Kriminalität

Polizei will Einbrüche per App vorhersehen

Die Illustration zeigt einen Einbrecher, der eine Tür öffnet.
Wo häufen sich die Einbrüche? Mit einer App werden die Daten für die Polizeibeamten visualisiert. © picture alliance / dpa / Nicolas Armer
Von Dietrich Mohaupt · 10.07.2017
Niedersachsen will es Kriminellen noch schwerer machen. Eine App zeigt den Streifenpolizisten, wo die Gefahr von Wohnungseinbrüchen besonders hoch ist. Doch auch beim Einsatz moderner Technik zählt am Ende die Erfahrung der Ermittler.
Mit dem Streifenwagen durch Salzgitter-Lebenstedt: Polizeihauptkommissar Frank Datko startet sein nagelneues Tablet, tippt einen Nutzernamen und sein Passwort ein und spricht nach einem kurzen Blick auf die angezeigte Übersichtskarte mit dem Kollegen am Lenkrad die Route ab.
"Ja Roland, ich würde mal sagen, wir fahren mal die Kattowitzer Richtung Norden, Richtung Sterntaler – das ist hier entsprechend ausgewiesen – und gucken mal da nach dem Rechten!"

Und schon taucht die erste Frage auf: Was, bitte schön, heißt das – entsprechend ausgewiesen? Frank Datko zeigt auf den Bildschirm, auf eine Landkarte mit einem ganzen Flickenteppich bunt markierter Bereiche.
"Man spricht da von einer sogenannten heat map – das heißt, je dichter man in die Risikogebiete kommt, desto eher verändert sich die Farbe. Das geht bei blau los, geht dann über in rot – so wie bei der Flamme auch – und endet letztendlich in gelber Farbe. Und in dem Bereich der gelben Farbe, das sind eben unsere Risikogebiete, wo die Gefahr relativ groß ist, dass es da zu Wohnungseinbruchsdiebstählen kommt."

Risikogebiete identifizieren

Bleibt die Frage, woher das Gerät weiß, wie hoch in einem bestimmten Gebiet die Gefahr von Wohnungseinbrüchen ist, wo sie besonders hoch ist – es sich also um ein Risikogebiet handelt. Ganz einfach, erläutert Frank Datko – das System wird regelmäßig online mit den aktuellen Daten über entsprechende Straftaten gefüttert.
"Die Straftaten, die unmittelbar gestern passiert sind, sind in Rot dargestellt, das geht dann über Straftaten der letzten Woche, die in Orange dargestellt sind, über die letzten zwei Wochen in Grün bis zu vier Wochen, die dann in Blau dargestellt sind und die bilden dann quasi diese Risikogebiete ab."

Was die Polizeibeamten in der Stadt Wolfsburg und im gesamten Raum Salzgitter-Peine-Wolfenbüttel im Streifenwagen auf ihren Tablets als farbig markierte Risikobereiche ablesen können, das hat natürlich eine Vorgeschichte – und die beginnt in den USA. Dort sind Ermittler vor Jahren schon beim Studium der Kriminalstatistiken auf ein ganz bestimmtes Phänomen gestoßen und auch in Niedersachsen habe man ähnliches beobachtet, erklärt Alexander Gluba vom Landeskriminalamt in Hannover:
"Wir haben eine empirische Beobachtung gemacht – die ist aus den USA – da geht es um das sogenannte Near-Repeat-Phänomen. Es geht darum, dass dort festgestellt wurde, dass Straftaten geschehen und im Anschluss, in räumlicher und zeitlicher Nähe an dieses Straftat – in unserem Fall der Wohnungseinbrüche – die Wahrscheinlichkeit für weitere Straftaten erhöht ist."

Täter gehen oft nach der gleichen Logik vor

Near Repeat – in diesem Phänomen steckt eine ganze Menge simpler Täterlogik, man müsse nur genau hinschauen, meint der Kriminologe.
"Das erklärt sich dadurch, dass Sie oft sehr homogene Gebiete haben, was die Bevölkerung angeht. Stellen Sie sich vor, in einem Gebäude gibt es viel zu holen – dann ist das nebenan auch nicht unüblich. Stellen Sie sich Reihenhaussiedlungen vor, da ist das Layout der Häuser sehr gleich, da weiß ich als Täter, ich komme hier durch den Keller gut rein, werde nicht gesehen, die Türen sind nicht gut gesichert – dann ist das nebenan mit aller Wahrscheinlichkeit auch so. Das erklärt so ein bisschen, weshalb dieses Phänomen existiert. Wir haben das auch in Niedersachsen nachgewiesen, für den Landkreis Harburg."

