Kürzungen in der Wissenschaft

Schlechte Zeiten für europäische Forscher

Die Kürzungen bei den Forschungsausgaben gefährden die Grundlagenforschung in Europa, befürchtet Georg Krausch.
Die Kürzungen bei den Forschungsausgaben gefährden die Grundlagenforschung in Europa, befürchtet Georg Krausch. © picture alliance / dpa / Db Ansgar Pudenz
Georg Krausch im Gespräch mit Dieter Kassel  · 15.04.2015
Die Mittel für die Forschung sollen nach dem Willen der EU-Kommission umgewidmet werden für das europäische Investitionsprogramm. Dadurch sei die Grundlagenforschung in Europa gefährdet, warnt der Präsident der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Georg Krausch.
Die Pläne der EU-Kommission würden zum Wegfall von rund zehn Prozent bei den Forschungsausgaben der deutschen Universitäten führen, sagte der Präsident der Johannes Gutenberg Universität Mainz, Georg Krausch, im Deutschlandradio Kultur. Der Professor, der auch Vorstandsmitglied des Interessenverbandes von deutschen Spitzenuniversitäten "german-U15" ist, sagte, dass dann Doktoranten- und Post-Doktorantenstellen wegfallen müssten und an den Hochschulen weniger geforscht werden könne.
Umwidmung für Investitionsprogramm
"Allerdings haben wir den Eindruck, dass die Industrie hier gute Lobbyarbeit gemacht hat", sagte Krausch zu der Absicht der EU, die Mittel auf Kosten der Forschung für das Investitionsprogramm von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker umzuwidmen. Auffallend sei, dass dadurch beispielsweise im Europäischen Forschungsprogramm "Horizon 2020" die Grundlagenforschung zu kurz komme. "Die Geistes- und Sozialwissenschaften haben in "Horizon 2020" sowieso einen schweren Stand", sagte Krausch. Sie würden die Kürzungen nun besonders treffen.
Kürzungen bei Erasmus-Programm keine gute Alternative
Auch die Ankündigung der EU, angesichts der Proteste aus Großbritannien und Deutschland das erfolgreiche Erasmus-Programm zu kürzen, sei ebenfalls keine gute Alternative. "Genau an dieser Stelle zu sparen, ist doch kontraproduktiv", sagte der Professor. "Für eine gemeinsame Welt und eine friedliche Welt brauchen wir, dass Menschen sich aus verschiedenen Ländern kennenlernen. Das ist quasi Grundlage des Erasmus-Programms", sagte er.
Gespräche in Brüssel
Es gebe Gespräche in Brüssel, um die Kürzungen abzuwenden. "Wir beobachten ja insgesamt, dass die politische Relevanz von Forschung für Wahlen doch vergleichsweise gering ist, dass wir vergleichsweise eine schlechte Lobby haben", sagte Krausch. Das sei in Deutschland so und auch in Europa.

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Der Präsident der EU-Kommission Jean-Claude Juncker will der Europäischen Union ein Investitionspaket im Umfang von gut 315 Milliarden Euro verpassen, und als er das im vergangenen November angekündigt hat, da war die Freude natürlich groß. Bei vielen hat sie aber inzwischen deutlich nachgelassen, denn um diese Investitionen anzuschieben, das meiste von diesem Geld soll ohnehin von privaten Investoren kommen, aber um sie anzuschieben, will die EU-Kommission bestehende Gelder umwidmen, und umwidmen heißt ja nichts anderes, als es an der einen Stelle wegzunehmen, um es dann in diesen Fonds zu verfrachten. Und eine Stelle, wo einiges weggenommen werden soll, das sind bestehende Programme zur Förderung von Forschung innerhalb der EU – und das bringt nun vor allen Dingen britische und deutsche Hochschulen auf die Palme.
Die britischen Hochschulen haben angekündigt, am Montag, wenn das EU-Parlament darüber verhandelt, sogar zu einem Protestmarsch nach Brüssel aufzubrechen. 50 Univertreter wollen das tun. Und auch die deutschen Hochschulen sind wegen dieser sogenannten Umwidmungen beunruhigt. Wir wollen deshalb jetzt mit dem Präsidenten der Universität Mainz sprechen, Professor Georg Krausch. Er ist gleichzeitig auch einer der beiden Vorstände von German-U15, das ist ein Interessensverband von 15 besonders intensiv forschenden deutschen Universitäten. Schönen guten Morgen, Professor Krausch!
