Künstlerresidenz in der Uckermark

Wenn ein Plattenbau zur "Villa Massimo" wird

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Sommerfest auf Libken - im Hintergrund der Plattenbau der Künstlerresidenz Libken in Gerswalde © Foto: Libken e.V
Von Andreas Baum · 05.10.2016
Mitten in der Uckermark in Brandenburg renoviert seit fast zwei Jahren ein Verein einen Plattenbau. Seit diesem Sommer wohnen dort Künstler-Stipendiaten - in bester Lage, umgeben von Natur.
Ein verlassener DDR-Plattenbau auf einem Dorfhügel mitten in der Uckermark. Die Böden herausgerissen, an den Wänden fehlen Tapeten. Dafür aber tolle Aussichten: Felder und Obstbäume. Und viele Künstler und Freischaffende, die hier eine veritable Künstlerresidenz vorfinden sollen – ähnlich wie die Villa Aurora in Los Angeles oder die Villa Massimo in Rom – aber eben im Plattenbau.
Initiatoren sind die Berliner Künstler Larissa Rosa Lackner, Christoph Bartsch und Theresa Pommerenke - zusammen mit mittlerweile fast zwei Dutzend weiteren Mitstreitern verwandeln sie das riesige Areal mit jeder Menge alter Garagen und teils noch verwilderten Gartenparzellen in eine Künstlerresidenz, im Winter und wenn sie ihren Brotjobs nachgehen leben sie in Berlin-Neukölln.
Warum ausgerechnet die Uckermark? Hier gibt es Raum für Neues – hier kann der Besucher sich selbst leer machen von den Belastungen der großen Stadt. Hier erhoffen sich die Macher Konzentration und Freiräume, für sich und für andere, die Stipendiaten. Besonders Performancekünstler zieht es hier her.
Seit fast zwei Jahren renoviert der Verein Libken e.V. – seit diesem Sommer gibt es Stipendiaten in der Künstlerplatte im uckermärkischen Gerswalde, nicht weit von Templin. Damit werden auch Fakten geschaffen – und diejenigen, die nie daran glaubten, dass so etwas funktionieren kann, werden Lügen gestraft.

Manuskript zum Beitrag:
"Und dann sind wir so über das Gelände und das war so total absurd, man dachte so, nee, viel zu groß, das müsste mit einem ganz anderen Inhalt noch gefüllt werden."
Als Larissa Rosa Lackner und Christoph Bartsch, beide Künstler in Berlin, zum ersten Mal vor ihrer Platte standen, da hatten sie schon eine ganze Zeit gesucht. Die Uckermark sollte es sein, dieses hügelige Bauernland nördlich von Berlin, halber Weg bis an die Ostsee, Polen und die Oder fast in Sichtweite.
"... eigentlich hab ich mir ein kleines Haus gedacht, wo ich leben könnte, und wo man so ein zwei Künstler einlädt ..."
Aber ein vor einem Jahrzehnt entmieteter Plattenbau, zwischen Kiefern am Dorfrand. Drei Hauseingänge, vier Etagen, grauer Beton verwahrlost, mit Schimmel an den Decken und Stock in den Wänden? Das sicher nicht.
"Und dann ging mir das aber nicht mehr aus dem Kopf, und dann ging das eigentlich innerhalb von zwei Monaten, dass wir ein Konzept überlegt haben, wie füllt man diese Platte. Und dann haben wir uns dafür eingesetzt, dass sie nicht abgerissen wird, so wie es eigentlich geplant war, und dass wir die übernehmen konnten, also pachten."

