Kroatien

Konservativ, christlich oder homophob?

Von Ralf Borchard · 03.02.2014
Als Kulturkampf, der viel mit der Wirtschaftskrise zu tun hat, und als rückwärtsgewandte Wertedebatte beschreiben Kritiker die Diskussionen um die Homo-Ehe in Kroatien. Auch viele junge Leute haben das Verbot unterstützt.
In einem alternativen Kulturzentrum in Zagreb probt der Chor LeZbor. Die lesbischen Frauen, die im Chor singen, streiten seit Jahren für die Rechte von Homosexuellen in Kroatien. In den Monaten vor dem Referendum gegen die Homo-Ehe waren Matija Mrakovic und die anderen LeZbor-Sängerinnen besonders aktiv.
“Wir haben gleichzeitig mit den Organisatoren des Referendums mit unserer Gegenkampagne begonnen. Am 17. Mai, dem internationalen Tag gegen Homophobie, sind wir mit Transparenten durch die Innenstadt gezogen und haben Lieder gesungen. Viele Leute haben positiv reagiert, vor allem auf die Lieder, anderen gefiel es überhaupt nicht. Einmal wollte uns eine Gruppe von Leuten körperlich attackieren, aber zum Glück haben sich andere Zuhörer dazwischen gestellt und uns verteidigt.“
Homosexualität ist in Kroatien, wie in vielen anderen Ländern Südosteuropas, noch weitgehend ein Tabu-Thema. Lesben und Schwule treffen auf Ignoranz und manchmal Aggression, sagt Matija Mrakovcic:
“Wir sind nicht sicher auf der Straße als Lesben und Schwule. Auch nicht bei Konzerten zum Beispiel. Kroatien ist kein sicheres Land in dieser Hinsicht. Und das zweite Problem ist: niemand redet offen über das Thema. Homosexuelle selbst geben sich meist nicht zu erkennen. Und die breite Öffentlichkeit, vor allem die katholische Kirche im Hintergrund, tut so, als gäbe es keine Homosexuellen.“
Immerhin hat die heftige Debatte um das Thema Homo-Ehe den Frauenchor LeZbor ein gutes Stück bekannter gemacht. LeZbor-Sängerin Lea Juricic fühlt sich von der gesamten Kulturszene unterstützt:
"Schriftsteller, Musiker, Schauspieler, Professoren – alle sind auf unserer Seite. Die andere Seite hat keine Prominenten, aber die normalen Leute. Wir haben die kulturelle Elite, sie haben die Massen. Das ist der Unterschied.“
Das Ergebnis des Referendums war entsprechend eindeutig: 66 Prozent haben dafür gestimmt, die Ehe als Bund allein zwischen Mann und Frau in der kroatischen Verfassung zu verankern. Damit muss das Parlament in seiner Sitzungsperiode bis Ostern die Verfassungsänderung umsetzen. Für Lea Juricic hat das Signalwirkung, sie spricht von einem gesellschaftlichen Rechtsruck, sogar von faschistischen Elementen, die in Kroatien wieder an Stärke gewinnen:
"Das Referendumsergebnis ist ein Schritt zurück. Und ich hoffe, es gibt noch genug Menschen, die das auch so sehen. Das Problem in Kroatien ist: die Leute haben ein kurzes Gedächtnis, wenn es um den Faschismus während des Zweiten Weltkriegs und die faschistischen Elemente während der Balkan-Kriege der 90er-Jahre geht. In gewissem Sinn geht es jetzt von neuem los. Und viele merken es nicht.“
Juricic bezieht sich vor allem darauf, dass schon das nächste Referendum in Planung ist. Diesmal geht es um die serbische Bevölkerungsminderheit in Kroatien. Kroatische Kriegsveteranen aus der ostslawonischen Grenzstadt Vukovar haben eine Unterschriftensammlung gestartet. Sie richtet sich gegen zweisprachige Schilder in kroatischer und kyrillischer Schrift. Ob dieses neue Referendum gegen die Zweisprachigkeit wirklich zustande kommt, ist aber noch unklar, die sozialdemokratisch geführte Regierung will das mit aller Kraft verhindern.
