Kulturprojekt in Ungarn

Budapester Kunstzentrum muss sich selber tragen

Der Fuß einer Tänzerin der Ballettschule der Oper in Nanterre,
Muss hohe Belastungen aushalten, der Fuß einer Balletttänzerin. © AFP PHOTO / Lionel Bonaventure
Von Elisabeth Nehring  · 19.12.2014
Ungarns Premier Viktor Orban hält die Kultur in Ungarn ausgesprochen kurz - viele Künstler leiden. Das Bakelit Multi Art Center in Budapest bietet günstigen Raum für viele. Einige der dort arbeitenden Künstler sind nun zu Gast in Berlin.
Um an einen der interessantesten Orte für künstlerische Produktion in Ungarn zu gelangen, muss man die Innenstadt Budapests eine ganze Weile nach Süden verlassen: In einem Industrieviertel am Rande der Hauptstadt liegt das Bakelit Multi Art Center. Vor mehr als zwanzig Jahren hat Unternehmer Marton Peter Bauer das damals heruntergekommene Spinnerei-Gebäude gekauft, in dem während des Sozialismus kubanische Gastarbeiter Baumwolle verarbeiteten.
Im Laufe der Zeit entwickelte sich das Zentrum zu einem der größten Produktions- und Probenorte Budapests, das immer mehr unabhängige Regisseure, Schauspieler, Choreographen, Tänzer und Sänger aus dem In- und Ausland anzieht.
Dass auch und gerade für Künstler unter der Regierung von Victor Orban und seiner Fidesz-Partei die Zeiten in Ungarn schwieriger geworden sind, wissen Marton Peter Bauer und Csaba Paróczay, sein künstlerischer Direktor, ganz genau:
"Als Veranstalter bekommen wir die Situation, in der sich ungarische Künstler befinden, ganz unmittelbar mit. Um finanzielle Unterstützung zu bekommen, müssen Künstler z.B. an Ausschreibungen teilnehmen, die dezidiert vorschreiben, wie ihre Projekte auszusehen haben, also wie viel Prozent Tanz oder wie viel Prozent Text darin vorkommen sollen. Das sind feste Vorgaben, die eingehalten werden müssen, um sich überhaupt bewerben zu können. Da frage ich mich: wo bleibt die künstlerische Freiheit?"
Subventionen für banale, aber politisch gewollte Projekte
Dass darüber hinaus die Subventionsvergabe als Mittel benutzt wird, um unliebsamen Protagonisten ihre künstlerische Produktion zu erschweren, ja unmöglich zu machen, wird seit Jahren kritisiert. Dem Bakelit Multi Art Center kann das nicht passieren; das Zentrum arbeitet unabhängig von der öffentlichen Förderung des Landes, setzt zunehmend auf internationalen Austausch und erwirtschaftet einen großen Teil seiner Ausgaben selbst – durch Vermietung von Proberäumen, Tonstudios, Bühnen und einem an das Zentrum angeschlossenen Hotel.
Dennoch schaut der künstlerische Direktor Csaba Paróczay kritisch auf die ungarische Förderpolitik, die vor allem über den Nationalen Kulturfonds läuft:
"Um es ganz deutlich zu sagen: Es ist leider sehr von Beziehungen oder der eigenen Lobby abhängig, ob man Unterstützung vom Nationalen Kulturfonds erhält oder nicht. Es gibt immer wieder gewisse Organisationen oder Institutionen, die aus unserer Sicht für jedes ihrer Projekte eine überproportional große finanzielle Unterstützung bekommen, während anderen die Subventionen ersatzlos gestrichen werden. Das seit zwanzig Jahren erfolgreiche und sehr wichtige Theaterfestival von Szeged erhält z.B. seit jüngster Zeit überhaupt keine Zuwendungen mehr, während ganz kleine katholische Festivals und Dorf-Feste jetzt mit großen Summen vom Nationalen Kulturfonds gefördert werden. Diese Entscheidungen erscheinen völlig willkürlich, weil es niemals Feedback gibt, warum z.B. Bewerbungen abgelehnt werden."
