Kosslick: Berlinale von Wirtschaftskrise weitgehend unberührt

Dieter Kosslick im Gespräch mit Frank Meyer · 27.01.2009
Weniger Werbung und damit weniger Partys - das seien die eher geringen Auswirkungen der Finanzkrise auf die 59. Berliner Filmfestspiele, meint Festival-Chef Dieter Kosslick. Der Film "The International" von Tom Tykwer, mit dem das Filmfest am 5. Februar eröffnet wird, habe die Krise zum Thema. Ansonsten sollen die zehn Festivaltage vor allem Lust auf Kino machen, so Kosslick.
Frank Meyer: Die Wirtschaftskrise hat nun auch Hollywood erreicht. Dieter Kosslick, der Chef der Berliner Filmfestspiele, hat heute Mittag das Berlinale-Programm vorgestellt, und jetzt haben wir ihn in unseren Übertragungswagen geholt. Herr Kosslick, die letzte Berlinale 2008, die hat in einem deutlich anderen gesellschaftlichen Klima stattgefunden, die Finanzkrise war noch nicht ausgebrochen, die Weltwirtschaftskrise war noch nicht da. Die Krisenzeit, in der wir jetzt leben, wie sehr wird die denn die Berlinale prägen?

Dieter Kosslick: Na ja, wir werden direkt bei der Berlinale keine großen Auswirkungen haben außer denen, die in diesem Beitrag auch schon zu hören waren. Wir bekommen eigentlich eher diese strukturellen Veränderungen, die schon länger übrigens geplant waren von den großen Studios wie Paramount, zu spüren. Also da gibt es schon, sage ich mal, das eine oder andere im Markt, wo wir sehen, dass die eine oder andere Firma da nicht mehr auftaucht. Das wird aber das Große und Ganze der Berlinale jetzt nicht wirklich verändern.

Wo unsere Partner das merken, ist eigentlich eher bei der Werbung für die Berlinale, bei den großen Partys, diese Riesenveranstaltungen, die da stattgefunden haben, das wird etwas weniger werden. Wie viel weniger, weiß ich nicht, da muss ich bis nächste Woche warten. Ansonsten machen wir eine Berlinale, die sich eigentlich inhaltlich mit der Finanzkrise beschäftigt.

Meyer: Auf welche Weise, können Sie uns da Beispiele nennen?

Kosslick: Ja, das ist ja ganz interessant, oder alle werden sagen, wie ist denn das jetzt eigentlich möglich. Schon im Eröffnungsfilm "The International" geht es ja um nichts anderes als um internationale Bankengeschäfte und Bankengeschichten, wo man die Mechanismen sieht, auch die Verkopplung mit Politik und Verkopplung mit Ländern, die Umstürze planen, die Waffenindustrie und die Finanzierungsindustrie und so weiter und so fort. Also da muss ich mal sagen, Tom Tykwer hat ja einen Spielfilm geplant, der auf realen Fakten basiert. Das hätte ihm kein Mensch geglaubt noch vor drei, vier Monaten, jetzt hat die Realität Tom Tykwers "International" in einen Dokumentarfilm verwandelt, sodass wir wahrscheinlich dieses Jahr zum ersten Mal mit einem Dokumentarfilm eröffnen.

Meyer: Und Sie haben diesen Film an die Spitze der Berlinale gesetzt, auf den Eröffnungstermin auf jeden Fall. Letztes Jahr lief ja an dieser Stelle "Shine A Light" von Martin Scorsese, ein Film übers große Showbiz, über die Rolling Stones, dieses Jahr eben dieser Film über die Finanzkrise. Wollten Sie da auch ein Zeichen setzen damit?

