Kornblum: Russland braucht Perspektive für NATO-Beitritt

John Kornblum im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 23.12.2010
Der ehemalige US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum, hat anlässlich der Ratifizierung des START-Abrüstungsabkommens durch den US-Senat gefordert, Russland die Perspektive für einen NATO-Beitritt zu bieten. Die Entscheidung sei außerdem "ein großer Erfolg" für Präsident Obama.
Jörg Degenhardt: Sie haben es vielleicht schon in den Nachrichten gehört: Nach heftiger Debatte hat der US-Senat den START-Abrüstungsvertrag mit Russland ratifiziert. US-Präsident Barack Obama hat damit sein Ziel erreicht, das Abkommen noch in diesem Jahr durch den Kongress zu bekommen. Sein russischer Kollege Dimitri Medwedew begrüßte die Entscheidung, Kanzlerin Angela Merkel gratulierte. Dass Moskau jetzt auch Ja sagt, gilt unter politischen Beobachtern als ziemlich sicher. Das heißt, die USA und Russland fahren die Zahl ihrer strategischen Atomsprengköpfe auf 1550 runter und begrenzen dazu die Zahl der Trägersysteme auf 700. Zudem soll ein System zur gegenseitigen Überwachung der Waffenarsenale eingerichtet werden. Das klingt alles vielversprechend, geradezu historisch. Was ist das Papier wert, wenn es auch Russland ratifiziert hat?

Dazu jetzt Fragen an John Kornblum, er war bekanntlich viele Jahre Botschafter der Vereinigten Staaten in der Bundesrepublik Deutschland, ich darf ihn jetzt am Telefon begrüßen. Guten Morgen, Herr Kornblum!

John Kornblum: Guten Morgen!

Degenhardt: Natürlich war das gestern zuerst einmal auch ein guter Tag für Obama, aber was bedeutet das Papier für den Rest der Welt?

Kornblum: Das Papier ist sehr wichtig aus zwei Gründen: Die Vereinigten Staaten und Russland besitzen immer noch 90 Prozent der Nuklearwaffen auf der Welt, und wenn die beiden in einem Prozess sind, das abzubauen, ist es für alle wichtig. Die Ergebnisse sind auch nicht schlecht, die - zum Beispiel die Zahl 1550 Waffen, Sprengköpfe - ist zwei Drittel weniger als im START I und 30 Prozent weniger als in START II, der letzte START-Treaty. Aber noch viel wichtiger ist, dass man auch die 'delivery vehicles', wie man sagt, die Systeme, mit denen man die Waffen an ihr Ziel bringen könnte, auch erheblich reduziert. Aber ich glaube, am wichtigsten ist, dass der Prozess jetzt unterwegs ist. Der Präsident Obama hat als Ziel, wie Sie wissen, eine Welt ohne Nuklearwaffen. Um das zu erreichen, muss es einen Prozess geben, muss man immer weiter verhandeln. Und dieser ist ein erster, sehr wichtiger Schritt.

Degenhardt: Sie meinen also, wenn Russen und Amerikaner vorangehen, könnte das durchaus eine Vorbildwirkung für andere entfalten. Ist das nicht reines Wunschdenken, wenn ich an Länder denke wie Pakistan oder, um noch eins draufzusetzen, an Nordkorea?

Kornblum: Na, Wunschdenken ist es vielleicht nicht, aber schwierig ist es, und deshalb: Es ist sowieso schwierig, aber wenn die zwei Großen keine Fortschritte machen, dann ist es nicht schwierig, es ist unmöglich. Und der Druck, der kommt, wenn die großen Staaten reduzieren, ist natürlich sehr wichtig.

Degenhardt: Schauen wir speziell auf das Verhältnis zwischen Moskau und Washington: Kann man sagen, dass mit diesem neuen Abrüstungsvertrag die Zeit des Kalten Krieges zwischen diesen beiden ehemaligen Supermächten, von denen nur noch die USA übrig geblieben ist, dass die Zeit des Kalten Krieges jetzt endgültig vorbei ist?

