Kritik an aktueller Iran-Debatte

"Das Abkommen hat das iranische Nuklearprogramm quasi legalisiert"

Soldaten stehen in Reih und Glied vor einer Bühne, auf der Rohani seine Ansprache hält. Das Foto ist auf den Präsidenten scharf gestellt.
Irans Präsident Rohani beteuert die Friedfertigkeit seines Landes. Der Politikwissenschaftler rät der EU jedoch zur Vorsicht. © AFP / Atta Kenare
Stephan Grigat im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 15.05.2018
Die EU steht nach dem USA-Ausstieg vor schwierigen Verhandlungen: Binnen zwei Monaten, fordert der Iran, soll sie den Fortbestand des Atom-Abkommens zusichern. Europa dürfe sich keinesfalls von Teheran Bedingungen diktieren lassen, sagt der Politikwissenschaftler Stephan Grigat.
Der Iran stellt der Europäischen Union Bedingungen und gibt ihr 60 Tage Zeit, um den Fortbestand des Atom-Abkommens auch nach dem Ausstieg der USA zu garantieren. Am heutigen Dienstag treffen sich die Außenminister Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands in Brüssel, um darüber zu beraten, wie das gelingen könnte. Ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums hat versichert, es werde alles dafür getan, um deutsche Unternehmen vor US-Sanktionen zu schützen.

Oppositionelle Kräfte im Iran unterstützen

Der Politikwissenschaftler Stephan Grigat, Permanent Fellow am Moses Mendelssohn Zentrum der Universität Potsdam und Research Fellow am Herzl Institute fort the Study of Zionism and History der University of Haifa, vertritt dazu eine sehr kritische Meinung: Die EU solle sich nichts von einem autoritären Regime diktieren lassen, sondern vielmehr Bedingungen stellen und die oppositionellen Kräfte im Iran unterstützen. Es sei ein guter Augenblick dafür: Denn Frustration und Unmut der Bevölkerung richteten sich gerade gegen die eigene Regierung. Stephan Grigat ist Autor des Buches "Iran – Israel – Deutschland: Antisemitismus, Außenhandel & Atomprogramm".

Das Interview in voller Länge:

Liane von Billerbeck: Der Iran stellt der Europäischen Union Bedingungen und hat ein Ultimatum gestellt: 60 Tage Zeit, um den Fortbestand des Atomabkommens auch nach dem Ausstieg der Vereinigten Staaten zu garantieren. Heute – Sie haben es gehört – treffen sich die Außenminister Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands in Brüssel, um darüber zu beraten, wie das gehen könnte. Und ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums hat versichert, es werde alles dafür getan, um deutsche Unternehmen vor US-Sanktionen zu schützen. Tja, das klingt so, als versuche man wirklich das Abkommen zu retten. Stephan Grigat lehrt Politikwissenschaften an der Universität Wien, und er fand das Abkommen nie die beste Option. Schönen guten Morgen!
Stephan Grigat: Schönen guten Morgen!
von Billerbeck: Wenn man hört, was ich da eben vorgetragen habe, dann könnte man den Eindruck gewinnen, als stünden Deutschland und die komplette Europäische Union jetzt auf der Seite Irans gegen die USA. Ist da so?
Grigat: Man könnte den Eindruck gewinnen, und das ist natürlich eine absurde Situation. Man muss sich ja immer wieder klarmachen, über was für einen Iran wir dort reden. Wir reden über das iranische Regime – das ist ein Regime, was ganz offen nach wie vor auch unter dem aktuellen Präsidenten Hassan Rohani zur Vernichtung Israels aufruft, das eine ausgesprochen aggressive Expansionspolitik im Nahen Osten betreibt, gerade seitdem der Atomdeal abgeschlossen ist, also quasi im Windschatten dieses Atomabkommens, das seine eigene Bevölkerung nicht nur drangsaliert, sondern Tausende im Iran ermordet hat. Also das ist ein Regime, mit dem man eigentlich nichts zu tun haben sollen wollte, und trotzdem haben Sie recht, es scheint im Augenblick so, als wenn sich die führenden europäischen Staaten, also auch Deutschland, auf die Seite genau dieses Regimes stellen, und das halte ich für einen fundamentalen Fehler, genau aus dem Grund, den Sie schon angesprochen haben. Ich denke, dass dieses Atomabkommen von Anfang an ausgesprochen problematisch, wenn nicht gefährlich gewesen ist, weil es massive Probleme beinhaltet, die in der aktuellen Diskussion ernsthaft drohen unterzugehen. Das heißt, die ganze Debatte im Augenblick in Deutschland scheint mir von falschen Annahmen auszugehen.

