Krim-Konflikt

Nichts für ungut, Herr Präsident!

Wladimir Putin schaut ernst
Russlands Präsident Wladimir Putin © dpa / Sergey Guneev
Von Hans Christoph Buch · 11.03.2014
Russland gibt sich unschuldig, doch die Lage auf der Krim weckt Erinnerungen, die bis in die 50er-Jahre zurückreichen. Der Schriftsteller Hans Christoph Buch richtet daher einen offenen Brief an Wladimir Putin.
Herr Präsident!
Die üblichen Höflichkeits-Formeln lasse ich weg, weil ich keine besondere Ehrerbietung für Sie empfinde, abgesehen von der Chuzpe, mit der Sie die Friedensbotschaft der Olympischen Spiele in Sotschi für Kriegsspiele missbrauchen.
Die Appeasement-Politik der internationalen Gemeinschaft Ihnen gegenüber hat versagt: Statt Konflikte diplomatisch, also durch Verhandlungen zu lösen, setzt die von Ihnen geführte Regierung nach wie vor auf die Drohung mit und notfalls den Einsatz von militärischer Gewalt, die seit dem Krieg in Ex-Jugoslawien von der europäischen Agenda gestrichen war. Der Vergleich mit Transnistrien, Abchasien oder Süd-Ossetien hinkt, weil zumindest im letzteren Fall Georgiens Staatschef eine bewaffnete Intervention unbedacht provoziert hatte.
Aber der Rückblick auf Budapest 1956 und Prag 1968 macht klar, in welch unseliger Tradition Ihr Propagandakrieg gegen die Ukraine und die De-facto-Annexion der Krim heute stehen: So wie der gestürzte ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch um russische Hilfe gebeten haben soll, gab es damals die "Hilferufe" prosowjetischer Parlamentarier, und dem Einmarsch der Panzer ging die gezielte Destabilisierung der betroffenen Länder voraus. Deren Streben nach Freiheit und nationaler Selbstbestimmung wurde als "faschistisch" diffamiert.
Die Breschnew-Doktrin von der beschränkten Souveränität der Nachbarstaaten der einstigen UdSSR feiert Wiederauferstehung, und der Zivilisationsbruch, die Missachtung geltender Verträge und die flagrante Verletzung des Völkerrechts wurden und werden mit der angeblich Bedrohung sowjetischer, sprich: russischer Menschen begründet. So besehen besteht Kiews Verbrechen darin, dass auf dem Maidan die Revolution siegte und eine moskauhörige Führungsclique zum Teufel jagte, während in Russland die Konterrevolution triumphiert hat. Der Satz des jungen Marx, Deutschland sei in Gesellschaft der Freiheit nur am Tag ihrer Beerdigung, lässt sich bruchlos auf die Ukraine übertragen.
Mein Freund, der russische Dichter und Nobelpreisträger Joseph Brodsky, der wie Sie, Herr Präsident, aus Petersburg stammte – das Wort Leningrad kommt in seinem Werk nicht vor – kommentierte den Zerfall des Sowjetreichs so: Erst herrscht die Mafia, dann kommt der Faschismus an die Macht. Brodskys Worte schienen mir damals übertrieben, aber heute kann ich mich ihrer Wahrheit nur schwer verschließen.
Wie denken Sie darüber, Herr Präsident? Und wer oder was verbirgt sich hinter der Maske ihres stets unbewegten Gesichts? Ein vermeintlich gütiger Landesvater, der den Segen der orthodoxen Kirche erfleht und Umweltaktivisten, Oligarchen und Oppositionelle in Straflager sperrt, aus denen er sie irgendwann wieder gnädig entlässt? Ein Judoka mit schwarzem Gürtel, ein Eishockey-Fan mit Schulterpolstern, ein homophober Mann, der gern mit nacktem Oberkörper posiert, ein Großwildjäger, der Betäubungspatronen auf sibirische Tiger schießt, oder ein Tierfreund, der einen Schneeleoparden im Nacken krault?
Seien Sie vorsichtig, Herr Präsident, denn das Ungeheuer, das Sie wachkitzeln, ist das Monster des Krieges, der erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg und dem Kalten Krieg wieder Europa bedroht – als Ex-Bürger der ach so friedliebenden UdSSR sollte Ihnen das zu denken geben!
Nichts für ungut –
Hans Christoph Buch
Hans Christoph Buch, 1944 in Wetzlar geboren, wuchs in Wiesbaden und Marseille auf und las im Jahr seines Abiturs (1963) bereits vor der "Gruppe 47". Mit 22 Jahren veröffentlichte er seine Geschichtensammlung "Unerhörte Begebenheiten".
Der Schriftsteller Hans Christoph Buch
Der Schriftsteller Hans Christoph Buch© picture alliance / dpa / Klaus Franke
Ende der 60er Jahre gab er theoretische Schriften, Dokumentationen und Anthologien heraus. Mit seinen Essays versöhnte er Politisches und Ästhetisches miteinander.
Seit 1984 schreibt er Romane: "Die Hochzeit von Port au Prince", "In Kafkas Schloss“, "Wie Karl May Adolf Hitler traf", "Blut im Schuh", "Tanzende Schatten"‚ "Reise um die Welt in acht Nächten"; zuletzt erschienen 2011 "Apokalypse Afrika" und zuvor 2010 der Essay "Haiti - Nachruf auf einen gescheiterten Staat".
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