Was auf den Massenprotesten derzeit in aller Munde ist, bestätigen auch die Kulturschaffenden: der Verdacht, das politische System sei korrupt, ein kleiner Kreis schachere sich immer wieder selbst Gelder, Aufträge und Zuwendungen zu, verfestigt sich immer mehr.
Kulturpolitisch unterstützt wird vor allem das, was ideologisch zur ‚Ungarisierung’ passt – selbst wenn es an Banalität kaum zu überbieten ist. Kulturmanagerin Agota Hermani lebt in Berlin und beobachtet die Entwicklungen in ihrer Heimat bei sporadischen Besuchen:
"Ich reise hin und wieder nach Ungarn und war vor einigen Jahren erstaunt, in den Kulturnachrichten zu hören, dass anstatt kultureller Veranstaltungen z.B. Sauerkrautfeste in irgendwelchen Dörfern angekündigt wurden. Ich dachte, das wäre ein Scherz. Aber das war Ernst gemeint. Und dann bin ich in der Innenstadt herumspaziert und dann auf einmal sah man Festivals, wo stand: ‚mit Unterstützung vom Nationalen Kulturfonds’ und das waren Schnapsfestivals, Wurstfestivals. Das ist kein Scherz. Eigentlich würde man darüber lachen, aber wenn man sieht, dass die ganzen unabhängigen Künstler zugrunde gehen, ist es tragisch."
Regierungskritik wird mit Sanktionen bestraft
Obwohl an den derzeitigen Protesten gegen den Kurs der Regierung Zehntausende teilnehmen, ist die Stimmung unter den Kulturschaffenden Ungarns nicht besonders optimistisch. Viele äußern ihre regierungskritische Meinung überhaupt nicht in der Öffentlichkeit, einige nur verhalten. Selbst Institutionen, die nicht von Förderung abhängig sind, müssen mit indirekten Sanktionen rechnen, wenn sie die Regierung im Ausland kritisieren – das kann eine unerwartete, bis ins letzte Detail gehende Steuerprüfung sein oder vorgeschobene Baumängel, die eine Schließung des Gebäudes nach sich ziehen. Agota Hermani beobachtet aber nicht nur die Kulturpolitik der ungarischen Regierung mit Skepsis, sondern auch die Reaktionen der Europäischen Union:
"Die EU hat sehr großes Interesse daran gehabt, (...) dass Ungarn als Absatzmarkt für andere Länder dient. Deshalb wurde auch diese EU-Erweiterung so schnell vorgenommen. Man hat aber nichts gemacht, die demokratischen Strukturen in Ungarn zu befestigen. Das hat keinen so besonders interessiert, dass da eigentlich schon die Keime dieser undemokratischen Strukturen schon vorhanden waren. Weil das einzige Interesse war das finanzielle. Und wir verstehen es nicht, wieso man nichts unternimmt, diese demokratischen Strukturen (...) zu festigen."
Solange sich an den politischen Verhältnissen in Ungarn nichts ändert, wird vieles von dem, was sich auf der Bühne oder in der Kunst abspielt, vom Betrachter auf die schwierige Realität bezogen. Ob z.B. die auf dem ungarischen Tanzfestival in Berlin präsentierte Performance ‚Schweineland’ eine Parabel auf den Zustand des Landes ist, ob die darin vorkommende "Schweinekultur’, in der – laut Programmheft – ‚vieles nicht ganz in Ordnung ist, was jeder weiß, aber niemand mit Händen greifen kann’, irgendetwas zu tun hat mit der Wirklichkeit Ungarns? Wir wissen es nicht. Zumindest bei der Interpretation bleibt die Freiheit der Kunst gewahrt.

In Berlin im Dok 11 findet noch bis zum 21. Dezember das Ungarische Tanzfestival statt, bei dem fünfzehn der besten Produktionen der ungarischen zeitgenössischen Tanzszene zu sehen sind.

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