"Es wird keine einzige der Uranzentrifugen verschrottet"

von Billerbeck: Was kritisieren Sie denn an dem Abkommen? Wir wissen ja beide, dass Politik nicht "wünsch dir was" heißt, sondern das Austarieren von Möglichkeiten, und dass man versucht, das Beste rauszuholen, was in einer entsprechenden Situation drin ist. Was ist Ihre Kritik an dem Iran-Atomabkommen?
Menschen im Iran verbrennen ein Bild von US-Präsident Donald Trump, nachdem dieser angekündigt hat, nicht mehr am Atomabkommen festzuhalten.
Menschen im Iran verbrennen ein Bild von US-Präsident Donald Trump, nachdem dieser angekündigt hat, nicht mehr am Atomabkommen festzuhalten.© AFP / ATTA KENARE
Grigat: Die Behauptung von den Befürwortern dieses Deals ist, dass durch dieses Abkommen die Gefahr, die vom iranischen Nuklearwaffenprogramm ausgeht, beseitigt wurde, und das ist ganz offensichtlich einfach nicht der Fall.
von Billerbeck: Vielleicht nicht beseitigt, aber verringert.
Grigat: Aber leider ist auch das nicht der Fall, im Gegenteil, in Wirklichkeit hat dieses Atomabkommen das iranische Nuklearprogramm quasi legalisiert, es hat es institutionalisiert, und es hat es auf Dauer fähig gemacht für den Iran, genau dieses Nuklearwaffenprogramm weiterzubetreiben. Ich nenne Ihnen ein paar Punkte, was die eigentlichen Probleme sind: Zum einen bleibt die komplette Infrastruktur dieses Nuklearprogramms bestehen, das heißt, es gibt zwar Beschränkungen für die Anlagen, die Anlagen selber existieren aber weiter. Es wird keine einzige der Uranzentrifugen verschrottet oder außer Landes gebracht, sondern sie werden stillgestellt. Und das bedeutet, zu einem Zeitpunkt, den das iranische Regime selber entscheidet, können sie ihr Atomprogramm wieder aufnehmen.

