Krimi-Romane

Mathematik der Morde

Das Bild zeigt die Silhouette einer Frau an einem Tatort, der durch ein gelbes Band mit der Schrift "Crime Scene" abgetrennt ist.
In den Krimis von Anna Grue geht es relativ unblutig zu. © picture alliance / ANP / Lex van Lieshout
Von Marten Hahn · 01.04.2014
In Dänemark gehört Anna Grue mit ihrer Reihe um den Detektiv Dan Sommerdahl zu den beliebtesten Krimiautoren. Im Ausland ist sie noch ein Geheimtipp. Nun ist ihr zweiter Roman "Der Judaskuss" auf Deutsch erschienen.
Es ist ein grauer dänischer Morgen. Anna Grues deutscher Verleger Tim Jung steht vor dem gelben Einfamilienhaus der Autorin im Osten Kopenhagens und klingelt.
Die Autorin macht gemeinsam mit Cockerspaniel Pipi und Zwergschnauzer Knirke eine kurze Hausführung für die Journalisten. In einer kleinen lichtdurchfluteten Loggia im ersten Stock steht der Liegestuhl, in dem Grue schreibt. Am Schreibtisch erledigt sie nur Bürokratie. In einem kleinen Raum nebenan stehen ein Ledersofa und Regale voller Bücher, bis unter die Decke.
"Ich habe gerade alle Krimis rausgenommen. Das waren 16 Meter. Wir dachten, dadurch würde viel Platz entstehen. Nun ja, jetzt ist alles wieder voll…"
Grue schreibt nicht nur selbst Kriminalromane, sie ist ein Krimi-Nerd.
"Wenn ich Krimis mag, dann lese ich sie fünf, sechs Mal, kenne alle Szenen und Dialoge. Aber ich genieße das. Mir ist es egal, dass ich schon weiß, wer der Mörder ist, weil mich beim Wiederlesen die Struktur interessiert."
Mathematik hinter den Krimis
Anna Grue mag das Mathematische an Krimis, das Puzzeln, das Spiel zwischen Autor und Leser. Deswegen fing sie an, Krimis zu schreiben. Und sie machte eine Krimi-Reihe daraus, um damit Geld zu verdienen. Auf die Idee für ihren Privatdetektiv Dan Sommerdahl kam sie in ihrem alten Beruf als Journalistin. Ihre Redaktion grenzte damals an eine Werbeagentur.
"Und plötzlich dachte ich, wie wär's, den Kreativchef einer Werbeagentur als Detektiv zu haben? Sie wissen jede Menge über uns, diese Werbeleute. Mehr als Psychologen, glaube ich. Sie schauen in deinen Kühlschrank und können sagen, welche Automarke du fährst und was du bei der nächsten Wahl wählst."
Während andere skandinavische Krimiautoren auf kreative Morde und Psychopathen setzen, geht es bei der Dänin recht unblutig zu.
"Meine Absicht ist es, Geschichten über Beziehungen zwischen Menschen zu erzählen. Und Krimis sind ein sehr netter Rahmen, um das zu tun. Weil Verbrechen sehr invasiv sind. Sie dringen in das Leben vieler Menschen ein. Nicht nur in das der Opfer, sondern auch in das Leben der Familien der Opfer und Täter."
Anna Grue nimmt uns Journalisten mit zum Sommerhaus der Familie, eine Stunde außerhalb Kopenhagens. Das Sommerhaus liegt direkt am Fjord. Der Strand ist stellenweise vereist. Eine Handvoll Schwäne trotzt der Kälte. Mittlerweile verbringt Anna Grue einen Großteil ihrer Zeit hier und nicht im Haus in Kopenhagen.
"Das kann ich einfach nicht. Ich kann nicht zu Hause sitzen und - jetzt bin ich hysterisch! Wenn ich in meinem Haus sitze und schreibe, werde ich die ganze Zeit gestört. Das ist die Müllabfuhr auf der Straße, Schulkinder gehen vorbei und sprechen miteinander oder der Postbote bringt ein Paket für meinen Mann vorbei, mein Mann hört viel Oper, das ist sehr laut, oder er spielt mit den Hunden und die bellen. Das geht nicht. Ich muss alleine sein."
Facebook gegen die Einsamkeit
Um nicht ganz zu vereinsamen, hat sie sich einen Internetanschluss legen lassen.
"Ich nutze Facebook sehr oft. Ich recherchiere dort viel. Wann immer ich ein Problem habe, dass ich nicht lösen kann. 'Wie sah die ökonomische Situation 1947 in Italien aus?', war eine meiner letzten Fragen. Und dann gibt es da sieben Leute, die mir darüber etwas erzählen können oder mich weiterverweisen oder einen Link schicken."
Für das Burnout-Leiden ihres Detektivs konnte sie aber auf eigene Erfahrungen zurückgreifen. Mit Mitte 40 hatte Grue eine schwere Depression. Als sie wieder in ihrer Redaktion erschien, schickte ihr Chef sie zu einem Psychologen.
"Der hörte stundenlang zu und sagte: 'Weißt du was Anna? Jeden zweiten Satz beginnst du mit: Wenn ich 60 bin… Wenn ich 60 bin, will ich aufs Land ziehen. Wenn ich 60 bin, will ich einen Roman schreiben. Du redest ständig über diesen Roman. Aber warum zur Hölle wartest du damit, bis du 60 bist? Wenn du jeden Tag drei Stunden lesen kannst, kannst du auch jeden Tag drei Stunden schreiben.'"
Noch am selben Abend griff sich Anna Grue zu Hause eine ihrer Romanideen aus der Schublade und begann zu schreiben.
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