Krebsforschung

Streit um das meistgenutzte Herbizid der Welt

Pestizide in der Landwirtschaft
Pestizide in der Landwirtschaft © Daniel Bockwoldt/dpa
Von Daniela Siebert · 04.08.2015
Es ist das meistverkaufte Unkrautvernichtungsmittel der Welt: Glyphosat. In mehr als 130 Ländern ist das Herbizid zugelassen. Seit Monaten aber tobt ein Streit: Ist es "wahrscheinlich krebserregend" oder "ohne krebserzeugendes Risiko"?
Jetzt endlich können Verbraucher und Wissenschaftler weltweit detailliert nachlesen, warum die Wissenschaftler, die das Herbizid im Auftrag der IARC zu bewerten hatten, es als "wahrscheinlich krebserzeugend für Menschen" einstufen. Im Gegensatz zu harmloseren Beurteilungen durch andere Experten, etwa beim JMPR, einem anderen WHO-Gremium zu Pestizidrückständen. Oder beim Bundesinstitut für Risikobewertung, BfR. Dort war auch Toxikologe Roland Solecki gespannt auf die IARC-Gründe:
"Auf den ersten Blick lässt sich erkennen, dass für die verschiedenen Prüfbereiche eine unterschiedliche Datenbasis vorgelegen hat. Wir wollen jetzt die Monografie analysieren, die nach wissenschaftlichen Kriterien bewerten und darauf freue ich mich und ich hoffe, dass die Unterstellungen, die ständig kommen, auch irgendwo einer sachlichen Diskussion jetzt weichen werden."
In der IARC-Abhandlung wird aus der Studienlage zu Glyphosat-Auswirkungen auf den Menschen ein eindeutiger Zusammenhang mit Non-Hodgkin-Lymphomen hergestellt: Das sind Erkrankungen der Lymphknoten, die sich auch auf die Blutbildung auswirken. Maßgeblich für diese Einschätzung sind Studien aus Kanada und den USA mit besonders vielen Probanden sowie Fallstudien aus Schweden.
Trend zu seltenen Krebserkrankungen bei Mäusen
In Tierversuchsstudien fanden die Wissenschaftler zusätzlich einen Trend zu teilweise sehr seltenen Krebserkrankungen, besonders bei männlichen Mäusen. Darüber hinaus hebt die IARC-Monografie erbgutverändernde Wirkungen von Glyphosat hervor und von Mixturen daraus, die sich etwa in Laborversuchen an menschlichen Zellen zeigten. Oder durch Chromosomenschäden bei Anwohnern nach Sprüheinsätzen per Flugzeug. Als weiteren kritischen Faktor betont IARC die Belastung von Zellen durch oxidativen Stress – also aggressiven Sauerstoff –, den mehrere Studien nachgewiesen hätten.
Peter Clausing vom Glyphosat-kritischen "Pestizid Aktions-Netzwerk" PAN fühlt sich hierdurch bestätigt, er kritisiert schon seit Längerem, das Bundesinstitut für Risikobewertung habe diesen Aspekt bislang vernachlässigt.
"Mein Gesamteindruck ist, dass die IARC-Monografie die wissenschaftlichen Publikationen wesentlich detaillierter bewertet hat, dass Effekte zum Vorschein kommen, die bei der zum Teil pauschalen Bewertung durch das BfR untergehen."
Mit Blick auf die Monografie urteilt er, das BfR habe wohl Krebseffekte in Mäusestudien übersehen. Roland Solecki weist das zurück. Genotoxische und mutagene Effekte etwa an Keimzellen werde sich das BfR nach den Hinweisen der IARC aber noch mal genauer anschauen, kündigte er an.
Gefährdetes Geschäftsmodell der Pestizidhersteller
Setzt sich die Sicht des IARC-Gremiums durch, könnte dies das Geschäftsmodell der großen Pestizidhersteller gefährden. Denn auch das stellt der Bericht klar: Glyphosat wird in über 20 Ländern dieser Welt hergestellt, darunter Deutschland, es ist in über 130 Ländern zugelassen und vermutlich das meistgenutzte Herbizid der Welt. Auf unsere Anfrage zur IARC-Analyse antwortet uns Marktführer Monsanto:
"Unsere Wissenschaftler und Toxikologen werden die Monografie analysieren. Wir bitten um Verständnis, dass eine fachliche Bewertung oder valide Kommentierung durch Monsanto erst nach eingehender Analyse der Monografie möglich ist."
Noch im April hatte Monsanto-Chef Hugh Grant die IARC-Expertise allerdings als "junk science" bezeichnet, also als Wissenschaftsmüll.
Wie die EU-Institutionen EFSA und EU-Kommission mit den neuen Erkenntnissen umgehen werden, ist derzeit noch offen. Fest steht, dass in der EU die Glyphosat-Zulassung Ende Dezember ausläuft. Eine Übergangslösung sei denkbar, heißt es aus der EU-Repräsentanz in Berlin. Auch die WHO hat eine Untersuchungsgruppe eingesetzt, die klären soll, warum die beiden WHO-Institutionen IARC und JMPR zu unterschiedlichen Bewertungen von Glyphosat gekommen sind. Die Ergebnisse sollen im September vorliegen, sagt BfR-Experte Roland Solecki, der den WHO-Untersuchungsausschuss leitet.
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