Georg Krausch: Einen schönen guten Morgen!
Kassel: Wenn diese EU-Pläne komplett in der jetzt geplanten Form umgesetzt werden würden, was würde das für Ihre Universität bedeuten?
Krausch: Nun, das sind Kürzungen unserer Mittel für die Forschung. Die deutschen Universitäten bestreiten, ein bisschen unterschiedlich von einer Stadt zur anderen, bis zu zehn Prozent ihrer Forschungsausgaben durch Mittel aus der Europäischen Union, und wenn dort gekürzt wird, heißt das nichts anderes, als dass wir Doktorandenstellen nicht mehr haben oder Postdoktorandenstellen nicht mehr haben, also weniger forschen können.
Sorge um Grundlagenforschung
Kassel: Jean-Claude Juncker würde sicherlich Umwidmungen Umwidmungen nennen und nicht so, wie ich das vorhin getan habe. Machen wir das an einem konkreten Beispiel mal klar: Es gibt ein Programm, das heißt Horizon 2020, relativ aktuell, relativ neu noch, ein Forschungsförderungsprogramm der EU, da sollen zum Beispiel Gelder abgezogen werden für diesen neuen Fonds, und zu Horizon 2020 gehört auch ein Programm namens Industrial Leadership, hier geht es um die Förderung angewandter Forschung etwa bei den Nanotechnologien. Für Laien klingt da aber eine Umwidmung ganz logisch. Was spricht dagegen, einen Teil dieser Mittel in Junckers Fonds zu tun, der ja Investitionen fördern soll?
Krausch: Na ja, also da spricht zunächst mal nicht so viel dagegen. Das wäre eine gute Möglichkeit. Allerdings haben wir den Eindruck, dass die Industrie hier gute Lobbyarbeit gemacht hat im Vorfeld, denn die wesentlichen Bereiche dieses Programms sollen ja nun gerade nicht gekürzt werden. Also insofern würde ich sagen: Ja, das ist okay, aber dann muss man genau ins Detail schauen, muss schauen, wo soll eigentlich gekürzt werden – und stellt fest, dass dieser Bereich vergleichsweise geschont werden soll.
Kassel: Das heißt mit anderen Worten: Die Bereiche, die vielleicht ohnehin finanzierbar sind, weil da auch die Drittmittelförderung ganz einfach funktioniert, die bleiben unbehelligt, und die anderen nicht?
Krausch: Ja, so hat man den Eindruck. Aber wir sind insgesamt der Meinung, dass es besser wäre, das Geld gar nicht aus Horizon 2020 zu nehmen, weil das eben, ich sage mal, es anwendungs-, insbesondere aber grundlagenorientierte Forschung fördert.
Kassel: Das heißt, das ist wieder die Krux: Grundlagenforschung bleibt auf der Strecke?
Krausch: Na ja, den Eindruck haben wir schon, denn es gibt ja in Horizon 2020 Programme wie die ERC Grants, das sind sozusagen Mittel, die einzelnen, ganz exzellenten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zur Verfügung gestellt werden, Millionenbeträge, um ihre auch riskante und exploratorische Forschung, also ihre Innovationen zu fördern. Und wenn darin gekürzt wird, ich sage mal, und im Umkehrschluss das Geld dann in Beton investiert wird, dann sehen wir da eigentlich eine Entwicklung, die wir nicht für gutheißen können.
Vor allem Geisteswissenschaften betroffen
Kassel: Geht es eigentlich bei diesem ganzen Disput nur um Naturwissenschaften? Wo bleiben die Geisteswissenschaften?
Krausch: Ja, das ist ein anderer Punkt. Die Geistes- und Sozialwissenschaften haben in Horizon 2020 sowieso einen schweren Stand, weil es eigentlich keine so richtigen eigenen Projekte oder Programmlinien für sie gibt. Aber gerade die erwähnten ECR-Grants oder auch die Marie-Curie-Programme, das sind die Programme, die uns europäisch vernetzen, die unseren Doktoranden erlauben, in Europa mit anderen Kommilitonen zusammenzuarbeiten, genau die Programme sind eben auch offen für die Geistes- und Sozialwissenschaften, sodass es die Geisteswissenschaften besonders treffen würde, wenn in Horizon 2020 genau an den Stellen gespart wird, weil das eigentlich die einzigen Stellen sind, an denen sie Geld beantragen können.
