#kunstjagd - Teil 4

Hilfe aus dem Altersheim

Von Fredy Gareis  · 11.06.2015
Ein Bild verhilft einer jüdischen Familie zur Flucht aus Nazi-Deutschland. Wo steckt es heute, 77 Jahre später? Auf Deutschlandradio Kultur berichten vier Reporter von ihrer Suche. Dieses Mal hoffen sie auf die Hilfe eines Zeitzeugen, der in einem Altersheim in den USA lebt.
Es ist Halbzeit bei der Kunstjagd, drei Wochen sind vorbei, drei liegen noch vor uns. Für ein paar Tage haben wir uns jetzt aufs Land zurückgezogen, um uns zu sortieren.
Edward Engelberg ist erst heute Abend erreichbar. Bis dahin nutzen wir die Zeit und zeichnen unsere bisherigen Rechercheergebnisse auf Packpapier auf.
Das war die Gemäldespur bis jetzt und die Frage ist, können wir jetzt noch was anderes ausrichten, als diesen Spuren nachzugehen?
Unsere Gedankenstütze auf Papier hängt groß an der Wand und wir versuchen mit neuen Augen auf die verschiedenen Verbindungen zu schauen.
Ja, schon klar....Den Thormann Sachen nachgehen, auf Hinweise über das Fahndungsplakat hoffen, Edward das Ding zeigen, Pauer kontaktieren, weil er dieses eine gerollte Gemälde gehandelt hat.
Wir hoffen sehr auf den heutigen Abend. Kann der 86-jährige Edward Engelberg eines der Bilder identifizieren? Der heißeste Kandidat ist für uns das aufgerollte Gemälde. Die Kunsthandlung Pauer, die Christian eben erwähnt hat, hat das Stück in einem ganzen Konvolut von Steins gekauft. Seit Tagen versuchen wir, den Inhaber zu erreichen.
"Hallo. Sind Sie Herr Pauer? Schön, dass sie zurückrufen."
Eigentlich wollten wir in die Schweiz fahren, aber nachdem Pauer einem Treffen zusagt, werfen wir unseren Plan um. Und fahren wieder nach Leipzig. Mit Edward Engelberg telefonieren können wir auch dort. Auf dem Weg noch ein Stopp in Berlin, bei Sybille Böhme. Ihre Großmutter Erna war der Grund, warum Otto Stein seine Zeit in Chemnitz als die glücklichsten Jahre seines Lebens beschrieben hat.
Kunstjagd
Kunstjagd© FtM - Follow the money
"Irgendwas macht das Bild mit mir"
Sybille Böhme hat für uns auf einem Biedermeiertisch alles, was sie neben ihren Gemälden und zahllosen Zeichnungen an Material von Stein besitzt, ausgestellt:
Böhme: "Also ich habe jetzt mal nachgeschaut, die ganzen Adressen, die Stein ja selbst geschrieben hat - und der Name Engelbert kommt nie drin vor."
Wir hätten nie gedacht, dass es so schwer ist, diese Verbindung nachzuweisen. Einmal müssten sie sich persönlich begegnet sein, denn bei Edward Engelberg in Portland hängt eine Zeichnung, signiert von Stein selbst. Dazu die Widmung: Herrn Engelberg.
Während wir in Böhmes Stein-Schrein weiter nach Hinweisen suchen, kommen wir auf das Thema Erinnerung zu sprechen.
Böhme: "Und das kann natürlich hier, bei diesem Herrn Engelbert in seiner Erinnerung, er ist fast 90, er war neun. Das ist die Frage, die wir uns auch stellen, wie belastbar ist diese Erinnerung. Tja, genau, vieles was so erzählt wird, wird dann Wahrheit."
Am Abend sind wir in Leipzig, warten darauf, dass es endlich 23 Uhr ist. Seit unserem persönlichen Treffen vor fast sechs Monaten hatten wir nur per Email Kontakt mit Edward.
"Hi Edward...how are you?"
Fast 15 Flugstunden entfernt sitzt Edward auf seiner Couch im Altersheim und schaut sich die Bilder an, die wir ihm geschickt haben.
Engelberg: "No. No. No."
Und schließt eines nach dem anderen aus. Auch das aufgerollte, das wir als unsere heißeste Spur angesehen hatten.
Engelberg: "Ich erinnere mich an eine Frontalansicht, so wie auf dem anderen Bild. Es war kein Profil."
Aber dann bleibt er hängen.
Engelberg: "Es ist das dritte, ja. Es ist braun und ich habe dir ja gesagt, es war braun. Außerdem sieht die Frau meiner Mutter ähnlich. Irgendwas macht das Bild mit mir."
Damit hatten wir überhaupt nicht gerechnet.
Engelberg: "Es tut mir leid, aber das dritte ist das einzige Bild, das für mich Sinn ergibt."
Wir trennen die Verbindung und hoffen den alten Mann nicht überfordert zu haben mit dieser digitalen und transatlantischen Fahndung.
"Ok. We will be in touch, right? Yes. Ok, thank you so much for your time. All the best. Thank you Edward!"
Unsicherheit und Zweifel als ständige Begleiter
Sofort fangen wir an zu diskutieren, schauen Bild Nr. 3 im Werksverzeichnis nach. Dort steht nur: im Privatbesitz. Und: Öl auf Karton. Und der lässt sich nun wirklich nicht aufrollen.
Kurz bevor wir ins Bett gehen, erreicht uns noch eine Email von Edward. Es ist ein Auszug aus seinen Memoiren, an denen er gerade arbeitet.
"Erinnerungen haben ihren ganz speziellen Platz in unseren Köpfen. Um unsere eigene Vergangenheit zu bewahren, brauchen wir einen geschützten Raum und der ist schwer zugänglich. Wieviel von unseren Erinnerungen ist schon wahr? Was davon ist durcheinander geraten, was ist ausgedacht – nicht absichtlich, sondern weil uns jemand immer wieder erzählt hat, dass es so passiert ist. Obwohl wir uns daran vielleicht anders erinnern."
Alle Fakten, die wir überprüfen konnten, haben wir überprüft. Aber bei dieser Geschichte begleiten uns trotzdem immer Unsicherheit und Zweifel.
"Unser Bedürfnis uns zu erinnern, zwingt uns gewissermaßen zur Restaurierung, aber dieser Prozess ist in gewisser Weise zum Scheitern verurteilt. Weil es nie gelingt, das Original wiederherzustellen – genauso wie die Restaurierung eines verblassten Gemäldes niemals perfekt sein kann."
Es ist inzwischen 3 Uhr morgens. Wir haben einen heißen Kandidaten, und können diesen gleichzeitig fast ausschließen. Dennoch: Was bleibt uns anderes übrig, als dieses Bild zu finden und seinen Weg zurückzuverfolgen? Nur so haben wir eine Chance, der Wahrheit Stück für Stück näher zu kommen.
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