Kosslick: Na ja, als wir ihn ausgewählt haben, war das ja noch nicht, da war das Zeichen eher Tom Tykwer, eine Riesenproduktion mit einem amerikanischen Studio zusammen, hier gedreht, zu großen Teilen auch in Berlin und in Deutschland. Mit all diesen Zutaten, mit Clive Owen als großem Star, mit Armin Müller-Stahl, das waren Zutaten, die für einen Eröffnungsfilm absolut geeignet sind. Und ich bin ja seit langem mit Tom Tykwer zugange, in meiner früheren Tätigkeit habe ich sehr viele Filme - nicht ich persönlich, aber die Filmstiftung Nordrhein-Westfalen -, Tom-Tykwer-Filme finanziert. Also ich kenne ihn. Vor acht Jahren hatte er schon mal einen Eröffnungsfilm bei der Berlinale. Also das, wie der Bayer sagen würde, passt scho.

Meyer: Die Berlinale, das darf man ja nicht vergessen, ist ja selbst ein Marktplatz für Filmrechte, es gibt den "European Film Market", es gibt den Markt für Drehbuchautoren. In den letzten Jahren sind diese Märkte immer größer geworden. Erwarten Sie nicht da auch Auswirkungen der Krise, in der wir leben?

Kosslick: Das Marktgeschehen ist für die Berlinale ein extrem wichtiger Punkt, und die Berlinale selbst, muss ich sagen, ist ja auch ein Marktfaktor, denn das Geld, die Euros, das bewegt sich ja in mehrstelliger Millionenhöhe, die durch die Berlinale in die Stadt fließen und ins Land fließen. Also das ganze Festival ist natürlich auch, sage ich mal, ein Bollwerk hoffentlich gegen die Finanzkrise.

Und wir versuchen nicht nur jetzt schlimme Sachen zu zeigen und schlimme Dinge zu präsentieren, sondern es geht auch lustig zu. Der "Pink Panther" wird am Schluss auch noch mal die Welt aufräumen, und viele andere werden es Humor retten. Es gibt sehr viele Filme mit Hoffnung, dass die Familie wieder stärker wird, die kleinen Zusammenhänge, die überschaubaren Zusammenhänge. Daraus ziehen die Leute Kraft.

Meyer: Ich sehe, Herr Kosslick, Sie wollen vorbauen, es wird kein düsteres, nur politisches Festival. Wir sind im Gespräch mit Dieter Kosslick, dem Chef der Berliner Filmfestspiele hier im Deutschlandradio Kultur. Heute hat er das Berlinale-Programm offiziell vorgestellt.

Ich muss trotzdem noch mal auf einen problematischen Punkt hinsteuern. Es scheint sich ein politischer Konflikt rund um die Berlinale anzubahnen an einem Punkt: Der Club iranischer und europäischer Filmemacher hat einen Protestbrief veröffentlicht, und da heißt es: Wir sind entsetzt, dass Sie einen Propagandafilm über den iranischen Präsidenten und Holocaust-Leugner Ahmadinedschad zeigen, der iranisch-kanadische Koproduktionsfilm "Letters to the President" versucht dem Publikum, einen verächtlichen Präsidenten als human und volksnah darzustellen. Was sagen Sie, Herr Kosslick, zu diesem Vorwurf?

Kosslick: Na ja, das kann man natürlich nur sagen, wenn man den Film nicht gesehen hat. Wenn man den Film gesehen hat, geht es ganz anders drum. Das ist natürlich ein Film, der, sage ich mal, die Medienmanipulationen aufdeckt, der die Mechanismen zeigt, wie so was gemacht wird. Es geht um einen Film, wo die Leute im Iran aufgefordert werden, dem Präsidenten Briefe zu schreiben, wie toll sie ihn finden. Und da können Sie sich ja vorstellen, wenn es darum ginge, würden wir den bestimmt nicht bei der Berlinale zeigen, da muss es ja um was anderes gehen. Und da geht es auch um was anderes.