Für Landarbeiterfamilien konstruiert

Die Künstlerplatte von Gerswalde war einmal ein Wohnhaus für die Arbeiter der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft im Ort. Wuchtig steht sie da, schaut durch ebenmäßige Fensterreihen in die Landschaft, die Außenwände standardisiert, in den Jahren des Sozialismus gegossen in Formen, die absichtlich gleich waren, von Wernigerode bis Wladiwostok. Dieses Gebäude allerdings war besonders, weil für Landarbeiterfamilien konstruiert, mit besonders großen Küchen, in denen das verarbeitet wurde, was hinterm Haus wuchs.
"Bohnenkraut, Zitronenmelisse, Thymian, Oregano, da hinten ist Sauerampfer, und hier haben wir noch was ist das? Scharfer Oregano. Und da hinten versteckt sich hinter dem Baum noch ein wilder Meerrettich."
Die Gärten der Landarbeiter sind bis heute da. Theresa Pommerenke steht im nassen Gras und zeigt auf halb abgeerntete Beete, Stauden und Obstbäume, unter ihnen alte Sorten, so selten, dass die Namen aufwändig recherchiert werden müssten, Alkmene, Blutapfel, Celini, Pison, nicht alle lassen sich ohne Hilfe kundiger Pomologen zweifelsfrei zuordnen.
"Eine Freundin von mir hat eine Unverträglichkeit für alles Obst, und hier hat sie einen Apfelbaum gefunden mit so einer alten Sorte, dass sie die Äpfel essen kann."
Dass Theresa Pommerenke heute mit zu den Initiatoren der Künstlerresidenz im Ortsteil Böckenberg von Gerswalde in der Uckermark gehört, war Anfangs nicht so geplant. Wie vieles in der Lebensgeschichte des Gründervereins "Denk- und Produktionsraum Libken" hat es sich ergeben, ist gewachsen, organisch eben.
"Ich bin hier her gekommen selbst quasi als Gast, um den Ort zu nutzen, mich zurückzuziehen und nachzudenken über eine Sache, und dann hab ich mich gleich verliebt und seitdem – es war wirklich so ein Verliebtheitsgefühl, in den Ort, in die Menschen, in die Idee."
In ihrem Leben in Berlin ist Theresa Pommerenke studierte Kulturarbeiterin mit einem Abschluss aus der Tanzfabrik, die Institution der freien Tanz- und Theaterszene. Hier in Gerswalde hat sie ganz andere Seiten an sich entwickelt, hat ihren aus der Stadt mitgebrachten Kunst- und Kulturbegriff - gemeinsam mit Larissa Rosa Lackner - um rurale, gärtnerische Elemente erweitert.
"Also es sind wahnsinnig viele Obstbäume von Apfel, Birne, Kirsch, Sauerkirsch, Walnussbäume - verschiedene Pflaumenbäume, unglaublich viele Obstbäume. Hier ist der Anfang des einen Gemüsegartens. Oben zeigen wir Dir gleich noch den Kartoffelacker, den wir dieses Jahr angelegt haben. Hier. Und hier links ist das Kräuterbeet."
Das Gelände ist riesig. Es sind rund 5000 Quadratmeter. Es gibt Nebengebäude, manche noch verfallen, andere brauchbar oder schon in Renovierung begriffen. Garagen, ein ehemaliges Wasserwerk, in einem Schuppen entsteht eine Sauna. Und überall Obstbäume und Sträucher. Für eine Künstlerresidenz eher ungewöhnlich, sagt Larissa Rosa Lackner. Macht aber trotzdem Sinn.
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Stipendiatin im Garten der Künstlerresidenz Libken in Gerswalde © Libken e.V
"Der Garten ist deswegen von Bedeutung, weil er die Schnittstelle zur Kunst und zur Umgebung ist und überhaupt mit dem Plattenbau in Verbindung steht. Weil wir auch ein Kulinarik-Stipendium ausschreiben wollen. Wir wollen entweder einen Künstler einladen oder einen Koch, der soll sich mit einer Thematik bewerben. Ob das die Bockwurst ist, der er sich widmen will, oder ob das die regionale Küche ist, oder die alten Uckermärkischen Rezepte sind. Derjenige kann dann drei Monate hier sein und forschen."
Die Kulinarik-Stipendiaten, so der Plan, sollen als Abschlussarbeit jeweils ein Einweckrezept hinterlassen. Nach und nach sollen dann die gesammelten Eindrücke und Rezepte archiviert und veröffentlicht werden - sodass eine stetig wachsende Sammlung entsteht. Die Sammlung Libken e.V, denn so nennt sich der Verein, der ins Leben gerufen werden musste, damit der Pachtvertrag für die Platte unterzeichnet werden konnte. Aber auch, um Fördergelder zu beantragen oder um Spenden zu bekommen. Bisher zählt der Verein 20 Mitglieder. Vor Ort ist allerdings meist nur eine kleine Mannschaft von drei bis vier Vereinsmitgliedern und drei bis sechs Stipendiaten präsent. Zwei Wochen dauert ein Regelstipendium, aber anders als etwa in Künstlerresidenzen wie der Villa Aurora in Los Angeles gibt es hier kein Geld. Der Aufenthalt kostet, 15 Euro pro Person und Tag. Und davon fließt jeder Cent in die Umwandlung der Gebäude und Nebengebäude zu einer veritablen Künstlerresidenz. Aus Garagen werden Inspirationsräume, aus dem Wasserwerk ein Tanzboden mit Blick durch große Glasscheiben zum Horizont.
"Ja man hört auch hier, wenn man nachts vorm Haus sitzt, manchmal einfach gar nichts - aber irgendwann wird es auch richtig laut, wenn man dann nämlich alles hört, was tatsächlich eigentlich da ist, die ganzen Tiere und den Wind, die Bäume - alles, was man so weg blendet, in der Stadt - genau - was auch gar nicht da ist in der Stadt - ja, Bäume gibt's ja in der Stadt auch - aber Kraniche nicht."
Tatsächlich - da sind sie. Fliegen schräg über die Platte hinweg, Richtung Südwesten, weit über Obstbäume und Kräutergarten.
"Das ist zwar das, wo alle am Liebsten weiterarbeiten würden, aber wir müssen erst in der Platte vorankommen, um dann den Fokus wieder hierauf zu legen."