Das Regime wird sich kaum mäßigen

Die Inspektionen – es gibt zusätzliche Inspektionen in jenen Anlagen, die das Regime selber als Teil des Nuklearprogramms deklariert hat, aber gerade nicht in den militärischen Anlagen, wo man solche Inspektionen aber durchführen müsste. Das gesamte Raketenprogramm, was ein integraler Bestandteil des Nuklearwaffenprogramms ist, ist nicht Teil dieses Abkommens. Und es gibt noch eine Reihe von anderen Problemen, vor allem das Auslaufen dieses Deals, und am Ende dieser diversen Fristen, die es in diesem Deal gibt, wird der Iran offensichtlich in der Lage sein, Nuklearwaffen zu produzieren. Und das geht letzten Endes von einer falschen Annahme aus, was alle Befürworter des Deals auch immer argumentiert haben – sie haben gesagt, wenn wir diesen Deal schließen, wird sich das Regime mäßigen und eventuell am Ende dieser Fristen gar keine Nuklearwaffen mehr haben wollen und zurück in die Völkerfamilie kommen. Das Gegenteil ist der Fall: Dieser Deal hat es dem Regime ermöglicht, eine viel aggressivere Außenpolitik zu betreiben, als das vorher schon der Fall gewesen ist. Und das ist eine der grundfalschen Annahmen.
von Billerbeck: Aber Herr Grigat, da könnte ich ja entgegenhalten, wenn man dieses Abkommen nun nicht geschlossen hätte und einfach alles hätte weiterlaufen lassen, dann wäre es vermutlich noch gefährlicher. Jetzt haben wir die Situation, dass die USA einseitig ausgestiegen sind, und ich hatte gestern den Schriftsteller Michael Kleeberg hier in der Sendung, der gerade von einer Lesereise aus dem Iran zurückgekehrt ist und der gesagt hat, das Problem ist, dass die Bevölkerung im Iran natürlich total fatalistisch ist und gar nicht die USA vorrangig hassen, sondern ihr eigenes Regime, was diese Möglichkeiten eben nicht nutzt, die da sich durch diese Öffnung vielleicht geboten hätten.
Grigat: Es ist insofern richtig, darauf hinzuweisen, dass die iranische Bevölkerung großteils nicht hinter dem iranischen Regime steht, und das ist auch genau einer der Punkte, wo auch die europäische Politik ja anknüpfen könnte. Es gibt ja Alternativen zu der bisherigen Iran-Politik. Ich glaube, man bräuchte einen fundamentalen Wandel in der europäischen und vor allem auch der deutschen Iran-Politik. Es gibt einfach keinen Grund, mit so einem Regime diese Form von freundschaftlicher Kooperationspolitik zu betreiben, sondern man müsste genau jene Kräfte im Iran unterstützen, die sich klar gegen dieses Regime stellen.

Das Ziel: das Regime schwächen oder stürzen

Und Sie sagen es ja selber, die existieren ja. Es ginge also darum, anstatt diese Liebedienerei, dieses Appeasement gegenüber dem iranischen Regime weiterzubetreiben, eine grundsätzliche Umorientierung einzuleiten und die iranische Opposition – und es gibt viele iranische Oppositionen, die auf einen Sturz letzten Endes abzielt – zu unterstützen. Denn letzten Endes, egal welche Form von Deal man schließt, also auch ein deutlich besserer Deal, der natürlich auch eine Möglichkeit gewesen wäre, wenn man anders verhandelt hätte, wenn man deutlich stärkeren Druck auf das Regime ausgeübt hätte, auch ein besserer Deal wird langfristig dieses Problem nicht lösen. Langfristig kann man die Gefahren, die vom iranischen Regime ausgehen und von seinem Nuklearwaffenprogramm, nur beseitigen, wenn letzten Endes dieses Regime gestürzt wird. Darum müsste es eigentlich gehen in der Iran-Politik auch der Europäischen Union.
von Billerbeck: Mit Verlaub, Herr Grigat, wenn man die Opposition unterstützt – Wandel durch Annäherung ist ja auch so ein Modell gewesen –, das wird ja vermutlich nicht genügen, denn das Atomprogramm würde dann ja weitergehen. Also ist das nicht der Versuch, da etwas einzuhegen, denn der schon erwähnte Schriftsteller Michael Kleeberg hat gesagt, es gibt diese Opposition im Iran so gar nicht, die man unterstützen könnte. Die einzige Figur, auf die sich alle Iraner einigen könnten, wäre der Lyriker Hafis.
Grigat: Ich denke, das ist falsch. Ich habe das Interview gestern gehört, und ich glaube, das ist eine falsche Darstellung der Situation im Iran. Es gibt ja Massenproteste – Anfang dieses Jahres haben in zahlreichen iranischen Städten, nicht nur in den Großstädten, Massendemonstrationen stattgefunden, und das ist etwas, was alle paar Jahre im Iran wieder passiert. Obwohl es massive Repressionen gibt, obwohl das Regime mit brutalster Gewalt gegen solche oppositionellen Gruppierungen vorgeht, reorganisiert sich diese Opposition doch immer wieder. Das heißt, es gibt sowohl im Iran als auch in der Exilopposition sehr wohl Kräfte, auf die man zugehen sollte, anstatt immer wieder Vertreter des iranischen Regimes zu hofieren. Das wäre auf jeden Fall eine Alternative zu der bestehenden Politik, die letzten Endes darauf hinausläuft, dieses Regime langfristig abzusichern.