Kornblum: Na ja, der Kalte Krieg war vor 20 Jahren vorbei, aber es ist wichtig, das so zu bezeichnen, weil was wir jetzt haben, ist kein Kalter Krieg, sondern eine sehr, sehr schwierige Umstellung Russlands auf die Welt nach dem Kalten Krieg. Und in den letzten acht Jahren waren die Beziehungen zwischen Amerika und Russland nicht gerade positiv. Aber Präsident Obama hat richtig, sehr viel Initiativen unternommen, nicht nur in Abrüstung, und ich … Aber Abrüstung ist so wichtig, dass wenn man jetzt diesen Vertrag ratifiziert, die Russen jetzt sind an der Reihe, dann wird man sagen: Man hat einen sehr wichtigen Schritt gemacht.

Degenhardt: Das heißt, dass die Waffen gefährlichster Art verschwinden, das ist das eine, dass es was nachzuholen gilt in Sachen Vertrauen zwischen Moskau und Washington, ist das andere.

Kornblum: Na ja, es gibt nachzuholen zwischen Russland und der Welt. Russland hat in den letzten zwei, drei Jahren nicht gerade sich sehr positiv verhalten, aber die Beziehungen zwischen Amerika und Russland sind immer sozusagen bezeichnend für die Rolle Russlands auf der Welt, und wenn die Amerikaner Russland zur Zusammenarbeit bringen können, dann ist es auch für Europa sehr, sehr positiv.

Degenhardt: Sollte man dann die Russen nicht gleich mit in die NATO integrieren?

Kornblum: Das kann man nicht. Man kann sie aber die Perspektive bieten. Ich bin seit 15 Jahren dafür gewesen, das habe ich schon in den 90er-Jahren vorgeschlagen. Ich finde, dass man Russland die Perspektive gibt, ist sogar sehr wichtig. Dass man sie sofort integrieren könnte, wäre natürlich nicht möglich, aber man muss Russland ein Zukunftsbild geben, und ich glaube, die NATO könnte dazu dienen.

Degenhardt: Werfen wir doch einen Blick nach Washington, sozusagen in die amerikanische Innenpolitik. Ist es aus Ihrer Sicht nicht bemerkenswert, dass auch etliche Republikaner diesem START-Abrüstungsvertrag zugestimmt haben? Das ist doch auch ein außenpolitischer beziehungsweise innenpolitischer Erfolg in dem Fall von Obama.

Kornblum: Ja, es ist ein großer Erfolg, und Sie haben recht, man muss ganz genau überlegen, welcher Strategie die Republikaner jetzt gefolgt sind. Erstens: Es gab eine Menge Republikaner, die einfach für den Vertrag waren, und jeder führende Militär, jeder führende Akademiker, jede - auch die Geschäftswelt – alle waren für den Vertrag. Es wäre sehr schwierig für die Republikaner, da zu stehen und zu sagen, sie haben es blockiert. Das ist Punkt eins.

Aber Punkt zwei: Nach ihrem großen Sieg im November im Abgeordnetenhaus ist es den Republikanern klar, dass wenn sie auch Fortschritte, wenn sie keine Fortschritte machen in den nächsten zwei Jahren, dann heißt der nächste Präsident ohne Frage Barack Obama. Das heißt, die Republikaner werden jetzt ein sehr schwieriges Spiel haben. Auf der einen Seite haben sie ihre Basis, die sehr, sehr, im Moment sehr verärgert ist und sehr überhaupt gegen Regierung ist. Auf der anderen Seite müssen sie auch Ergebnisse zeigen, und Obama sitzt in einer immer noch sehr starken Position.

Dieses START-Abkommen ist sehr wichtig, aber es ist nicht das Einzige. Obama hat eine Reihe von wichtigen Gesetzesvorhaben durchgebracht, und es ist interessant, wie die Republikaner, wie er und die Republikaner aufeinander gegangen sind. Ich glaube, beide wissen, dass wenn diese Blockade, die es in den letzten zwei Jahren gegeben hat, über die nächsten zwei Jahre geht, werden beide verlieren.

Degenhardt: Sagt John Kornblum, er war viele Jahre Botschafter der Vereinigten Staaten in Deutschland. Vielen Dank für das Gespräch!

Kornblum: Ich bedanke mich!

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