Es gibt sogar Internet

Der Garten also soll nach Larissa Rosa Lackners Willen erst wieder in den Mittelpunkt der Künstlerkolonie rücken, wenn es Fortschritte an der Platte gibt. Denn die war anfangsvöllig desolat. Zwar ist das Motto der Renovierung: Reduktion aufs Wesentliche, Rückbau bis aufs Allernötigste. Aber die Platte und ihr Hinterländchen leben wieder. Seit sich eine Gruppe von Hackern in die Residenz zurück zog, um an neuen Projekten zu arbeiten, gibt es sogar Internet. Manchmal muss man mit dem Smartphone an bestimmten Stellen angeln, um es zu bekommen. Aber es geht.
"Ich bin Konstantin Schimanowski und bin Musiker, Anfang 30 und seit letzten Sommer bei Libken hier dabei."
"Ich hab einfach gekocht, bin spazieren gegangen, hab Musik gemacht und währenddessen hat's n bisschen gerattert."
Reduziert ist nicht nur der Komfort in der Platte - auch der entschlackte und verschlankte Tagesablauf führt fast automatisch zum Aufblühen der Kreativität. Die anfängliche Leere füllt sich, sagt Konstantin Schimanowski, fast von allein mit neuen Ideen. So soll das sein.
"Dadurch dass viele Optionen wegfallen ist das auf jeden Fall eine Möglichkeit sich besser zu sammeln."
Mehr Optionen also durch weniger Möglichkeiten. Zum Aufenthalt der Stipendiaten auf Libken gehört aber auch: Der kreative Austausch mit den anderen. So ungestört wie auf der Bank vor dem Plattenbau kommt man in Hamburg oder Berlin nicht zusammen. Selbst der Musiker Konstantin Schimanowski, der dieses Mal explizit nicht mit anderen Besuchern reden wollte, tat es, zum Beispiel über den Angstgegner wohl jedes Künstlers, den Horror vacui, die Angst vor dem weißen Blatt Papier, davor, nicht mehr schaffen zu können. Profunde Gespräche, vor und in einem Plattenbau?
"War für mich nicht so komisch, weil ich als Kind in einem Plattenbau aufgewachsen bin und deswegen das eher mit Gemütlichkeit verbunden habe, weil ich wusste, dass die Wohnungen von außen nicht so schön aussahen, aber drinnen eine gemütliche Atmosphäre herrschte. Ich verbinde das mit Kindheit, was ja ne schöne Erinnerung auch ist."
Konstantin Schimanowski hat seine Kindheit in Russland verbracht. Dass das alles so schnell gehen konnte und letztlich von Anfang an so gut funktioniert hat, wirkt für Macher wie Larissa Rosa Lackner bis heute wie ein kleines Wunder.
"Vielleicht war der Vorteil, dass wir total naiv waren und einfach es versucht haben. Wenn wir uns da schon überlegt hätten, was so ein Haus kostet, was das alles bedeutet überhaupt, hätte man vielleicht diesen Schritt gar nicht gemacht. Und hätte sich nicht mit so einem Enthusiasmus dafür eingesetzt, dass wir die richtigen sind, die dieses Haus beleben."

