Kritik an Christian Lindner und Boris Palmer

Der Rassismus der Beleidigten

Christian Lindner hält beim 69. Bundesparteitag der FDP ermüdet seine Hände vors Gesicht. Neben ihm sitzt die FDP-Politikerin Katja Suding
Christian Lindner auf dem 69. Bundesparteitag der FDP © picture alliance / Wolfgang Kumm/dpa
Von René Aguigah · 22.05.2018
Mit Empörung reagieren Christian Lindner und Boris Palmer auf Rassismusvorwürfe. Doch mit ihren Pauschalisierungen reproduzieren sie rassistische Bilder von Fremden und begeben sich in die geistige Verwandtschaft zur AfD, meint René Aguigah.
Was haben Christian Lindner und Boris Palmer, der grüne Tübinger Oberbürgermeister und der blonde Fürst der FDP miteinander gemeinsam? Sie sind beleidigt. Beleidigt, weil Kritiker ihnen Rassismus vorwerfen. Natürlich stehen sie mit ihrer Empörung nicht allein da. Julia Klöckner, nur ein Beispiel, die stellvertretende Vorsitzende der CDU, sagt: "Ich finde, wir sollten jetzt nicht Herrn Lindner die Rassismus-Keule überziehen." Und Christian Lindner selbst sagt: "Solche Debatten muss man nüchterner und vernünftiger führen."

Illegale Ausländer beim Bäcker?

Nun, nüchterne Erinnerung: Während des FDP-Parteitags vor einer Woche hatte Christian Lindner jene Anekdote erzählt, in der jemand mit gebrochenem Deutsch Brötchen bestellt. Bei diesem Menschen, so Lindners Fantasie, müsse es sich entweder um einen indischen Technologie-Experten handeln – oder um einen illegalen Ausländer.
Und Boris Palmer? Hatte zuletzt von sich reden gemacht, als er über einen Kampfradler schimpfte – und von dessen schwarzer Hautfarbe darauf schloss, dass es sich um einen Asylbewerber handeln müsse. Ein paar Tage später tat ihm das leid – sagte er. Und setzte seine nicht enden wollende Serie mit dem heimlichen Titel "Das wird man ja wohl sagen dürfen" aber ungerührt fort. Zitat: "Gambische Asylbewerber haben so gut wie nie einen Anspruch auf Asyl, aber eine auffällige Schwierigkeit mit unseren Gesetzen zu leben".

Wahrnehmungsmuster sind Politik

Ganz ohne Keulen, ganz ohne Hysterie gesagt: Es geht bei den Debatten um Lindners Bäckerei oder Palmers Radfahrer nicht darum, welche Migrationspolitiken Lindner oder Palmer insgesamt vorschlagen. Der Streit kreist darum, was für Bilder vom Fremden Lindner wie Palmer fortschreiben. Denn auch solche Wahrnehmungsmuster sind Politik.
Eine Wahrnehmung, die, wenn sie gebrochenes Deutsch hört, sofort illegale Ausländer assoziiert? Der Vorsitzende einer sogenannten Rechtsstaatspartei, die einen legalen Aufenthaltsstatus gleichsetzt mit Rechtschaffenheit, also einer Charaktereigenschaft? Ein Oberbürgermeister, der zwei Millionen Gambiern, einer ganzen Nation also, abspricht, sich gesetzestreu verhalten zu können? Und all dies unter der Überschrift "Fakten können unschön sein" – als handele es sich hier um eine unumstößliche Tatsache ohne politische Perspektive? Man braucht keine Keule, um genau diesen Bildern und Urteilen, genau diesen Verknüpfungen und Pauschalisierungen zu bescheinigen: Ja, sicher, sie schreiben rassistische Wahrnehmungsmuster fort.

Das sogenannte Eigene, das sogenannte Fremde

Die soeben eröffnete Dresdner Ausstellung "Rassismus. Die Erfindung der Menschenrassen" wird von einem hervorragenden Katalog begleitet – ab heute erhältlich, bestimmt auch in gut sortierten Buchhandlungen in Palmers Tübingen und Lindners Berlin-Mitte. Viel gibt es darin zu erfahren, hier nur eine Einsicht daraus: Rassistisches Denken und Handeln kommt heute problemlos ohne einen substanziellen Begriff von "Rassen" aus. Vorstellungen von Nationen oder Religionen und nicht zuletzt von Kulturen sind an seine Stelle getreten.
Geblieben ist die scharfe Abgrenzung zwischen dem sogenannten Eigenen und dem sogenannten Fremden. Eine Abgrenzung die im Anderen vor allem Gefahr erkennt. So wie der grüne Bürgermeister eine Grenze der Unvereinbarkeit zieht zwischen ganz Gambia und Gesetzen, die er "unsere Gesetze" nennt – als wäre beispielsweise Drogenhandel nicht auch außerhalb Deutschlands illegal.

Empörung bei Rassismusvorwurf

Christian Lindner und Boris Palmer empören sich darüber, wenn jemand ihnen rassistische Rede vorwirft. Damit sind sie nicht allein. Jedes Mitglied der AfD-Fraktion im Bundestag ist regelmäßig empört, wenn man ihm Rassismus vorwirft – um dann doch zu klatschen, wenn die AfD-Frontfrau Alice Weidel gegen sogenannte "Kopftuchmädchen" hetzt.
Es wäre an der Zeit, dass mehr oder weniger liberale Politiker wie Lindner und Palmer sich eine neue geistige Verwandtschaft suchen.

René Aguigah, 1974 als Sohn einer Deutschen und eines Togolesen geboren, leitet die Abteilung "Hintergrund Kultur und Politik" beim Deutschlandfunk Kultur.

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