Künstler auf nationalen Umwegen

Von Martin Sander · 21.06.2012
Bruno Schulz ist als Zeichner und Autor skurriler Erzählungen weltberühmt geworden. Der Pole mit jüdischen Wurzeln wurde 1942 in Drohobytsch von einem SS-Mann erschossen. Einer seiner Schüler möchte, dass man dort die Erinnerung an ihn lebendig hält.
Alfred Schreyer bleibt bei drückender Hitze am liebsten in seiner kühlen Drohobytscher Altbauwohnung, in der es viele Bilder und Erinnerungsstücke gibt, die mit Bruno Schulz zusammenhängen.

"Ich arbeitete damals in einem Zwangsarbeitslager im Dorf Herawka. Dort war eine Tischlerei und in dieser Tischlerei habe ich als Tischlergehilfe gearbeitet. Und ich muss sagen: Ich konnte alles machen, was man von mir verlangt hat. Das hatte ich vom Gymnasium von Bruno Schulz gehabt."

Bruno Schulz ist als Zeichner und vor allem als Autor skurriler Erzählungen weltberühmt geworden. In Drohobytsch gibt es niemanden mehr, der ihm je persönlich begegnet ist – außer Alfred Schreyer. In den dreißiger Jahren, als Drohobytsch zu Polen gehörte, besuchte Schreyer das Gymnasium, an dem Bruno Schulz – für die "Zimtläden" bereits in Warschauer Literaturkreisen gefeiert – seinem Brotberuf als Zeichen- und Werklehrer nachging.

""Dann haben wir immer gebeten: 'Herr Professor, erzählen Sie uns ein Märchen!' Er machte das sehr gern. Da sagte er immer: 'Wozu braucht ihr Märchen? Ihr seid doch erwachsen, schon 14 oder 15 Jahre.' 'Aber wir bitten, Herr Professor!' 'Also dann, gut, macht sauber!' Und er hat sich drauf auf die Hobelbank hingesetzt oder auf seinen Schreibtisch in der Werkstatt, so halbrechts zu uns und hat ein Märchen erzählt."

Wie Bruno Schulz ist auch Alfred Schreyer ein gebürtiger Galizianer, ein Pole mit jüdischen Wurzeln, der die Grenzen von Sprachen und Kulturen mühelos überschreitet. Schulz wurde 1942 in Drohobytsch von einem SS-Mann erschossen. Schreyer überlebte den Holocaust in zahllosen Arbeits- und Vernichtungslagern, auch in Buchenwald war er. Nach Drohobytsch zurückgekehrt, hat er dort sein Leben als Musiker und Musiklehrer verbracht. Inzwischen ist er 90, und immer noch wurmt es ihn, dass Bruno Schulz nicht mehr Anerkennung durch die Bürger von Drohobytsch erfährt.

"Hauptsächlich liest man Bruno Schulz nicht, aber man weiß schon wer Bruno Schulz war, wieder ein Festival und wieder ein Festival, aber weiter nichts. Nur natürlich die kleine Gruppe von Drohobytscher Intelligenz, ja, das ist etwas ganz anderes."

Zu denen, die sich um Schulz kümmern, gehört Wera Meniok, Leiterin der Polenstudien an der Drohobytscher Universität. Ihre Abteilung ist im alten Gymnasium untergebracht.

"Wir sind jetzt im Gedenkraum für Bruno Schulz. Das ist für uns die Vorstufe für ein Bruno-Schulz-Museum. Es handelt sich um sein ehemaliges Lehrerkabinett im früheren Gymnasium. Und die Tür, die wir hier links sehen, diese offene Tür, das war die Tür, durch die er in den Werkraum ging, wo er unterrichtete."

Wera Meniok hat bereits vor vielen Jahren das Werk von Bruno Schulz für sich entdeckt. Mit ihrer Arbeit will sie auch die ukrainische Gesellschaft von Schulz überzeugen.

"Mein Maximalziel für die Zukunft lautet, dass er in den Lektüreplan der Schulen aufgenommen wird. Die Kinder aus Drohobytsch kennen Schulz nicht, woher denn auch. Wir lassen das Gesamtwerk neu übersetzen, von Juri Andruchowytsch."

In der Sowjetzeit war Schulz vor allem deshalb tabu, weil er ein experimenteller Künstler war. Zum Sozialistischen Realismus und den Folklore-Traditionen der Sowjet-Ukraine passte er nicht. Heute ist er – laut Umfragen – immerhin 80 Prozent der Einwohner von Drohobytsch bekannt. Verantwortlich dafür ist ein Bruno-Schulz-Festival, das im September zum fünften Mal stattfinden wird.

Wie bisher werden Künstler, Literaturwissenschaftler und Übersetzer aus aller Welt anreisen. Diesmal gilt es auch noch zwei Jahrestage zu begehen, den 120. Geburtstag und den 70. Todestag von Bruno Schulz. Der künstlerische Leiter Grzegorz Józefczuk, ein Pole aus Lublin, ist gerade nach Drohobytsch gekommen, um letzte Organisationsfragen zu klären. Er muss sich auch mit den Politikern der Stadt auseinandersetzen, und er weiß, wie es um dieses Umfeld des Festivals bestellt ist:

"Die Politik ist zweideutig. Da heißt es: Wenn wir hier Ukrainer sind, wieso ist dann der berühmteste Drohobytscher ein Jude, der Polnisch schrieb, und kein Ukrainer?"

Der polnische Festivalleiter würde Schulz gern als Brücke zwischen Polen, Ukrainern und Juden sehen, aber er hat auch ein gewisses Verständnis für das Lavieren der ukrainischen Lokalpolitiker.

"Auf der einen Seite deklariert der Bürgermeister seine Offenheit. Aber wenn er die Tradition der Vielvölkerkultur auch versteht, dann heißt das nicht, dass er sie auch praktisch unterstützt. Das ist aber normal für ein Land, das nach Jahrzehnten in der Sowjetunion seine Unabhängigkeit erlangt hat. Es geht ihm darum, das Ukrainische zu betonen. Schulz ist dabei ein Störfaktor."


Vielvölkergeschichte und Postkommunismus -
Reportagen aus der Westukraine
Alfred Schreyer, Schüler des galizianischen Schrifstellers Bruno Schulz
Alfred Schreyer, Schüler des galizianischen Schriftstellers Bruno Schulz.© Deutschlandradio - Martin Sander
Wera Meniok, ukr. Schulz-Expertin, Leiterin des Zentrums für Polenstudien an der Uni von Drohobytsch
Wera Meniok, ukr. Schulz-Expertin.© Deutschlandradio - Martin Sander
Der künstlerische Leiter des Bruno-Schulz-Festivals in Drohobytsch und polnische Journalist hat bis September noch viel zu organisieren.
Grzegorz Jozefczuk, Künstlerischer Leiter des Bruno-Schulz-Festivals in Drohobytsch.© Deutschlandradio - Martin Sander
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