Kreuzgescheite Reise zu den Außenseitern

19.03.2007
Zum 100. Geburtstag von Hans Mayer gibt der Suhrkamp Verlag sein Buch "Außenseiter" neu heraus. Das brillant geschriebene, 500 Seiten starke Essay versteht sich als Geschichte der Ausgrenzung, beschrieben anhand von "Leitfiguren der Grenzüberschreitung".
Im Rückblick bezeichnete Hans Mayer den Hörsaal 40 der Leipziger Universität als jenen Ort, wo er ganz bei sich "selbst war". Solche Orte gab es im Leben des jüdischen Intellektuellen, der 1933 zunächst nach Frankreich, dann in die Schweiz emigrierte, nicht viele. Hans Mayer, der promovierte Jurist, der früh eine Leidenschaft für die Literatur entwickelte (er studierte neben Jura auch Philosophie, Geschichte und Literaturgeschichte), lehrte nach seiner Rückkehr aus dem Exil von 1948 bis 1963 Literaturwissenschaft an der Leipziger Alma mater.

Christa Wolf schrieb bei ihm ihre Diplomarbeit über Hans Fallada und Uwe Johnson, auch er studierte in Leipzig, wurde von Mayer gefördert. An der Seite von Ernst Bloch versuchte Hans Mayer in der DDR einen Traum zu verwirklichen und scheiterte mit der Umsetzung ebenso wie sein auf das Prinzip Hoffnung bauender Kollege.

Bloch ging 1961 in die Bundesrepublik, Mayer folgte ihm 1963 – Bloch erhielt einen Ruf nach Tübingen, Mayer wurde Professor für Literaturwissenschaft in Hannover. Beide wurden in der DDR zu Außenseitern, als sie nicht nachließen, für die Ideen der Aufklärung und des Marxismus einzutreten, die in der DDR zwar emphatisch proklamiert, aber nur halbherzig umgesetzt wurden.

Die Maxime Ernst Blochs: "Alles steht immer noch im Zeichen eines Nochnicht", wäre als Motto für Mayers 1975 erschienenes opus magnum "Außenseiter" geeignet gewesen, das der Suhrkamp Verlag zu seinem 100. Geburtstag am 19. März in einer Sonderausgabe herausgibt.

Darin geht Mayer – wie vor ihm bereits Adorno und Horkheimer in der "Dialektik der Aufklärung" (1947) – davon aus, dass die "bürgerliche Aufklärung gescheitert ist […], wenn man der Gleichheitspostulate gedenkt", die durchzusetzen sie sich auf die Fahnen geschrieben hatte. Das brillant geschriebene Buch – eigentlich ein fünfhundert Seiten langer Essay – gliedert sich in drei Kapitel (Judith und Dalila, Sodom, Shylock).

In diesen drei Teilen schreibt Mayer eine Geschichte von "Leitfiguren der Grenzüberschreitung", die allein durch ihre Geburt, und nicht erst durch die Entscheidung des Verstandes zu Außenseitern wurden. In "Judith und Dalila" entwickelt er die Geschichte von Frauen, denen der Gleichheitsstatus durch das Geschlecht versagt wird, in "Sodom" geht er den Diffamierungen der Homosexuellen nach, die durch ihre "körperlich-seelische Eigenart" ausgegrenzt wurden, und schließlich untersucht er in "Shylock", wie den Juden allein durch ihre "Abkunft" das Recht auf Emanzipation in der Geschichte verwehrt wurde.

Mayer erweist sich in diesem Buch als exzellenter Erzähler, der souverän mit seinem Stoff umzugehen versteht. Mit wohltuend leichter Hand entwirft er ein beeindruckendes Gemälde, in dem literarische Figuren, biblische Gestalten und Schriftsteller ihren Platz finden, die zu Außenseitern wurden. Fasziniert folgt man Mayer auf seinem Weg durch die Literatur- und Kunstgeschichte. Es ist eine immer noch staunend machende und zugleich nachdenklich stimmende Reise, die unter der Führung eines belesenen und kreuzgescheiten Autors zu den Außenseitern führt.

Rezensensiert von Michael Opitz

Hans Mayer: Außenseiter
Mit einem Nachwort von Doron Rabinovici
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007
527 Seiten, 15,00 Euro
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