Im Winter ein Rückschlag

Ein Termin mit der Wohnungsbaugesellschaft, Gespräche mit Lokalpolitikern. Manche im Ort waren nicht begeistert, die Platte galt als Schandfleck und sollte weg. Die Aussicht auf einen Pachtvertrag genügte den Künstlern, um einfach mit der Renovierung zu beginnen. Im Winter ein Rückschlag: ein leeres Gebäude aus der DDR zu beheizen, kostet Unsummen. Und als dann im Juni die ersten Stipendiaten einziehen, ist das wie ein Beweis dafür, dass der Plan aufgehen kann: Dies wird eine Residenz, und Künstler wollen hier wohnen.
"An dem Tag als wir im Zug saßen, meinte Jana dann irgendwann: auf der linken Seite kommt dann die Platte. Und für mich ist halt "die Platte" erst mal ein Fremdbegriff, ich kann mir da drunter sehr wenig vorstellen, bis zu dem Zeitpunkt wo ich es vor mir sehe, wir als Künstler kommen an die absurdesten Orte, überhaupt keine Probleme."
Drei der Stipendiaten sind nach ihrer Zeit auf Libken, zwei Wochen im Spätsommer, wieder zurück in Berlin, darunter die Theater- und Performancekünstler Desiree Meul und Dominik Fornezzi.
"Selbst jetzt, wenn ich das Menschen erzähle, sind alle total neugierig, hey, kann man denn da hin gehen, kann man da anrufen, kann man sich da einmieten, da sind neugierige Menschen auf uns zugekommen und haben gefragt: Kann man da einfach hingehen?"
Die drei sitzen am Küchentisch einer Wohnung in Neukölln, zwischen Sonnenallee und Karl-Marx-Straße.
"Mein Name ist Jana Blöchle, ich bin 32 Jahre alt, wohne in Berlin und arbeite zur Zeit in der freien Szene, die sich hier in Berlin sehr stark formatiert, wir schreiben Konzepte, die wir an die freien Produktionshäuser herantragen und versuchen umzusetzen."
Die Perfomances von Blöchle, Fornezzi und Meul betrachten sich als Abspaltung des klassischen Sprechtheaters, aber auch als neue Form.
"Hat aber mit dem Sprechtheater an sich nichts mehr zu tun, eigentlich auch nichts mehr mit den Stadt- oder Staatstheatern, die meist einen dramatischen Text zur Grundlage haben, im Gegensatz zu uns."
Die Arbeit, die die drei in der Künstlerplatte vorantreiben konnten, hat sich sogar sehr weit von bekannten Formen entfernt: Es ist ein Mensch-Maschine-Projekt.
"Das ist ein bisschen komplex jetzt, weil wir arbeiten mit einem Computer Interface. Wir sind in der Lage, mit unserer Gehirnaktivität einen Theatervorhang anzusteuern, wir haben es geschafft, einen Theatervorhang aufzumachen und zuzumachen, das läuft alles über so Zustände, wie zum Beispiel ein meditativer Zustand oder ein Zustand der Aufmerksamkeit oder der Konzentration. Hohe Aktivität: Der Vorhang geht auf, wenig Aktivität, der Vorhang schließt sich wieder."
Aufmerksamkeit, Konzentration, Meditation, Aktivität: Für manche Künstler führt die Platte in der Uckermark nach einer Phase der Einkehr und Beruhigung zu einem wahren Schaffensrausch.
"Weil man da einen Ort hat, sich zurückzuziehen und sich wirklich auf Inhalte konzentrieren zu können und diese Inhalte auch von verschiedenen Perspektiven betrachten zu können – und zwischendurch unendlich weit laufen zu können und Wildschweinen zu begegnen."
Desiree Meul, in der Schweiz aufgewachsen, hat aber auch ihre Grenzen ausgelotet: Außer auf dem Dorffest sieht man kaum Menschen. Der nächste Laden ist Kilometer entfernt, Ernährung muss wieder geplant werden. Wenn man mit dem Fahrrad über Landstraßen und durch Dörfer fährt, bewegen sich die Gardinen, dahinter argwöhnische Blicke, man wird man beobachtet.
