"Kultur schafft Gemeinsamkeit"

02.01.2013
Der Bassbariton Thomas Quasthoff feierte mehr als 20 Jahre lang weltweit Erfolge. Vor knapp zwei Jahren hatte er sich vom Tournee-Leben zurückgezogen. Doch so ganz kann sich der Opernsänger, der mit einer Contergan-Schädigung geboren wurde, nicht von der Bühne verabschieden.
In seinen Artworten auf die Frage nach der Wirkung von Kultur und nach Kulturereignissen, die ihn prägten oder die sich ihm eingeprägt haben, erzählt Quasthoff kleine Erlebnisse und Erinnerungen:

"Kultur schafft eigene Identität, sei es als Individualperson, sei es vielleicht auch als Volk. Kultur schafft Zusammenkommen, Zusammensein. Kultur bedeutet, sich mit Musik, wunderbaren Texten auseinander zu setzen, gar nicht immer nur kritisch. Die Seele des Menschen braucht Beruhigung, braucht Entrückung, zeitweise.

Kultur ist ein so weitreichender Begriff. Nehmen wir 'mal Musik, die hat mich in allen schwierigen, auch glücklichen Momenten unterstützt, hat mich aufgefangen, hat mich beruhigt, angespornt, und ich hätte mir das ohne Musik in meinem Leben niemals vorstellen können, völlig ausgeschlossen.

Der erste Liebeskummer kam, es kam parallel die CD, damals ja noch Schallplatten "Songs in the Key of Life" von Stevie Wonder heraus, und diese Platte hat mich über Jahre, möchte ich fast sagen, durchs Leben begleitet und mich getröstet, mich glücklich gemacht, mich gefreut. Insofern weiß ich, wie wichtig im Leben Musik ist.

Ich weiß, ich habe nach einer sechsjährigen Beziehung eine "Winterreise" singen müssen in San Sebastian und dachte im ersten Augenblick, das schaffe ich nicht. Ich habe dann das Konzert gegeben an dem Tag, als mich meine Freundin damals verließ. Ich habe diese "Winterreise" damals geschafft. Ich hatte eigentlich das Gefühl, dass nach dieser "Winterreise" so ein Stück Vergangenheitsbewältigung passiert ist. Das alles kann Musik, das alles kann Kultur, und dafür bin ich sehr dankbar.

Was ich aber ganz besonders wichtig finde, ist: Kultur schafft Gemeinsamkeit, und ich glaube, dass wir nur über diese gemeinsame Identität als Volk eine Identität besitzen. Und Kultur schafft etwas, was ich jetzt bei meiner Tochter gerade sehe, Kultur unterstützt Sozialverhalten der Kinder. Deswegen haben wir unsere Tochter auch auf ein musisches Gymnasium gegeben, weil wir merken, dass nur das Erlebnis, im Chor zu singen, einen jungen Menschen positiv prägt, was Gemeinschaftsgefühl angeht, was das Sich-sozial-Einfügen betrifft. Deswegen glaube ich einfach, dass Kultur eines der wichtigsten Standbeine unserer Demokratie ist und auch bleiben muß."

Die Fragen stellte Jürgen Liebing

Die Serie im Überblick:

"Wozu brauchen Sie Kultur?" - Prominente sagen, was sie an der Kultur schätzen
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