Konzerte in der Forschung

Der magische Moment

Der Dirigent Daniel Barenboim während eines Konzerts der Staatskapelle Berlin.
Der Dirigent Daniel Barenboim während eines Konzerts der Staatskapelle Berlin. © picture alliance / dpa / Rainer Jensen
Von Ludger Fittkau  · 28.01.2016
In Frankfurt fand eine Podiumsdikussion zum Thema "Das Konzert in der Forschung" statt. Dabei wurde über die Ästhetik des Formats und dessen verschiedenen Formen diskutiert. Landeskorrespondent Ludger Fittkau war vor Ort und hat an der Diskussion teilgenommen.
Es geht darum, zu verstehen, wie diese magischen Momente entstehen. Diese magischen Momente, in denen Musiker und Publikum miteinander verschmelzen, sich gegenseitig befeuern und den abgedunkelten Konzertsaal in einen auratischen Ort verwandeln. Warum ist das Live-Konzert im schon von Walter Benjamin trefflich beschriebenen, inzwischen seit fast anderthalb Jahrhunderten andauernden Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit von Kunst immer noch so faszinierend?
Zu dieser Frage forscht die Musikwissenschaftlerin Jutta Toelle am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main. Sie berichtete gestern Musikliebhabern in der Alten Oper darüber, dass sie für eine Studie junge Musiker der Frankfurter Ensemble-Modern-Akademie danach gefragt hatte, wann sie während eines Konzerts wussten – das ist ein magischer Moment. Jutta Toelle fasste die Antworten zusammen:
"Gelassenheit während des Spiels, dass man weiß, man ist gut vorbereitet und es läuft, einfach Erleichterung nach dem Spiel. Komplizenschaft mit den Mitspielern, ein richtiges Ensemble-Gefühl, eine intensive Kommunikation. Viel gute Energie, es hat sehr viel Spaß gemacht. Einer sagte: Ich glaube, das Publikum hat es gefühlt diesen magic moment, das war merkbar an der Stille und diesem Augenblick, in dem der Applaus einsetzt. Sie kennen das alle, diesen Augenblick, wo man denkt – ssst, jetzt schon klatschen oder ne, noch kurz warten oder wer klatscht jetzt zuerst? Oder können wir das jetzt schon zerstören diesen tolle Stimmung."
Für Lea Fink, Musikvermittlern der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, sind solche magischen Momente bewusst herstellbar:
"Ja, auf jeden Fall. Darum geht es ja jeden Abend. Und da gehört das Publikum genauso dazu wie die Musiker. Das ist eine völlig zweiseitige Beziehung. Es geht um den Austausch. Und auf der Bühne spürt man, wie reagiert wird. Genauso wie sie spüren, wenn sie irgendjemand in der U-Bahn einfach nicht mögen. Und Musiker sind auf der Bühne in einem sehr verletzlichen Moment und sie sind sehr sensibel und sie entblößen sich vollkommen. (...) Ich meine, manchmal hat man einfach keinen guten Tag, sowohl zum Zuhören als auch nicht zum Musikmachen. Kann alles passieren. Aber manchmal kommt es zusammen ... "
... und dann ist er also da, der so ersehnte magische Moment!
Kritik an der Regungslosigkeit
Melanie Wald-Fuhrmann versuchte es gestern auf dem Podium in der Alten Oper in Frankfurt am Main mit leiser Kritik an der Regungslosigkeit, mit der heutzutage das Publikum klassischer Konzerte das Ereignis aufnimmt. Das sei ja zu Zeiten, in denen Mozart oder Haydn komponiert haben, völlig anders gewesen, so die Musikwissenschaftlerin und Direktorin des Max-Planck-Instituts für Empirische Ästhetik:
"Denn sie kennen alle gerade Solokonzerte aus der Virtuosen-Periode, das ist das Finale des ersten Satzes so gearbeitet, dass man quasi als normale körperliche Reaktion Klatschen möchte und wir verkneifen es uns alle. Aber als die komponiert wurden, wollte der Komponist genau das. Und ich denke manchmal, wir bräuchten nicht nur historische Aufführungspraxis, sondern auch historische Publikums-Verhaltenspraxis. Also Haydn ist jemand, der komponiert ständig Überraschungen und wusste, sein Publikum weiß das. Und Mozart auch. Und die rechnen mit Zwischenapplaus, Macht heute kein Mensch mehr."
Neuen Livemusik-Formate wie Wandelkonzerte, bei denen sich das Publikum zwischen einzelnen Darbietungen bewegt oder auch wechselnde Lichtinstallationen, mit denen etwa auch jüngeres Konzertpublikum angesprochen wird – derartige Inszenierungen stießen gestern auf dem Podium auch auf Skepsis. Gerd Reul, ehemaliger Geschäftsführer der Konzertdirektion "Pro Arte" sieht solche Angebote lediglich als Zusatz zum tradierten Konzertgenuss:
"Ich würde es insbesondere als Ergänzung sehen für Kinder und Jugendliche. Um sie an das heranzuführen. Da scheint mir doch einiges im Argen zu liegen, wenn ich mir ansehe, wieviel Musikunterricht heute in den Schulen gegeben wird, zumindest im Regelfall. In den Familien wird kaum noch irgendwas ersetzt davon. Und dort über neue Darbietungsformen nachzudenken und die anzubieten, das ist mit Sicherheit der richtige Platz. Aber ich weiß nicht, ob wir hetzt hier in der Alten Oper jetzt Wandelkonzerte einführen sollten?"
Platz wäre jedenfalls in dem wunderbaren Gebäude mehr als genug vorhanden. Selbst alte, lange nicht benutzte Lautsprecherkabel auf dem Platz vor der Alten Oper soll es noch geben. Doch dort drängen sich die Bankentürme heran. Ob die magische Momente im Freien noch zulassen oder jede Aura des einmaligen Augenblicks zerstören? Man müsste es einfach ausprobieren. Ein Konzertveranstalter, der das mal wieder wagt, hätte einen Zwischenapplaus verdient.
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