencal mit seinem Sohn Martin Kollmann, auf dem Tisch liegen Zeitungsausschnitte und Folder, die über das Kunstprojekt "Woher Kollege Wohin Kollege" berichten © Deutschlandradio / Georg Gruber
Von Georg Gruber  · 16.05.2018
Vor mehr als einem Jahrzehnt wurden 28 Münchner Müllmänner mit Herkunft aus 23 Nationen in einem umgebauten Müllauto auf Reisen geschickt. Sie kamen zurück mit einem Foto - "ihrem" Bild von Heimat -, das dann auf ihr Müllauto montiert wurde. Wir erinnern an ein Aufsehen erregendes Kunstprojekt.
Zoran Nidzarevic war der erste, der sich damals auf die Reise machte, im Februar 2002. Mit einem umgebauten Müllauto. Im Laderaum ein Tisch, ein Stuhl, ein Bett.
"Mein Ziel war: In Restjugoslawien zu einem Gestüt zu fahren."
Jockey war er gewesen, bis in die 70er Jahre. Das Bild, das er von der Reise in seine alte Heimat mitbrachte, zeigt ihn auf einem Pferd auf der Rennbahn. Mit auf dem Foto: das orange-farbene Münchener Müllauto.
"Dieses Gestüt - das war richtig meine Heimat. Das hat mir meinen Weg ins Leben gegeben."
"Empfangshalle" nennen sich die Künstler Michael Gruber und Corbinian Böhm, die beiden haben sich das Projekt ausgedacht. Sie gewannen damit einen Wettbewerb für Kunst am Bau für einen neuen Carport der städtischen Müllbetriebe in München. Sie hätten sich nicht für das Bauwerk interessiert, sondern für die Menschen, die dort arbeiten, die Müllmänner, erzählt Michael Gruber:
"Wir haben mit denen ein Bild entwickelt und zwar war zunächst ein inneres Bild. Also, wir haben gefragt: Okay, wenn du jetzt an deine Heimat denkst und die Augen schließt und drüber nachdenkst, welche Bilder entstehen da in deinem Kopf, was ist da wichtig, was macht das aus für dich, Heimat? Und diese Bilder konnten die ganz gut beschreiben und dann haben wir gesagt: okay, und wenn Du jetzt die Chance hast, ein einziges Bild als Foto zu machen, was wäre da drauf? Und so haben uns die Müllmänner das genau beschrieben und das ist der Anfang."

In Ghana entstand ein Dokfilm

28 Müllmänner machten sich schließlich auf die Suche nach ihrem Bild von Heimat.
Gruber: "Der kürzeste Weg war sicher nach Neuperlach und das weiteste war nach Ghana, und zwischendrin gab es alles Mögliche, Kroatien, Türkei, was gab es noch, Kiew."
Böhm: "Kiew gab’s, Trabzon, natürlich einige Reisen in die Türkei, Kasachstan."
Marc Provencal reiste für das Projekt in seine Heimat nach Ghana, auf der Suche nach seiner Mutter, die er fast 30 Jahre nicht gesehen hatte. Er wusste, als er losfuhr, noch nicht einmal, ob sie noch lebt. Sein Vater hatte ihn mit fünf Jahren zu sich geholt, vom Dorf in die 200 Kilometer entfernte Hauptstadt Accra.
Ein Filmteam begleitete Marc Provencal für einen Dokumentarfilm auf dieser Reise, die ihn zunächst zu seinem Vater führte.
Auf dem Foto, das Marc Provencal in Ghana aufnahm und nach München mitbrachte, sind die Mutter, das orangene Müllauto und viele weitere Menschen zu sehen.
"Ich habe gemeint ein Bild nur mit meiner Mutter und den Stiefbrüdern und Schwestern. Aber dass das ganze Dorf! Es war wirklich ein Erlebnis, das ich nicht erwartet habe, wirklich, es war schön. Schöner Moment."

Foto mit dem ganzen Dorf fuhr durch München

Dieses Foto mit dem ganzen Dorf wurde dann auch auf sein Müllauto montiert, mit dem er dann durch München fuhr. Auf seiner täglichen Müllabfuhr-Tour wurde er oft angesprochen.
"Die Bürger sind begeistert: Oh, du warst hier! Es hat nur Komplimente gegeben."
Marc Provencal hat die Zeitungsartikel über das Projekt gesammelt. Viele sind mit Foto von ihm, dem schwarzen Müllmann, der bei der Arbeit immer einen bayerischen Filzhut auf dem Kopf trug. Am schönsten war für ihn allerdings nicht das Treffen mit seiner Mutter, sondern dass ihn sein Sohn Martin auf der Reise begleitete, den seine Frau, eine Deutsche, mit in die Ehe gebracht hatte.
"Dass mein Sohn dabei ist, nicht nur ich alleine, ich habe meinen Sohn dabei, es war das schönste, wirklich es war eine schöne Zeit, er war dabei und die ganze Familie daheim war sprachlos."
Martin Kollmann arbeitet auch bei der Müllabfuhr, das Kunstprojekt war auch für ihn ein besonderes Erlebnis.
"Heutzutage ist es nicht schlecht, dass man Projekte macht, die Leuten die Augen öffnen, Ausländerpolitik wird oft pauschalisiert und wenn man den Film sieht und sieht, dass es Leuten nicht so gut geht wie uns, dass man da Verständnis aufbaut. Dann kann man vielleicht auch Flüchtlinge verstehen, wenn sie ihr Land verlassen."

"Dass die Kunst alles richten soll, das ist uns fremd"

Der Film ist geblieben, wird immer mal wieder gezeigt, die meisten Fotos sind Vergangenheit. Fünf Jahre fuhren die Müllautos damit durch die Stadt. Das Foto von Marc Provencal hängt noch heute in der Kantine des Betriebshofes Ost der Münchner Müllabfuhr. Kunst kann Brücken schlagen, heißt es im Vorwort der Studie und an einem neuen gemeinsamen Wir-Gefühl mitwirken. Was halten die beiden Künstler von dieser These? Michael Gruber:
"Ich denke, die Brücken muss man nicht schlagen, es gibt überall Brücken, man muss einfach nur drüber gehen. So war es ja auch hier, wir sind durch die offene Tür gerannt, man muss einfach nur schauen, wo der andere steht und jeder kann in jeder Lebenssituation eine Brücke nehmen."
Ihr Ziel war es nicht, ein multikulturelles Kunstwerk zu erschaffen, um die Welt zu verbessern.
"Das ist zugespitzt, aber dazu stehen wir. Ich finde es momentan auch schon manchmal etwas problematisch, wenn man sagt: Okay, was machen wir jetzt mit Migranten? Ach, dann holen wir uns jetzt Künstler dazu und dann machen die ein Projekt. Das macht überhaupt keinen Sinn. Also, dass die Kunst alles richten soll, das ist uns fremd, wir sind keine Sozialarbeiter, aber wir sind sehr interessiert daran, was es gibt, andere Menschen mit anderen Erlebnissen, die haben ja auch was zu bieten, das ist auch sehr interessant."
"Wir schaffen Bilder und in dem Fall sind die Bilder wirklich verbindend geworden."
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