Krieg in Libyen - Soll Europa eingreifen?

Ruprecht Polenz im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 07.03.2011
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, Ruprecht Polenz (CDU), hält die Durchsetzung einer Flugverbotszone über Libyen ohne die Unterstützung "wenigstens eines islamischen Landes" für hochriskant. Zudem sei die Voraussetzung dafür sei ein Beschluss des UN-Sicherheitsrats.
Jörg Degenhardt: Die Lage an den Brennpunkten Libyens wird immer konfuser – und was macht der Westen? Am Freitag soll es immerhin einen Sondergipfel der Europäischen Union geben. Zur Vorbereitung desselben hat die EU ein Expertenteam nach Libyen entsandt, das Informationen aus erster Hand über die bisherigen Hilfsaktionen sammeln und eine Einschätzung abgeben soll, welche weiteren humanitären Maßnahmen nötig sind. Ruprecht Polenz, CDU, ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. Guten Morgen, Herr Polenz!

Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Können die Europäer, ja und auch die Amerikaner – wir haben es gerade gehört – wirklich nicht mehr tun, als abzuwarten und vielleicht die humanitäre Not ein wenig zu lindern?

Polenz: Die Lage in Libyen stellt sich immer mehr als ein richtiger Bürgerkrieg dar. Es werden Panzer, Artillerie, Flugzeuge von Gaddafi eingesetzt, die Rebellen scheinen auch über einige Waffen zu verfügen, die Lage ist sehr unübersichtlich. Und deshalb ist es nicht so einfach, von außen einzugreifen und diese Kriegshandlungen zu stoppen.

Degenhardt: Aber John Kerry sagte gerade, man müsse erst abwarten – wenn es zu Massakern käme, dann könne man eingreifen. Das klingt doch ein wenig zynisch.

Polenz: Das stimmt, aber die Voraussetzung für ein Eingreifen ist ein Beschluss des UN-Sicherheitsrats, und die Frage ist, ob man Maßnahmen dort beschließen kann, ohne dass alle die Dringlichkeit einsehen. Denken Sie auch an Russland und China.

Degenhardt: Flugverbotszonen sind ein großes Thema, unabhängig, ob ein Beschluss dazu zustande kommt. Können die wirklich etwas verhindern, oder bedeuten sie nicht eher erst recht, dass die militärische Situation eskaliert?

Polenz: Es klingt vor allen Dingen einfacher, als es ist, denn eine Flugverbotszone bedeutet ja: Man verhindert, dass Gaddafis Flugzeuge starten und landen können, deshalb muss man die Flugabwehr ausschalten, die Flugzeuge von Gaddafi am Boden festhalten, möglicherweise vorher zerstören, damit sie nicht starten und landen können. Das bedeutet also im Grunde einen Luftschlag gegen Libyen, ehe dann eine Flugverbotszone eingesetzt werden kann.

Voraussetzung dafür ist auch hier ein Beschluss des UN-Sicherheitsrats erstens, und zweitens die Bereitschaft bestimmter Länder, die dazu fähig, in der Lage sind, diese Maßnahmen dann umzusetzen. Hier muss man denke ich auch politisch darauf achten, dass wir auf alle Fälle vermeiden sollten, dass es so aussieht, als wolle sich allein der Westen in die libyschen Bürgerkriegsangelegenheiten so einmischen, dass sie beendet werden, denn wir wissen auch nicht, wie das in Libyen aufgenommen wird. Also ich finde, ohne die Beteiligung wenigstens eines islamischen Landes und die Unterstützung von islamischen Ländern, die politische Unterstützung von islamischen Ländern, halte ich auch eine Flugverbotszone für politisch außerordentlich riskant.

Degenhardt: Und wie ist das mit dem möglichen Einsatz von Bodentruppen? Auch darüber ist ja nachgedacht worden seitens des Westens.

Polenz: Ja, aber ich glaube, auch da stellt sich die Frage, wo sollen sie herkommen, wer will sie stellen, und auch hier ist die Voraussetzung ein Mandat der Vereinten Nationen. Das alles sehe ich im Augenblick nicht. Und deshalb bin ich auch gespannt, was der EU-Sondergipfel jetzt diese Woche beschließen wird.

