Kunstmuseum Bonn zeigt Spätwerk von Hans Hartung

"Eine Art Vermächtnis"

Der französisch-deutsche Maler Hans Hartung vor einem seiner Gemälde.
Hans Hartung gehörte zu den bedeutendsten Malerpersönlichkeiten des 20. Jahrhundert. © picture-alliance / dpa / Morvan Remy Le
Von Rudolf Schmitz · 23.05.2018
Hans Hartung galt in den 50er- und 60er-Jahren als ein Weltstar der sogenannten informellen Malerei. In seinem Atelier in Antibes entstand bis zu seinem Tod sein experimentelles Spätwerk, das nun das Kunstmuseum Bonn zeigt.
Schwarze Linienbündel vor schwebenden farbigen Hintergründen – so kennt man Hans Hartung aus den späten fünfziger Jahren. Das Kunstmuseum Bonn besitzt ein solches Bild aus dem Jahr 1962. Damals war Hartung ein Star der abstrakt gestischen Malerei, ein gerühmter Protagonist der "École de Paris". Mit dem Aufkommen von Pop und Minimal Art war es dann mit seinem Ruhm vorbei. Hartung galt als Maler "von gestern". Er schien den Muff der 50er-Jahre zu verkörpern, den man schnellstens vergessen wollte.
"Ja, unser Ziel war, ihn einfach aus dem Ghetto der 50er-Jahre zu befreien, aus diesem Ghetto der Nachkriegskunst, die natürlich – das ist der Vorwurf der Amerikaner an die Franzosen gewesen – immer ein bisschen parfümiert ist. Und das ist auch nicht völlig falsch, würde ich sagen. Je älter er wird, desto frischer wird er", sagt Kurator Christoph Schreier.

Selten oder nie gezeigte Bilder

Das Kunstmuseum Bonn zeigt in seiner Hans Hartung-Ausstellung nun selten oder nie gezeigte Bilder aus dem Besitz der Fondation Hans Hartung und Anna-Eva Bergmann in Antibes. Die Formate werden groß und immer größer, die Farben – Gelb, Pink, Lila, Hellgrün – frech und jugendlich. Sie werden aufgespritzt, aufgeblasen, aufgeschlagen mit Reisigbesen, Rechen oder Palmwedeln. Es ist, als hätte Hans Hartung tief Luft geholt, neuen Atem geschöpft, mit Armen und Händen gewirbelt.
Christoph Schreier: "Also da entstehen diese duftigen Bilder, die er mit Kompressoren gemalt hat. Er tritt auch von der Leinwand weg, er arbeitet nicht mehr kontinuierlich mit dem Pinsel, er sucht eben das Bild in eine Distanz zu rücken und Licht-, Farbphänomene zu produzieren, die bei ihm aber immer Bild bleiben. Aber auch im Bild ist natürlich viel Experimentelles möglich".
Um diese Experimentierlust zu würdigen, sollte man wissen, dass Hartung schwer verletzt aus dem Zweiten Weltkrieg kam, in dem er in der Französischen Fremdenlegion gegen Nazideutschland gekämpft hatte. Ihm war ein Bein amputiert worden, im Alter saß er im Rollstuhl, von wo aus er seine Leinwände mit dem Reisigbesen oder der Spritzpistole traktierte. Das Kunstmuseum Bonn zeigt in Vitrinen die Gerätschaften, deren sich Hartung für sein Action Painting bediente: Kämme, Rechen, Bürsten, Schaber, Palmbündel.

Eine Reihe von Hartung-Enthusiasten

Christoph Schreier: "Er hat ein Resevoir an unterschiedlichsten Utensilien gehabt, die er einfach dann mal durchnummeriert hat und hat das dann fotografiert. Und er konnte dann die Bürste H17 benennen, die er dann für sein Bild benötigt hat. Das war eine Art Systematisierung, Vorbereitung für die künstlerische Produktion, die dann aber relativ schnell vonstatten ging."
Unwillkürlich denkt man angesichts dieser späten Bilder an heutige jüngere Künstler. Aufgespritzte schwarze Schlieren und zersplitternde Farbpartikel vor blau schwebendem Hintergrund: das erinnert an Fotoformate von Wolfgang Tillmans.
Christoph Schreier: "Katharina Grosse hat in unserem Katalog einen kleinen Essay geschrieben, der sich auf Hartung bezieht. Das liegt irgendwie nahe, auch sie sprüht Farbe. Es gibt eine Reihe von Hartung-Enthusiasten: David Reed schätzt ihn sehr, Christopher Wool hat das Atelier besucht."
Im zentralen Saal dann Werke, die Hans Hartung kurz vor seinem Tod gemalt hat.

Eine Art Vermächtnis

Christoph Schreier: "Man hat fast das Gefühl, es ist so eine Art Vermächtnis, was da bildnerisch formuliert wird, aber das Schöne ist, wenn man die im Raum zusammen sieht: Sie haben sehr unterschiedliches Temperament. Es gibt die zarten, die lyrischen, es gibt die aufsprühenden, eruptiven, und es gibt die dunklen Abgesänge. Also man hat im Grunde eine ganze Klaviatur an Gefühlen, die sich da zeigt. Und das macht vielleicht auch die Intensität der Ausstellung aus."
Ein Maler wird vom Kunstmarkt vergessen, zieht sich in sein Atelier zurück, besinnt sich seiner Experimentierlust, erfindet sich neu. Noch einmal stürzt er sich in ein Gefecht, dessen Frontlinie und dessen Einsätze er selbst bestimmt. Und verschwendet sich dabei. Allein dieser Energieausbruch macht die Bonner Ausstellung zu einem Erlebnis. Da kann man nur den Hut ziehen. Auch vor dem, was malerisch dabei herauskommt.
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