Krieg gegen die Gewalt

Von Hannelore Heider · 12.10.2011
Der Choleriker Joseph findet Zuflucht bei der ganz und gar warmherzigen Hannah - und öffnet sich langsam auch sich selbst. Doch auch Hannah ist in einer Gewaltspirale gefangen. Regiedebütant Paddy Considine wurde für diese Liebes- und Überlebensgeschichte beim Sundance Festival mit Preisen überhäuft.
Es gibt nicht mehr viele Filme, die den Zugang für Zuschauer erst ab 16 Jahren erlauben. Das international mehrfach preisgekrönte Regiedebüt des britischen Schauspielers und Kurzfilmregisseurs Paddy Considine erzählt eine Tragödie und hat vom deutschen Verleih den Untertitel "Eine Liebesgeschichte" zugefügt bekommen, was so verständlich wie gerechtfertigt ist. Denn bei aller eruptiver Gewalt, der wir zusehen müssen, ist es die ergreifende Liebesgeschichte zweier Menschen, die in tiefster Zerstörung aufeinander treffen.

Joseph (Peter Mullan) erwehrt sich den Zumutungen seiner jämmerlichen Existenz in einem verwahrlosten Arbeiterviertel von Leeds mit Alkohol und Wutausbrüchen. Dass sich dahinter kein hirnloser Gewalttäter verbirgt, sondern ein zu Mitmenschlichkeit und Gerechtigkeitssinn fähiger Mensch, sieht man in den Beziehungen zu einem todkranken Freund und einem einsamen kleinen Jungen.

Es sind Ausgesetzte, für die es keine Hoffnung zu geben scheint und doch passiert sie Joseph. Er findet Zuflucht bei Hannah (Olivia Colman). In ihrem Second-Hand-Laden können Bedürftige einkaufen und Trost finden - wie Joseph, der durch ihre so vorurteils-, wie selbstlose Nächstenliebe Gesundung zu finden scheint. Dann sieht man, dass Hannah selbst ein Martyrium erleidet.

In diesem Film mit nur wenigen Dialogen kommt alles auf die Kraft der Darsteller an. Nicht nur der wie immer grandiose Peter Mullan, auch Olivia Colman können allein mit Gesten und Blicken die tiefen Verletzungen glaubwürdig machen und die große Hoffnung, die die beiden Menschen erfasst. Es gibt sie, die Momente der Erleichterung und des Glück, auch in dieser Umgebung.

Paddy Considines realistisch erzählter Film ist keine simple Sozialstudie des Lebens einer Unterschicht. Die Differenziertheit der Charaktere zielt weiter. Denn Demütigung und Gewalt dominieren auch Hannahs bürgerliche Ehe mit einem Mann (Eddie Marsan), der sein eigenes Ungenügen in abscheulicher Gewalt gegen das einzige Wesens abreagiert, dessen er habhaft werden kann.

Joseph und Hannah haben keine andere Chance, als dagegen in den Krieg zu ziehen. Dass das nicht gut ausgehen kann, fürchtet der Zuschauer. Aber auch unsere Furcht beim Zusehen gehört in diese schockierende Liebes-, und Überlebensgeschichte.

Kompromisslos in seiner humanistischen Intention, ergreifend gespielt und am Ende doch mit großer Hoffnung ist der Film ein Meisterwerk und wurde zurecht auf dem Filmfestival von Sundance mit dem Preis für den Besten Film, die Beste Regie und den Darstellerpreisen für Peter Mullan und Olivia Colman ausgezeichnet.

Großbritannien 2011. Originaltitel: Tyrannosaur. Regie: Paddy Considine. Darsteller: Peter Mullan, Olivia Colman, Eddie Marsan, Paul Popplewell, Ned Dennehy, Samuel Bottomley, Sally Carman. Ab 16 Jahren, 89 Minuten.

Filmhomepage "Tyrannosaur"