Viktor Vresnik, Chefredakteur der linksliberalen Zeitung‚ Jutarnji List, sieht dennoch eine klare Verbindung zwischen beiden Themen:
“Dahinter steckt eine Art kroatische Tea Party-Bewegung. Es geht um einen Angriff auf die Menschenrechte insgesamt. Um die Frage, wie weit sich der Staat ins Privatleben einmischen darf. Was sie ausnutzen, ist die Unzufriedenheit der Menschen aufgrund der Wirtschaftskrise. Sie nutzen diese Situation, um die Menschen zu manipulieren.“
Geschickte Drahtzieher im rechtspolitischen Spektrum
Für Viktor Vresnik gehören auch rechtsradikale Fußballfans zu diesem Problemfeld. Nach dem entscheidenden WM-Qualifikationssieg Kroatiens gegen Island rief Nationalspieler Josip Simunic im Maksimir-Stadion von Zagreb den Gruß der faschistischen Ustasha-Bewegung aus der Nazi-Zeit ins Mikrofon, tausende Fans brüllten begeistert im Chor zurück. Der Weltfußballverband Fifa hat Simonic zwar für zehn Länderspiele gesperrt, doch der prominente Fußballprofi bleibt uneinsichtig. Viktor Vresnik:
"Alles Teil der gleichen Geschichte. Wir sind mitten in einem neuen Kulturkampf. Und dahinter stehen ganz rechts im politischen Spektrum geschickte Drahtzieher.“
Ob Referendum gegen die Homo-Ehe, Unterschriften gegen die serbische Minderheit und rechtsradikale Parolen im Fußballstadion wirklich Teil der gleichen Geschichte sind, wie es Vresnik formuliert, bleibt umstritten. Eines aber hat allein die Debatte zum Thema Homo-Ehe deutlich gemacht: Kroatien ist in zwei Lager gespalten. Hier der pro-europäische, an westlichen Werten orientierte Teil der Gesellschaft, dort der breite Kern der traditionell geprägten Gesellschaft mit der katholischen Kirche im Hintergrund.
Wer hat mit Ja für den Verfassungszusatz gestimmt, damit gegen gleiche Rechte für Homosexuelle? Auch viele junge Leute, Studenten der katholischen Universität in Zagreb etwa. Zlatko studiert Psychologie und sagt:
"Ja, ich habe für die Verfassungsänderung gestimmt. Warum? Erstens weil ich so erzogen bin, weil es mit meiner Weltanschauung übereinstimmt. Und zweitens weil ich glaube, dass damit keine Minderheitenrechte beschnitten werden, das ist an anderer Stelle geregelt. Ich denke schon, dass das christliche Ehemodell in der Verfassung verankert werden muss.“
Und Ana, die ebenfalls Psychologie studiert, meint:
"Es ist wichtig, in die Verfassung zu schreiben, dass die Ehe nur zwischen Mann und Frau erlaubt ist. Sonst wird im ersten Schritt die Ehe zwischen Gleichgeschlechtlichen kommen, und im zweiten Schritt ihr Adoptionsrecht. Das wäre falsch. Ich denke, ein Kind braucht Mutter und Vater.“
Im Café um die Ecke ist die Stimmung ganz anders. Katarina, die hier als Bedienung arbeitet, hat beim Referendum mit Nein gestimmt:
"Ich finde es nicht gut, jetzt diese Verfassungsänderung zu machen. Ich denke ganz grundsätzlich, dass es falsch ist, jemandem die Rechte, die andere Menschen haben, zu verweigern.“
Katarinas Kollege Izak meint, Kroatien habe viel wichtigere Probleme, die Wirtschaftskrise zum Beispiel, die ganze Referendumsdebatte sei überflüssig:
"Ich mache hier einfach meinen Job und interessiere mich nicht für diese Dinge. Das ist alles.“
Auch diese Haltung ist sehr oft anzutreffen, schließlich lag auch die Wahlbeteiligung beim Referendum zum Thema Homo-Ehe nur bei 38 Prozent.