… und die Experten des LKA sind dann auf der Basis dieser Erkenntnisse gleich noch einen Schritt weiter gegangen. Es fiel ihnen auf, dass die Wahrscheinlichkeit solcher near repeats – also weiterer Einbrüche in einem bestimmten Gebiet direkt nach der ersten Tat – besonders hoch ist, wenn ganz bestimmte konkrete Tatmerkmale vorliegen. Wie gehen die Täter vor, was für Werkzeuge verwenden sie, auf was für Beute sind sie aus …
"Vielleicht ein Beispiel nur: Täter, die solche near repeat-Taten begehen, die klauen Schmuck, das sind Profis, die nehmen Schmuck mit, Bargeld – Dinge, die ich in die Tasche stecken kann, die ich beim Hehler leicht veräußern kann. Kein Mensch würde den auch noch so teuren, mit drei Meter Bilddiagonale versehenen Flachbildfernseher mitnehmen – das fällt dann doch auf."

Statistik kombiniert mit Berufserfahrung

Der Rest ist dann pure Statistik – und dabei gilt wie immer: je mehr Daten, desto genauer die Ergebnisse.
"Wir haben da 65.000 Taten uns angeschaut und genau solche Merkmale identifiziert. Und aus diesen Merkmalen, die die Polizei ja bei jeder Tat eingibt – wir fahren ja zum Tatort und nehmen das in unserem Vorgangsbearbeitungssystem Nivadis dann auf – aus diesen Merkmalen berechnen wir dann Scores, vereinfacht gesagt: Je höher dieser Score, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass so eine Tat, so ein Near Repeat passiert."
Wie das genau funktioniert, diese Berechnung von Scores – das ist ein bisschen Betriebsgeheimnis der Experten vom LKA. Nur so viel dazu: Man habe sich nicht einfach eine fertige Softwarelösung aus dem Ausland – etwa den USA – besorgt, sondern mit eigenen Mitteln eine eigene Lösung entwickelt. Das habe auch ganz wesentlich mit Datenschutz zu tun, betont Alexander Gluba:
"Im Ausland werden ganz andere Dinge gemacht, da werden personenbezogene Daten mit einbezogen, da werden Prognosen für das kriminelle Verhalten von Personen angestellt – das ist in Deutschland alles so nicht erlaubt. Wir haben etwas Eigenes entwickelt, weil wir einfach technisch sehr, sehr weit waren, das schnell umsetzen konnten – wir wollten auch die Hoheit über unsere Daten behalten. Wir haben natürlich eine Marktsichtung betrieben, aber waren dann guter Dinge, das doch auch selbst für kleineres Geld realisieren zu können."

Einen Kostenrahmen von rund 100.000 Euro für das gesamte Projekt hatte das Innenministerium Ende vergangenen Jahres genannt – bisher sieht es nicht so aus, als müsste da noch einmal nachgelegt werden. Herausgekommen ist dabei die PreMap-Software, die den Streifenkollegen auf ihren Tablets zur Verfügung steht. Maßgeblich mit entwickelt hat sie André Kraszka, einer der Techniker in der Zentralen Polizeidirektion Hannover. Am Anfang – erinnert er sich – stand eine für ihn etwas überraschende Frage:
"Könnt ihr uns mal so eine App bauen, bzw. ein System, zu Prediction von Wohnungseinbrüchen? Ich kann mich noch genau erinnern, wo ich das zum ersten Mal gehört habe, dachte ich ‘Ok – die Herren haben wohl zu viele Filme geguckt’ … aber dann habe ich mir das erklären lassen und dann festgestellt, das hat wirklich Hand und Fuß, das könnte man wirklich machen."

Science Fiction bei der Polizei?