Wir haben übrigens im Wettbewerb auch einen iranischen Film, und da geht es auch nicht um das Iran, gegen das jetzt hier demonstriert wird, sondern da geht es um eine andere Sicht auf ein Iran, was es auch gibt. Wir hatten letztes Jahr schon die Demonstrationen, und ich will den Protest wirklich nicht kleinmachen und ich verstehe den, aber den Protest gegen unsere Filme, die quasi das Anliegen dieser Leute, die hier demonstrieren, ja quasi auch mittragen in Solidarität, da muss ich mal sagen, da ich ja auch aus Köln komme, da ist halt schon Fasching, deshalb "Ayatollah Kosslick" wurde ja demonstriert hier heute, da meinten die bestimmt nur ein "toller Kosslick", das kann ich mir gar nicht anders vorstellen.

Meyer: Stichwort "toller Kosslick" ist auch gut. Ihr Vertrag als Berlinale-Chef wurde gerade verlängert bis 2013, angeblich wegen guter Führung, haben Sie selbst gesagt in einem Interview.

Kosslick: Was soll ich denn sonst sagen?

Meyer: Worin besteht denn Ihre gute Führung, Herr Kosslick!

Kosslick: Ich weiß nicht. Also auf diese Frage habe ich diese Antwort gegeben, weil mir jetzt auch nichts anderes einfiel. Aber ich denke, das war einvernehmlich, dass nicht nur ich, sondern mein ganzes Team, und das mit dem Publikum und den Leuten zusammen, dass das in den letzten Jahren eine gute Berlinale geworden ist, und man wollte diesen Weg weitergehen. Und deshalb ist, glaube ich, diese Vertragsverlängerung erfolgt, die übrigens schon ein Weilchen her ist, das hat man nur nicht so ganz mitbekommen. Ich hoffe, Sie sind persönlich nicht dagegen.

Meyer: Das bin ich nicht. Aber jetzt können Sie ja noch vier Jahre weiterdenken, eben bis 2013. Wo wollen Sie hin mit dieser Berlinale? Gibt es da so etwas wie eine "Vision Kosslick" für diese nächsten vier Jahre?

Kosslick: Ja, also eigentlich ist das, was wir jetzt gemacht haben, hat sich schon ziemlich realisiert mit dem Talent-Campus, dem Koproduktionsmarkt, auch dem kulinarischen Kino, dieses Jahr haben wir den Friedrichstadt-Palast, das Cinema Paris und ein ganz kleines Kino am Bundesplatz. Was ich eigentlich zeigen möchte mit - wie gesagt - mit meinem Team zusammen, dass wir die Berlinale wirklich noch mehr öffnen wollen für das Publikum und dass wir den Fokus darauf lenken möchten und das hoffentlich im nächsten Jahr, wenn die Berlinale 60 Jahre alt wird, beim Geburtstag, dass es wirklich wichtig ist, das Kino als Raum für Unterhaltung, aber auch als sozialen Raum, als architektonisches Werk zu erhalten, das ist ganz wichtig, sonst haben wir nämlich irgendwann mal nur noch Filme und kein Kino mehr.

Und ich denke, die Berlinale ist der beste Beweis, dass die Leute von ihren Sofas aufstehen, sich anziehen und sich eine Karte kaufen. 240.000 Leute haben das getan im vergangenen Jahr. Und den Leuten, die keine Karte bekommen haben, denen möchten wir jetzt noch mehr Möglichkeiten bieten, auf der Berlinale teilzunehmen. Das ist eigentlich die Vision, die wir jedes Jahr mit anderen Methoden versuchen zu erfüllen.

Und ansonsten muss die Berlinale nicht größer werden, also groß ist nicht ein Wert für sich, sondern sie soll den Leuten nach wie vor einfach Lust auf Kino machen, dafür sind die zehn Tage da. Und dafür war die Berlinale, seit sie es gegeben hat, da, und das führe ich einfach so fort, vielleicht mit ein paar neuen Methoden.

Meyer: In neun Tagen beginnen die Berliner Filmfestspiele 2009, die werden wir hier im Deutschlandradio Kultur intensiv begleiten, sicher auch immer wieder im Gespräch mit dem Berlinale-Chef Dieter Kosslick. Herr Kosslick, für heute vielen Dank!

Kosslick: Danke schön!