Es gibt keine unschuldigen Geschäfte mit dem Iran

Man muss sich auch klarmachen, dass die deutschen Unternehmen unabhängig auch von dem Nuklearprogramm … wenn man mit dem Iran Geschäfte macht, finanziert man die Politik dieses Regimes. Und die Politik dieses Regimes besteht im Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel, der aggressiven Außenpolitik im Nahen Osten, die ich schon erwähnt habe und der Unterdrückung der iranischen Bevölkerung. Das heißt, jeder Unternehmer und auch jeder Politiker, der solche Unternehmen unterstützt, muss sich klar sein, was er dort tut. Es gibt keine unschuldigen Geschäfte mit dem iranischen Regime, große Teile des Außenhandels stehen unter Kontrolle der iranischen Revolutionsgarden, das sind die Kräfte, die von diesen Geschäften profitieren.
Es gab ja auch, weil Sie die iranische Bevölkerung angesprochen haben, große Hoffnungen, dass durch diesen Deal, durch die Milliarden, die das Regime durch diesen Deal jetzt schon erhalten hat und vermutlich auch noch erhalten wird, es zu einer deutlichen Verbesserung im Iran kommt. Das war aber eine Illusion, das zu glauben, weil das Regime diese Gelder halt nicht für die iranische Bevölkerung ausgibt. Mit diesen Milliarden wird ja nicht, ich weiß nicht, die Müllabfuhr in Teheran reorganisiert, was sehr gut wäre, sondern es wird gerade das Raketenprogramm finanziert, es wird die weitere Nuklearwaffenforschung finanziert, die in diesem Deal ja auch nicht verboten wurde, es wird die expansive, aggressive Außenpolitik finanziert. Und deswegen wäre auch eine weitere scharfe Sanktionierung des Regimes sehr richtig und sehr gut. Die wäre im Übrigen auch möglich gewesen, wenn dieser Deal aufrecht bleibt, aber dazu waren die europäischen Staaten offensichtlich nicht gewillt.
Man hätte ja auch andere Alternativen gehabt zum Aussteigen aus diesem Deal. Man hätte versuchen können, neben dem Nuklearprogramm zu sagen, okay, das ist das Nuklearprogramm, aber wir haben noch andere Probleme mit dem Regime, und deswegen verabschieden wir scharfe Sanktionen – wegen dem Raketenprogramm, wegen Menschenrechtsverletzungen, wegen Holocaust-Leugnung, wegen der Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel. Diesen Weg hat aber die Europäische Union, hat auch Deutschland nicht beschritten, und deswegen haben wir die jetzige Situation, die auch keine gute ist, aber natürlich löst der Ausstieg der Amerikaner aus diesem Deal auch nicht das Problem, vor dem wir stehen, das existiert nach wie vor, dass wir ein extrem aggressives Regime haben, was nach der Technologie für Massenvernichtung strebt. Und da muss man eine ernsthafte Debatte führen, was man dagegen tun kann, und ich verweise immer wieder darauf, dass letzten Endes die Probleme nur verschwinden, wenn dieses Regime verschwindet.
von Billerbeck: Stephan Grigat war das, Politikwissenschaftler an der Universität Wien, mit seinen Vorschlägen, wie sich die deutsche und europäische Politik in diesem Fall gegenüber dem iranischen Regime verhalten sollte. Herr Grigat, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Grigat: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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