"Ja, bei mir stellt sich durchaus das ab einem gewissen Punkt das Gefühl ein, ich weiß warum ich in die Stadt gezogen bin und da hat einfach mit so simplen Dingen zu tun, dass man einfach jeden Tag die gleichen Menschen sieht, man hat überhaupt keine Anonymität, man fällt immer in so eine Art Selbstbeobachtungsmodus, weil man wie aus dieser Konstellation nicht rauskommt."
In den kreativen Pausen werden die Stipendiaten in der Regel nett gebeten, sich am Bau zu beteiligen. Dominik Fornezzi ist trotzdem, oder gerade deshalb, zufrieden. Dass die Gruppe wiederkommen will, ist fest vereinbart.
"Die Schritte sind klein, aber wir sind einen Schritt weitergekommen."
"Die ganzen Tapeten müssen runter, der Boden, hast du ja oben gesehen, da ist ja oft so ein schöner Steinboden drunter, ich weiß gar nicht ob das hier so ist, doch – da haben wir öfter noch so eine Art Lack drüber gemacht, bisschen streichen und hier sind noch die Reste von der Küche, die wir nicht mehr nutzen wollen."
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Wohnküche einer fertig renovierten Stipendiatenwohnung in der Künstlerresidenz Libken in Gerswalde © Libken e.V
Theresa Pommerenke steht in einer der vielen Wohnungen, die noch zu renovieren sind. Kleine Sorgenfalten bilden sich auf ihrer Stirn. Zwar ist es in einer Bauwoche mit mehr als 20 Helfern gelungen, im Erdgeschoss einen großen Gemeinschaftsraum zu schaffen, die Statik berechnete der Architekt, die Wände wurden dann auf eigene Faust rausgehauen, es entstand ein einziger großer Raum mit Blick ins Grüne. Aber ein ganzer Trakt liegt noch brach und viele der Wohnungen müssen vom Siff der letzten 40 Jahre befreit werden, es riecht in ihnen, bis heute, nach Tabak und Vergangenheit.
"Es gibt ein paar Wohnungen, wo man den Geruch tatsächlich trotz aller Maßnahmen, wie alte Hausmittel, Essig hinstellen, drei Monate lang Fenster auflassen, irgendwelche Chemiesachen, alles funktioniert nicht, riecht einfach nach wie vor."
"Zuerst war ich da sehr, sehr überrascht , ich habe verschieden Gebäude gesehen, die sie aufgesucht hatten, auf einmal ist es dann ein so großes Gebäude und auch unfertiges Gebäude, es ist jetzt kein Traumhaus."
Christian Edlinger, der Architekt. Die Frage, die sich bei der Künstlerplatte stellt, ist alt: Wie schafft man Rückzug einerseits und Gemeinschaft andererseits: Durch Offenheit, die Unbestimmtheit von Räumen. Klare Zuschreibungen behindern die künstlerische Freiheit.
"Der Plattenbau ist ja mehr oder weniger der Grundkorpus von dem Gelände. Das Gebäude ist mehr oder weniger nur ein Rücken."
Auf der Gartenseite des Plattenbaus soll ein weiteres Gebäude entstehen, eine Art große Halle, für die gemeinsamen Aktivitäten. Und die Wohnungen in der Platte sollen atmen: Mal sind sie privat, dann Atelier, dann Galerie. Für den Rückzug in die Einsamkeit könnten kleine Eremitagen am Rande des Geländes entstehen, in Sichtweite, aber sehr für sich.
"Wir haben überlegt, ob wir auch in die Felder davor kleine Satelliten reinsetzen könnten, um wirklich sowas zu haben wie kleine Elfenbeintürme, die in der Landschaft stehen, wo dieser Rückzug auch noch mal architektonisch überhöht ist."