Dort geht es bisher ja vor allen Dingen darum, wie man den Menschen helfen kann. Deutschland hat bei der Evakuierung von Flüchtlingen geholfen, ägyptische Flüchtlinge, internationale Flüchtlinge sind auch von Deutschland, von der Bundeswehr aus Libyen evakuiert worden. Das war eine wichtige Maßnahme, aber es wird auch weiter darum gehen, Flüchtlingen aus Libyen in den Nachbarländern zu helfen.

Aber es sagt sich sehr einfach, man muss da militärisch intervenieren – denken Sie an die Diskussion um die militärischen Interventionen, die stattgefunden haben, seinerzeit im Kosovo, anschließend in Afghanistan. Das weiß die Internationale Gemeinschaft auch, und deshalb ist sie zurückhaltend.

Degenhardt: Ich möchte noch auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen, Herr Polenz: Zwischen 2005 und 2009 hat Deutschland Libyen Rüstungsgüter im Gesamtwert von rund 83,5 Millionen Euro zukommen lassen, das geht aus dem Rüstungsexportbericht 2009 hervor, also Geländewagen, Hubschrauber, Kommunikationsausrüstungen für Machthaber Gaddafi. War diese Politik aus heutiger Sicht verantwortungslos?

Polenz: Sie war sicherlich nicht klug, und ich habe es immer für falsch gehalten, Gaddafi Waffen zu liefern, denn ich habe ihn immer für völlig unberechenbar gehalten. Ich habe nicht verstanden, weshalb, nachdem er sich vom Terrorismus losgesagt hatte – was ein begrüßenswerter Schritt war, aber ich war nie sicher, wie sehr man sich darauf verlassen kann –, dass er dann gleich auch mit Waffenlieferungen dafür belohnt worden ist, richtig ist. Wir haben jetzt die Waffenlieferungen gestoppt, endlich, und ich hoffe, dass man daraus auch für die Zukunft lernt.

Degenhardt: Man kann schon ein bisschen den Eindruck bekommen, dass unser wirtschaftlicher Erfolg, unsere Rohstoffsicherheit unter dem Strich doch wichtiger sind als die Bürgerrechte im ölreichen Libyen.

Polenz: Deutschland hat von Libyen Öl bezogen, Libyen liefert vor allen Dingen nach Europa Öl. Insofern ist die Frage, wie jetzt mit der Situation umgegangen wird, vor allen Dingen auch im europäischen Interesse. Die Amerikaner können sich eher hinstellen und sagen, also es liegt erstens nähe an Europa, wir haben keine vitalen eigenen Interessen dort, jetzt sollen die Europäer mal schauen. Es ist interessant, dass Frankreich sich im Hinblick auf die Vorbereitung einer Flugverbotszone offen gezeigt hat, möglicherweise auch Großbritannien. Wir werden sehen, wie die Diskussionen in Europa dazu weitergehen. Aber es ist außerordentlich schwierig, ich will darauf noch mal hinweisen, und ich halte es nicht für gut, wenn wir ohne die Unterstützung wenigstens einen islamischen Landes an eine solche Maßnahme gehen würden.

Degenhardt: Haben Sie denn schon entsprechende Signale von den Nachbarn Libyens empfangen, oder ist das jetzt mehr Wunschdenken?

Polenz: Nein, das ist aber politisch eine entscheidende Voraussetzung. Und ich sehe auch gar nicht ein, weshalb die Afrikanische Union die Arabische Liga – in beiden ist Libyen Mitglied – sich quasi international um diese Angelegenheit überhaupt nicht kümmern müssen. Ich weiß, dass beide Organisationen vergleichsweise schwach sind, aber es sind Länder dabei, die durchaus handlungsfähig wären und von denen man hier auch klare Positionierung erwarten könnte.

Also von daher – es ist nicht allein eine Aufgabe des Westens, sondern es ist eine Aufgabe der Internationalen Gemeinschaft insgesamt, sich hier um eine Lösung zu kümmern, und weil es politisch, glaube ich, schon sehr entscheidend ist, dass das Ganze nicht wie ein neokolonialer Akt aussieht oder wie ein, ja, allein Sichern von Ölinteressen, sondern dass es eine humanitäre Intervention wäre, das muss schon auf eine breite Basis gestellt werden.

Degenhardt: Sagt Ruprecht Polenz, der CDU-Politiker ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. Herr Polenz, vielen Dank für das Gespräch!

Polenz: Bitte schön!
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