Die besagten Filme … das ist eine Anspielung auf den schon nicht mehr ganz taufrischen Science Fiction-Thriller Minority Report, in dem Tom Cruise mit Hilfe ausgefeilter Computertechnologie versucht, noch vor den Tätern am Tatort zu sein, um so Straftaten zu verhindern. Wie gesagt – Science Fiction. Realität ist aber nun einmal das Near-Repeat-Phänomen – und das lässt sich mit Hilfe von Computern tatsächlich sichtbar und damit greifbar machen. PreMap ist die optische Umsetzung von Ermittlungsdaten der Polizei – ein Werkzeug zur Vorhersage möglicher Straftaten, das aber auch richtig eingesetzt werden muss, betont André Kraszka.
"Die Herausforderung für uns war natürlich, dass wir die Daten sehr schnell verarbeiten müssen. Denn wenn Sie sich vorstellen, Sie kommen mit Ihrer Vorhersage zwei Wochen später und sagen: ‘Du, Wachtmeister, ich habe hier ausgerechnet, da wird was passieren!’ – dann wird der sagen: ‘Ja – du bist jetzt zwei Wochen zu spät, das nützt jetzt nix!’ Also, wir müssen da sehr schnell sein …"
Es geht dabei um Stunden – genauer wollen die Experten des LKA lieber nicht werden. So schnell wie möglich soll PreMAP also Informationen darüber ausspucken, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass z.B. in Salzgitter-Lebenstedt in der Straße Sterntaler nach einem Wohnungseinbruch noch weitere folgen. Genau dort ist Polizeihauptkommissar Frank Datko mit dem Streifenwagen noch immer unterwegs – sein Tablet hat ihm das Wohngebiet als Hochrisikozone angezeigt. Die Gegend hier ist geradezu verlockend für Einbrecher, erklärt er.
"Vom Umfeld her gut bewachsen, relativ unübersichtlich, weil die Häuser eng stehen, man hat relativ gute Fluchtmöglichkeiten, deshalb auch immer wieder vielleicht heimgesucht von Straftätern, die in Wohnungen einbrechen. Es gibt über kurze Wege Verbindungen in andere Stadtteile und gerade in der Dunkelheit ist es hier sehr schwierig, Täter auf frischer Tat zu erwischen."

Und genau deshalb legt Frank Datko jetzt auch das Tablet weg – Kollege Computer hat ihm das Risikogebiet gezeigt, jetzt zählt nicht mehr die Technik, sondern menschliche Berufserfahrung.
"Hier ist es dann eben angesagt, auch wirklich mal die Augen offen zu halten und zu gucken, was hier so an Bewegung ist, was hier für Menschen unterwegs sind, die hier vielleicht nicht unbedingt ins Bild passen … aber da gibt es so ein – wir sprechen da vom polizeilichen Sehen – da haben die Kolleginnen und Kollegen für sich schon das eine oder andere entwickelt, woran man erkennen kann, wer vielleicht nicht unbedingt in diesen Stadtteil passt."
Im Schritttempo rollt der Streifenwagen jetzt durch die teils engen Straßen in dem Wohngebiet – während der Kollege die Umgebung im Auge behält, zieht Frank Datko schon einmal ein bisschen Bilanz der vergangenen Monate mit PreMAP. Man gewöhne sich recht schnell an den Umgang mit dem Tablet, erzählt er, die farbliche Darstellung von Risikogebieten helfe, die Situation in einem bestimmten Bereich der Stadt schnell zu erfassen, das Gerät sei von der Größe her gut zu bedienen und könne im Wagen auch gut verstaut werden, aber ein paar Schwächen gebe es auch noch. Die Tablets könnten ganz einfach etwas schneller sein, die Berechnung der aktuellen Position des Wagens auf der Karte erfolge manchmal noch etwas langsam und damit ungenau – kein gravierendes Problem, aber …

"Die Performance muss noch besser werden"