Initiiert hatte das Ehe-Referendum die Bürgerinitiative "Im Namen der Familie“. Drazen Vukotic, einer der Sprecher der Initiative, betont: Freiwillige haben anfangs in wenigen Wochen 750.000 Unterschriften gesammelt:
"Schon bei der Unterschriftensammlung für das Referendum im Mai waren 6000 Freiwillige unterwegs, das waren vor allem junge Leute. Auch wenn sie auf die Facebook-Unterstützung schauen, das sind vor allem Leute zwischen 18 und 30. Natürlich haben uns auch die Älteren unterstützt, es geht quer durch die Gesellschaft, es ist keine Generationenfrage.“
Hat er selbst etwas gegen Homosexuelle? Nein, meint Vukotic:
"Das hat gar nichts miteinander zu tun. Selbst wenn eines meiner Kinder oder ein Freund von mir sich eines Tages als homosexuell bezeichnen würde, würde das nicht meine Einstellung zur Ehe ändern. Ich betrachte die Ehe zwischen Mann und Frau als zivilisatorische Errungenschaft.“
Ist Kroatien mit dem Ehe-Referendum politisch nach rechts gerückt, gar ein homophobes Land? Drazen Ilincic sieht es weniger dramatisch. Der Kulturjournalist und Fernsehmoderator ist einer der wenigen Prominenten in Kroatien, die sich offen zu ihrer Homosexualität bekennen. Lachend sagt er selbst, er sei so etwas wie der "Vorzeige-Schwule“ des Landes.
"Das Referendum ist ein klarer Sieg für die Ja-Seite, mit dem blödsinnigen Ergebnis, dass ein Verbot der Homo-Ehe in der Verfassung verankert wird. So etwas gehört nicht in eine Verfassung. Aber Kroatien ist eben, ich würde nicht sagen, ein homophobes, aber doch ein sehr konservatives Land. Veränderungen kommen hier immer nur in kleinen Schritten.“
Regierungschef wünscht sich Gesetz zu eingetragener Partnerschaft
Die Lage habe sich für Homosexuelle durchaus verbessert in den vergangenen Jahren, sagt Ilincic. 2002 wurden die Teilnehmer der ersten Schwulen- und Lesbenparade in Zagreb noch von Extremisten verprügelt. Inzwischen finden die Paraden regelmäßig ohne größere Ausschreitungen, statt, auch die Frau des kroatischen Regierungschefs hat schon mit demonstriert. Damit ist die Lage deutlich entspannter als etwa in Serbien. In Belgrad ist die so genannte Gay Pride-Parade auch vergangenes Jahr von den Behörden verboten worden, um gewaltsame Ausschreitungen zu vermeiden.
