Kriminalroman

Liebeskasper, Massaker und Unfalltod

Von Rainer Moritz · 14.01.2014
Im neuen Joentaa-Krimi legt Jan Costin Wagner erneut gekonnt die Seelen seiner Protagonisten frei. Ein fataler Autounfall ist nur eine der Ungereimtheiten, die seinem finnischen Ermittler diesmal Rätsel aufgeben.
Kimmo Joentaa heißt der eigenbrötlerische Kommissar, der im finnischen Turku auf eher unkonventionelle Weise komplexe Fälle löst und mit seinem privaten Schicksal, dem Tod seiner an Krebs erkrankten Frau Sanna, nicht fertig wird.
"Tage des letzten Schnees" ist Wagners fünfter Kimmo-Joentaa-Roman und erfüllt mühelos die hohen Maßstäbe, die die psychologisch und erzählerisch überzeugenden Vorgänger setzten. Wie immer fügt Wagner seinen Text aus verschiedenen Strängen zusammen, die – auf den ersten Blick – unverbunden nebeneinander herlaufen, zum Teil enigmatische Überschriften wie "Zwei Stunden früher, in einer Geschichte, die nicht erzählt wird" tragen und sich erst am Ende bündeln.
Anders als in den vorangegangen Joentaa-Büchern "Das Schweigen" und "Das Licht in einem dunklen Haus" geht Wagner diesmal nicht weit in die Vergangenheit zurück, um ein aktuelles Verbrechen aufzuklären. "Tage des letzten Schnees" umfasst wenige Frühlings- und Sommermonate und setzt mit einem fatalen Autounfall ein. Der Architekt Ekholm verunglückt, als ihn ein entgegenkommender Wagen von der Fahrbahn abbringt; seine elfjährige Tochter Anna stirbt an den Unfallfolgen. Den flüchtigen Verursacher zu finden ist indes nur eine der Aufgaben, denen sich Joentaa zu stellen hat.
Klug konzipiert - schnörkellos geschrieben
Parallel dazu erzählt Wagner die Geschichte des Fondsmanagers Markus Sedin, eines Familienvaters, der sich zum "Liebeskasper" macht, indem er die Familie der aus Osteuropa stammenden Prostituierten Réka finanziert. Als er diese und einen ihrer Freunde tot in seiner eigens für das Mädchen angeschafften Zweitwohnung in Helsinki auffindet, erkennt er, dass nicht nur er meinte, Rékas große Liebe zu sein. Dieses Motiv hat besondere Bedeutung, da auch Kommissar Joentaa – Wagner-Leser wissen das – eine merkwürdige Beziehung zu einer Prostituierten, Larissa, unterhält, die sich ganz nach Belieben ab und zu in Joentaas einsam gelegenen Haus zeigt.
Damit nicht genug: Ein dritter Erzählstrang – "In einer anderen Zeit, an einem anderen Ort" überschrieben – schildert die Gewaltfantasien des jungen Unto, der, inspiriert durch die Morde Anders Behring Breiviks, plant, bei einem Jugendfestival auf einer Insel ein Massaker zu verüben. Dass Joentaas Geliebte Larissa darin involviert ist, zeigt sich ganz am Ende. In einem emotionalen, fast überladenen Finale, das dem Leser einiges zumutet und gleichzeitig verdeutlicht, dass die Figurenkonstellation in einem sechsten Kimmo-Joentaa-Krimi zwangsläufig eine andere sein wird.
"Tage des letzten Schnees" zeigt Jan Costin Wagner als einen schnörkellos schreibenden Autor. Der gekonnt die psychischen Eigentümlichkeiten seiner Protagonisten und die Kehrseiten einer modern-dekadenten Gesellschaft durch ein klug konzipiertes, spannendes Szenario freilegt. Man muss nicht allein auf skandinavische Autoren setzen, um brillante Kriminalromane zu lesen, die im Norden Europas spielen. Jan Costin Wagner hat dafür den überzeugenden Beweis erbracht, ein weiteres Mal.

Jan Costin Wagner: Tage des letzten Schnees
Roman
Galiani Verlag, Berlin 2014
315 Seiten, 19,99 Euro

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