Kunst und Therapie

Von Julika Tillmanns · 21.08.2012
Nicht nur Künstler und Künstlerinnen sind an der documenta beteiligt, sondern auch viele andere Menschen. Einer von ihnen ist Doris Gutermuth: Sie ist Kasselerin, Psychoanalytikerin und – "worldly compagnion". Das heißt: Sie begleitet in diesem Sommer Besuchergruppen über die documenta (13).
"Wir beginnen also heute unsere d-tour, die das Thema hat 'Unterbrochene Objekte - Was bleibt von den Dingen'. Hier am Friederichsplatz ... "

Doris Gutermuth begleitet eine Besuchergruppe durch die documenta (13). Vom Friedrichsplatz aus geht es in die documenta-Halle, in den Raum von Yan Lei. 360 Bilder hängen hier dicht an dicht.

"Die High Heels. – Der Eisberg und der Pelikan im Schnee. - Ich hätte gern das Bild des Künstlers, dass das bleibt. – Wir haben überlegt... "

Die documenta erprobt in diesem Jahr ein neues Vermittlungskonzept. Nicht nur Kunsthistoriker sollen diesmal durch die Ausstellung "führen", sondern vor allem Menschen, die ein Wissen aus anderen Berufen mitbringen. Und einen persönlichen Bezug zu Kassel. Als Gutermuth im vergangenen Herbst die Anzeige in Kassels Regionalzeitung las, der "Hessisch Nassauischen Allgemeinen", war sie rasch entschlossen.

"Und dann las ich, dass die Pressesprecherin der documenta sagte, die documenta (13) wird ein Bewusstseinszustand sein, und das natürlich mir als Psychoanalytikerin, das war natürlich eine Steilvorlage, und da dachte ich: ja, ich bewerbe mich."

Doris Gutermuth ist Mitte 50. Sie kleidet sich gern schwarz, bei großer Hitze mit Hut. Fragt man die damenhafte Erscheinung nach ihrer persönlichen documenta-Geschichte, holt sie weit aus. Ihre Erzählung beginnt bei einem pränatalen Besuch der documenta 1.

"1955 war meine Mutter mit mir schwanger, und sie hat dann von diesem Ereignis immer mal wieder erzählt, wie besonders das war, als sie hier die Karlsaue erlebt hat zur Bundesgartenschau. Und damals war ja die documenta künstlerisches Begleitprogramm, und dass sie sagte, das sind eben ganz besondere Erlebnisse gewesen, wie diese blühende Oase in diesem kriegszerstörten und immer noch deutlich zerschundenen Stadtbild sich so einfach einstellte, und dass diese Kunstobjekte überlebt hatten. Und sie hatte ja auch überlebt und mein Vater, das will ich vielleicht auch noch dazu sagen: Er war Spätheimkehrer, und sie hatte das alles überlebt, und sie war, glaube ich, in mehrfacher Hinsicht guter Hoffnung."

Seit 1972 ist Gutermuth auf eigene Faust auf den documenta-Ausstellungen unterwegs. Sie kann von eindrucksvollen Begegnungen mit Josef Beuys erzählen, davon, wie sie die verschiedenen documenta-Leiter kommen und gehen sah und welche Ausstellungen ihr besonders im Gedächtnis blieben. Ihre Berufswahl fiel aber erstmal nicht für die Kunst aus. Die hatte mit einem Erlebnis mit ihrem Vater zu tun, dem Spätheimkehrer.

"Ich war noch keine 16 Jahre alt, glaube ich, und Willy Brandt hatte den Kniefall vor dem Denkmal des Aufstandes der Juden im Warschauer Ghetto gemacht, und ich weiß noch, wir haben abends vor dem Fernseher gesessen und diesen Kniefall gesehen, und am nächsten Tag ereignete sich was mit meinem Vater, am nächsten Tag konnte er nicht mehr gerade stehen, und das war für mich jetzt plötzlich so eine Erkenntnis, das hat mit gestern Abend zu tun."

Halb kniend, humpelnd konsultierte der Vater zahlreiche Ärzte. Eine physische Ursache für seine schmerzliche Lage konnte nicht festgestellt werden. Erst Gespräche mit einem Homöopathen brachten die Heilung. Viel später gestand der Vater seiner inzwischen psychoanalytisch geschulten Tochter, dass er selbst als Soldat an der Niederschlagung des Ghettoaufstandes beteiligt war.

"Ich wusste es, und das war für mich das Schlüsselereignis, das wird mein Beruf."

Inzwischen mischen sich auch eigene Kunstprojekte in den analytischen Alltag von Doris Gutermuth. Auf der documenta (13) haben berufliche Prägung und künstlerische Neigung jetzt wie selbstverständlich zusammengefunden.

"Die Idee, dass Kunst wichtige Funktionen übernimmt bei diesem Aspekt Zusammenbruch und Neubeginn, Trauma und Wiederaufbau, und wie die Kunst Einfluss nimmt und Funktionen übernimmt bei Heilungs- und Regenerationspraktiken - es ist sehr, sehr spannend, ich hab das Gefühl, ich bin hier als Psychoanalytikerin vollständig richtig."

Und so durchforscht die weltgewandte Begleiterin mit ihren Besuchern die psychologischen Tiefenschichten der documenta-Kunst. Besonders fasziniert sie das "Sanatorium" von Pedro Reyes, in dem man sich verschiedenen utopischen Therapien unterziehen kann. Gutermuth meldet sich kurzerhand bei einer Therapie an namens "Goodoo".

"Doooong ... "

Goodoo ist das Gegenteil von Voodoo. Unter Anleitung des Therapeuten, eines schwedischen Kunststudenten, stattet Gutermuth eine Stoffpuppe mit kleinen Gegenständen aus.

"Dann können Sie fünf verschiedene Objekte hier auswählen..."

"Ich muss erstmal schauen: Den Elefanten möchte ich gerne haben, und hier dieses Strohgebilde."

Sind es magische Objekte? Jedenfalls sollen sie anders als beim Voodoo, einer tatsächlichen Person nicht schaden, sondern etwas Gutes tun, eben Good – do, Goodoo. Sorgfältig befestigt Gutermuth den kleinen Plastikelefant am Kopf der Puppe, die Strohblumen am Rücken. Es sollen Glücksbringer sein für einen Freund mit Rückenschmerzen, erklärt sie. Und fertig ist die Puppe.

"Und jetzt leg ich hier die Finger drauf, und sage ganz laut ... "

"Nein sie müssen nichts sagen, nur wünschen!"

"Ja."

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