Wie geht es weiter? Die sozialdemokratisch geführte Regierung muss das Verfassungsverbot der Homo-Ehe gegen ihren eigenen Willen umsetzen. Regierungschef Zoran Milanovic will möglichst bald einen Gesetzesentwurf einbringen, mit dem homosexuellen Paaren nach deutschem Vorbild eine eingetragene Partnerschaft mit entsprechenden Rechten und Pflichten garantiert werden soll. Geregelt werden sollen darin etwa Erbschaft und rechtliche Vertretung des Partners, ausgeschlossen bleiben Heirat und Adoption von Kindern. Die Regierung will so den Spielraum im Rahmen des durch das Referendum erzwungenen Verfassungszusatzes möglichst weit ausschöpfen. Die Frage ist, ob Milanovics Regierung die Kraft hat, diese und andere Reformpläne durchzusetzen. Es wird sich nicht wirklich viel verändern, bilanziert der Journalist und Fernseh-Moderator Drazen Ilinicic:
“Ich erwarte nicht viele Veränderungen, jedenfalls nicht kurzfristig. Die Leute in Kroatien sind konservativ, wenn auch nicht pro-aktiv schwulenfeindlich in dem Sinne, dass sie Homosexuelle angreifen, attackieren wollen. Die Mehrheit will einfach nicht darüber reden, will sich nicht in Diskussionen über das Thema zwingen lassen. Die generelle Haltung der Leute ist: ihr Schwulen, seid unseretwegen schwul, aber redet nicht so viel darüber, und fragt uns nicht nach unserer Meinung. Die Leute wollen das Thema einfach nicht öffentlich diskutieren. Der Schlüssel zu Veränderungen wäre eine Reform des Bildungssystems. Angefangen in den Schulen, um schon junge Leute zu mehr Toleranz zu erziehen. Aber das ist nicht in Sicht. Es liegt noch ein langer Weg vor uns, denke ich.“
In einer Garage am Stadtrand Zagrebs probt eine der populärsten Rockbands Kroatiens, Hladno Pivo, übersetzt "Kaltes Bier“. Sänger Mile Kekin, in der Nähe von Stuttgart aufgewachsen, hat sich wie viele andere Musiker, Schauspieler, Künstler in Kroatien gegen das Referendum zum Verbot der Homo-Ehe engagiert – vergeblich:
"Ich bin wütend. Wenn man es etwas vereinfacht, dann kommt man zu dem Schluss, auf der einen Seite steht die Kirche und auf der anderen Seite steht das offenere, das liberale und das frei denkende Kroatien. Ich glaube, die meisten Leute in Kroatien sind doch ziemlich traditionell veranlagt, und dass es noch dauern wird, bis die Leute anfangen, frei zu denken, unabhängig von der Kirche, die hier doch eine sehr große Rolle spielt.“
Es ist eine Art Kulturkampf, der weiterKonverc gehen wird, sagt Kekin. Und der viel mit der Wirtschaftskrise zu tun hat:
"Auf der anderen Seite sind die Leute resigniert, frustriert und arbeitslos. Und da haben sie viel Zeit, sich mit solchen Sachen zu befassen. Die Leute wissen einfach nicht, wie man die heutigen Probleme bewältigen kann, und da denken sie sich einfach andere Probleme aus, die man leichter bewältigen kann, und andere Gruppen, die schwächer sind, Minderheiten, gegen die man dann kämpft, obwohl das überhaupt nichts mit der Sache zu tun hat, überhaupt nicht helfen wird, aus dieser schweren Situation herauszukommen.“
Eins hat die erbitterte Debatte um das Ehe-Referendum aber schon gebracht, meint Mile Kekin. Das Thema Homosexualität ist diskutiert worden. Wenn auch noch nicht offen genug:
"Viele Homosexuelle haben Angst, sich zu outen in Kroatien, weil sie Unannehmlichkeiten in ihrem Beruf erleben könnten. Und ich verstehe das, aber das muss sich auch ändern. Ich glaube, dass Homosexuelle schon mehr riskieren müssen, um ihre Rechte zu verteidigen.“
Der Sänger von Hladno Pivo will jedenfalls auch bei den nächsten Konzerten auf der Bühne zwischen den Songs kleine Reden halten, wie er sagt, vor allem, wenn die Band ihren größten Hit, "Na ovim prostorima“ anstimmt. Er will weiter für ein tolerantes Kroatien plädieren, für eine Diskussionskultur, die die Spaltung der Gesellschaft überwindet:
"All die Schauspieler, Musiker, die meisten, stehen geschlossen da, und das gibt mir schon Hoffnung, das es besser sein könnte eines Tages."
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