Kassel: Nun soll ja dieser große Investitionsfonds von Jean-Claude Juncker ganz Europa helfen, und erstaunlich finde ich ja, was diese Umwidmungen betrifft, kommen die lautesten Proteste und fast die einzigen aus Großbritannien und aus Deutschland, aus den Südländern hört man da weniger, und wenn man genau hinguckt, sieht man ja auch gerade bei einem Programm wie Horizon 2020: Na ja, da fließen die meisten Gelder auch nach Großbritannien und Deutschland. Ist das auch ein Verteilungsstreit zwischen Nord und Süd, Reich und Arm?
Krausch: Das weiß ich nicht. Meine Erfahrung gerade mit den europäisch vernetzten Projekten wie Marie Curie ist, dass gerade südeuropäische Länder dort kräftig mitgemischt haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten, insbesondere deswegen, weil die staatliche Forschungsförderung, die in diesen Ländern schon existiert, bei Weitem nicht so gut ist, wie sie in Deutschland oder beispielsweise in Großbritannien der Fall ist. Aber auf der anderen Seite ist es ja nicht überraschend – Deutschland und England sind beides sehr forschungsstarke Länder –, dass Sie nun gerade hier auch lauten Protest hören, wenn Forschungsmittel gekürzt werden sollen.
Forschung hat wenig Relevanz für Wahlen
Kassel: Die EU-Kommission hat ja schon reagiert auf die Proteste, gerade besonders aus Großbritannien und Deutschland, und hat gesagt: Sollten diese Umwidmungen bei Horizon 2020 zum Beispiel, diesem Förderprogramm, am Ende doch nicht möglich sein, dann werde man sich das Geld woanders holen, zum Beispiel beim Erasmus-Programm. Empfinden Sie das als Erpressung?
Krausch: Na ja, hören Sie, das Erasmus-Programm, das muss man ja vielleicht dazu sagen, das ist ein äußerst erfolgreiches Programm, was insbesondere den Studierenden die Möglichkeit gibt, mal ein halbes Jahr in einem anderen Land zu studieren. Da kommen sehr viele Studierende nach Deutschland, sie gehen von Deutschland nach ganz Europa und inzwischen auch darüber hinaus. In einer zunehmend zusammenwachsenden Welt genau an dieser Stelle zu sparen, ist doch kontraproduktiv. Also ich meine, das ist einfach völlig gegen eine Entwicklung, die wir ja völlig unaufhaltsam sehen. Und für eine gemeinsame Welt und eine friedliche Welt brauchen wir, dass Menschen sich kennenlernen in verschiedenen Ländern, und das ist die Grundlage des Erasmus-Programms. Also dort zu sparen, ist sicherlich keine gute Alternative.
Kassel: Sie haben schon gesagt, Sie haben den Eindruck, die Industrie habe in Brüssel die bessere Lobbyarbeit geleistet. Können Sie, also nicht Sie persönlich, sondern zum Beispiel die britischen und die deutschen Hochschulen diese Lobbyarbeit jetzt noch nachholen? Glauben Sie, Sie können da noch was bewirken?
Krausch: Wir sind auch im Gespräch, sowohl seitens der Hochschulrektorenkonferenz in Deutschland, die alle Hochschulen vertritt, als auch seitens der German- U15, die eben die 15 Universitäten vertritt, die da verbunden sind. Ich denke schon, dass wir versuchen können und versuchen werden und im Gespräch sind in Brüssel mit den Verantwortlichen. Wie stark unsere Lobby dort sein kann, weiß ich nicht. Wir beobachten ja insgesamt, dass, ich sage mal, die politische Relevanz, also die Relevanz von Forschung für Wahlen, doch vergleichsweise gering ist, also dass wir insgesamt eine vergleichsweise schlechte Lobby haben. Das ist in Deutschland so, das ist sicherlich auch in Europa so.
Kassel: Der Präsident der Universität Mainz, Georg Krausch, über das, was die EU-Pläne zur Umwidmung von Fördergeldern für seine und auch für andere Universitäten in Deutschland und Europa bedeuten. Herr Krausch, ich danke Ihnen sehr fürs Gespräch!
Krausch: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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