Nichts in Stein gemeißelt, alles fließt

Und nach vorne raus soll ein Biergarten eröffnet werden. Für die anderen im Dorf. Zwar gehört Gerswalde, 23 Kilometer nach Prenzlau, 35 Kilometer nach Templin, zu den von Aussteigern bereits entdeckten Orten in der Uckermark und es haben sich Restaurants auch für feinere Gaumen niedergelassen. Aber im Ortsteil Böckenberg selbst gibt es keine normale Kneipe mehr. Die wohlhabenden Nachzügler aus Berlin und Hamburg schaffen Neues, füllen aber keine Lücken. Ein Biergarten wäre also ein echtes Angebot auch an die Einheimischen. Das Wichtigste aber für Architekt Christian Edlinger: Dass nichts in Stein gemeißelt ist, dass alles fließt.
"Ich denke, das wächst einfach. Es gibt kein exaktes Bild, wie soll das ganze aussehen, und ich glaub, das steht ansonsten oft am Anfang, das Bild, wie soll das ganze aussehen. Das gibt es noch nicht."
"Die meisten Residenzhäuser, auch die von den Bundesländern oder vom Bund geförderten sind eher villenmäßige Landgüter, Landschlösschen …"
"Villa Massimo, zum Beispiel."
"Ja, zum Beispiel. Das unterscheidet das Ganze, vom Ansatz. Da gibt es diesen Plattenbau, anstatt eines Landgutes."
Christoph Bartsch ist bildender Künstler, er schafft Installationen aus unterschiedlichen Materialien, seit er zu den Initiatoren der Künstlerresidenz in Gerswalde zählt, baut er nur noch dort. Er steht am Landwehrkanal in Berlin, ist auf Durchreise, arbeitet auf Messen, in Paris oder Leipzig: Noch ist das Projekt für alle ein Zuschussgeschäft, Lohnarbeit muss sein. Ob und wann es sich trägt, weiß niemand. Wichtiger ist ihm: Dass der Aufenthalt auf Libken etwas macht mit den Stipendiaten, gerade weil der Ort skurril ist und entrückt. Alle, die kommen, müssen sich verändern und alle sind danach positiv gestimmt. Vielleicht ist Libken auch viel mehr als die Summe seiner Teile: Kann es doch als Modell dafür herhalten, was mit Landstrichen geschieht, die sich aufgrund mangelnder Arbeit faktisch entvölkern; Toskana, Bretagne, Estremadura, Uckermark: Es entstehen Räume für die Kunst.
"Es gibt eine grundlegende Diskussion mit uns, und auch durch uns, wie man mit Gegenden umgeht, die nicht mehr so attraktiv sind. Man muss es so nehmen, wie es ist. Leute, die da geboren sind und aufwachsen, gehen tendenziell. Es gibt eine Art von Leerstand, eine Art von Freiraum. Und es gibt in Berlin vermögende Leute. Also ich sehe das eher positiv, auch wenn die Gegenargumente mir sehr nah sind, aber ja."
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