"Das ist noch … ja … so ein bisschen das Problem des Projekts, da muss die Performance einfach besser werden. Das ist noch nicht ganz so, wie man es vielleicht von seinem Navi zu Hause kennt, wo man genau in Echtzeit sehen kann, wo man ist, das ist hier noch etwas zeitverzögert – aber da arbeitet die Technik zur Zeit dran, und in letzter Konsequenz wird das sicher genau so laufen wie ein Navi!"
PreMAP sei schließlich ein Modellprojekt – das betont auch Philipp Medelich, Sprecher des niedersächsischen Innenministeriums. Vorerst ist das Projekt bis Ende Oktober angelegt – eventuell soll es noch verlängert werden, um mehr Erfahrungen sammeln zu können.
"Wir gucken uns sehr genau an, wie die Erkenntnisse sind, wir bessern sukzessive nach. Wir gucken, wie können wir die Software besser machen, wo gibt es vielleicht in der Anwendbarkeit auf der Straße noch Probleme, gibt es vielleicht auch regionale Unterschiede, gibt es geografische Unterschiede, was muss man ganz genau beachten? Also – der Weg ist da so ein bisschen das Ziel – nichts desto trotz ist es ein kleines Puzzleteil dabei, immer besser zu werden im Kampf gegen Wohnungseinbruchsdiebstahl und vielleicht mittelfristig auch in anderen Deliktsfeldern."

Kein Allheilmittel, aber ein zusätzliches Werkzeug

Statt von einem Puzzleteil sprechen die Kriminologen im Landeskriminalamt lieber von einem Werkzeug. Die computergestützte Vorhersage von Straftaten könne kein Allheilmittel sein, betont Sven Kohrs, einer der Projektleiter von PreMap. Aber vielleicht könne sie ja ein wirksames, zusätzliches Werkzeug im Kampf gegen Wohnungseinbruchsdiebstahl werden.
"Es gibt etablierte Werkzeuge, mit denen auch schon erfolgreich, lange nicht so erfolgreich, wie wir uns das wünschen, aber erfolgreich umgegangen wird. Diese Information, die wir jetzt zur Verfügung stellen, soll das Ganze noch veredeln – es soll eine Möglichkeit sein, den Polizeibeamtinnen und –beamten vor Ort aufzuzeigen, wo sie noch zielgerichteter Streife fahren können, oder aber auch möglicherweise in Zukunft auch verdeckt eben tätig werden können, um Täter zu fassen."

Konkrete Daten für eine Zwischenbilanz, für belastbare Aussagen über positive Auswirkungen von PreMAP in Sachen Wohnungseinbruchsdiebstahl, liegen bisher noch nicht vor. Dafür war der bisherige Testzeitraum wohl doch zu kurz. Eine ganz wichtige Erkenntnis haben die Forscher um Alexander Gluba im LKA aber schon gewonnen: PreMAP – und auch mögliche Nachfolgesysteme – könne nicht auf den Faktor Mensch verzichten. Deshalb muss auch immer der jeweilige Dienststellenleiter alle von PreMAP gelieferten Informationen über Risikogebiete in seinem Verantwortungsbereich noch einmal bewerten, bevor sie für die Tablets in den Streifenwagen freigeschaltet werden.
"Also – der Mensch spielt da eine entscheidende Rolle – nicht nur auf Grund der Überlegungen des Datenschutzes, der einfach voraussetzt, dass noch einmal der Mensch drauf schaut – die wollen kein durchsteuern einer maschinellen Prognose. Aber wir folgen dieser Vorgabe gerne, weil wir auch sagen, es geht gar nicht ohne Menschen. Inwieweit sie dann unseren … ich sag mal maschinellen Hinweisen gefolgt sind oder nicht, werden wir auch am Ende auswerten, aber wir unterstellen, dass dort der Kopf angeschaltet wird und der kriminalistische Kopf ist uns da sehr, sehr wichtig!"
Das hören die Polizisten vor Ort natürlich gerne. Polizeihauptmeister Frank Datko hat mit seinem Kollegen inzwischen die Dienststelle in Salzgitter-Lebenstedt wieder angesteuert. Während der Streifenwagen wieder auf den Hof rollt, zieht er eine kurze Bilanz der Fahrt in die von PreMAP ausgewiesenen Risikogebiete. Es ist eben ein Modellprojekt, meint er ganz pragmatisch – ob’s wirklich funktioniert wird sich erst später zeigen.
"Ob wir einen Täter vertrieben haben, wissen wir nicht – gefangen haben wir leider keinen, das ist immer so die Idealvorstellung. Insofern kann man erst messen, was diese Streifenfahrt gebracht hat, wenn wir Zahlen haben, ob die Taten in einem bestimmten Zeitraum in dem Bereich zurückgegangen sind oder eben auch nicht."
Mehr zum Thema