Künstliche Intelligenz

Können Roboter fühlen?

Carolin Pirich · 07.02.2014
Glänzend weißer Kopf mit großen schwarzen Kameraaugen: Das ist Myon, das Roboterkind. Myon ist keine Maschine, wie jede andere, Myon soll lernen zu fühlen. Deshalb geht's mit Vater Manfred Hild ab in die Oper.
Myon ist groß wie ein vielleicht siebenjähriges, etwas kräftig gebautes Kind; seine Schale glänzt weiß. Auf seinen Schultern sitzt ein großer, weißer Kopf mit einem großen, schwarzen Kameraauge in der Mitte. Seine Ohren sind Mikrophone an den Stellen, an denen auch Menschen Ohren haben. Die Arme baumeln an ihm herab; und wie er auf seinen beiden weißen Beinen steht, das Gewicht mehr auf einer Seite, sieht er ein bisschen lässig aus.
Fünf Männer umringen den Roboter, bevor es losgeht. Zwei werkeln an ihm herum, kleben ein Kabel auf dem Boden fest, setzen den Roboter auf einen Stuhl, stellen ihn wieder hin. Auf einem Bildschirm verfolgen sie, was Myon durch sein Kameraauge wahrnimmt.
"Erste Unterrichtsstunde... Ich hab extra für dich diese bunten Handschuhe angezogen, man hat mir gesagt, du kannst damit besser sehen. Dirigieren ist ja ganz einfach: Man macht Bewegungen, und spielen tun ja dann die anderen..."
Vor dem großen Kameraauge hat sich der Dirigent in Position gebracht: Arno Waschk, ein langer, dünner Mann mit langem, dünnen Zopf. Waschk trägt Frack und Fliege und neongelbe Handschuhe.
"Wie soll denn das Orchester spielen: ruhig, furios, dynamisch, ruhig? Wichtig ist, dass man den Charakter der Musik schon vorher mit den Bewegungen andeutet..."
Zuhören kann er schon, der kleine Roboter
Waschk bewegt seine Hände sehr langsam. Eine Hand zeigt einen Viervierteltakt an, hoch, runter, links, rechts. Immer wieder. Die ganze Zeit ohne Musik. Trocken.
Der Roboter steht da, nun nicht mehr lässig in die Hüfte geknickt, sondern gerade. Man kann beobachten, wie sein Kameraauge den Bewegungen des Dirigenten folgt. Dabei reckt er das Kinn, er ist ja viel kleiner als der Dirigent - und insgesamt macht er den Anschein, als würde ihn das alles hier sehr interessieren. Diesen Eindruck hat auch der Dirigent. In eine kurzen Pause zupft er sich die Handschuhe von den Fingern:
"Man ist automatisch versucht mit ihm zu sprechen wie man auch mit einem Menschen spricht, der jetzt halt gerade nicht antwortet, aus welchen Gründen auch immer."
Myon heißt die Maschine. Das hat etwas Technisches, aber es klingt doch wie ein Name, dem man auch einem Menschenkind geben könnte. Der Dirigent spricht mit dem Roboter auch wie mit einem kleinen Kind: freundlich, geduldig, zugewandt und langsam. Manchmal legt er ihm vorsichtig die Hand auf die Schultern. Es ist der erste Schritt eines Experiments, in dem die Maschine lernen soll zu fühlen und zu reagieren wie ein Mensch.
"Musik ist eine Sprache, die viel unmittelbarer funktioniert als unsere Sprachen, die wir erst lernen müssen. Musik muss man nicht lernen, die funktioniert unmittelbar, sie scheint unmittelbar und direkt auf unser Gehirn ein."
An diesem Tag sieht es noch nicht so aus, als würde der kleine Roboter jemals etwas anderes tun, als aufmerksam zuzuhören. Er selbst rührt sich kaum, hebt nicht einmal den Arm. Er zeigt auch nicht, was er von all dem hält.
Myon, das Maschinenkind
Was ist in seinem Kopf angekommen? Ein Mann ist die ganze Probe dicht an der Seite des Roboters geblieben. Er sieht ihn an, stolz und irgendwie auch zärtlich. Es ist Manfred Hild vom Labor für Neurorobotik.
"Bei dieser Residenz hat sich der Roboter alles nur gemerkt und noch gar nichts reproduziert. Das ist nicht trivial. Wir haben Körpersensoren, die Winkel, die Kräfte. Das sind sehr viele Daten. Wir haben die visuellen Eindrücke, was sieht der Roboter, wo guckt er hin. Wo besonders grelle Farben sind, wo sich was bewegt..."
Manfred Hild ist ein schlanker Mann, der mit seinem dunklen Fünftagebart auf den ersten Blick jünger aussieht, als er ist. Zusammen mit drei Mitarbeitern hat er an der Humboldt-Universität Myon gebaut. Wenn er von Myon spricht, dann spricht er von Programmen, von Teilsystemen und vom Selbstlernen. Hild ist sozusagen Myons Vater - und so spricht er auch von ihm: wie von einem Kind. Myon sei nicht wie andere Roboter, sagte er.
"Es soll keine Maschine sein, die etwas in der Verlängerung ausführt, die programmiert ist. Sondern es soll ein Individuum sein, im Ansatz, was in dem Moment die Entscheidung trifft."
Bis es soweit ist, wird es wahrscheinlich noch eine Weile dauern. Der Unterricht für heute ist jedenfalls vorbei. Der Dirigent lächelt matt, sein Magen hat schon laut geknurrt, und Manfred Hild setzt Myon auf einen Stuhl. Er schaltet den Strom ab, ausnahmsweise. Der große, weiße Kopf sinkt zur Seite. Es sieht so aus, als sei der Roboter eingenickt.
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