Konsequent-radikaler Pessimist

02.06.2008
Wie steht Michael Haneke zum Vorwurf, er wolle gegen die Konsumierbarkeit unserer gewalttätigen Bilderkultur Einspruch einlegen, mache die Zuschauer jedoch zu Komplizen seiner eigenen Gewaltfaszination? Hanekes Antworten auf die Fragen von Thomas Assheuer enthüllen sein skeptisches Menschenbild.
Der deutsch-österreichische Autor und Filmregisseur Michael Haneke macht derzeit mit "Funny Games" von sich reden. Ein amerikanisches Remake dieses 1997 mit Ulrich Mühe und Susanne Lothar gedrehten Films ist in die Kinos gekommen, vor allem: Michael Haneke hat als erster Europäer die Neufassung für den englischsprachigen Markt selbst in die Hand genommen. Die Geschichte einer Familie, die von zwei undurchdringlich bösartigen, scheinbar unschuldig sadistischen Teenagern drangsaliert und am Ende fast ausgelöscht wird, ist mit den Thriller-Stars Naomi Watts und Tim Roth eins zu eins noch einmal verfilmt worden.

Was treibt einen Filmemacher um, sein Werk zu recyclen? Was fasziniert den strengen Moralisten Haneke am Sezieren brutaler Verhaltensmuster in der Wohlstands- und Mediengesellschaft? Der einstige Fernsehspielregisseur hat sich mit einer Reihe von scheinbar unspektakulären, allmählich zu äußerster Gewalt eskalierenden Filmen einen Namen gemacht.

"Bennys Video" gilt als Lehrstück über den brutalisierenden Einfluss der Medien auf Jugendliche, die Elfriede-Jelinek-Adaption "Die Klavierspielerin" als Lektion eines psychopathologischen Geschlechterkampfs, "Caché" als Psychogramm eines Mannes, der eine kindliche Schuld verdrängt.

In einem ausführlichen Gespräch versucht der Hamburger Journalist und Kritiker Thomas Assheuer, der Weltsicht und Medienphilosophie von Michael Haneke auf den Grund zu gehen. Das handliche kleine Buch ist wie andere Künstlergespräche der Reihe "Nahaufnahme" des Alexander Verlags eine kompakte Einführung in die Filmografie und Arbeitsweise des Regisseurs. Unabhängig von der Zeitnot und dem Erklärungsdruck typischer Interviews, die zum Start eines Films veröffentlicht werden, entfalten Thomas Assheuers vorsichtig einfühlende Fragen den philosophischen Kosmos, in dem sich der in Wien lebende Autorenfilmer bewegt.

Ausgehend von den ersten prägnanten Kinoerfahrungen beschreibt der heute 66-jährige Haneke seinen künstlerischen Werdegang bei dem noch nicht vom Quotendenken infizierten Südwestfunk der sechziger und siebziger Jahre. Erst spät, von gelegentlichen Theaterarbeiten unterbrochen, gelang ihm die kontinuierliche Entwicklung seiner Themen und seiner strengen Bildästhetik im Film.

Thomas Assheuers Fragen helfen, solche Selbsterklärungen aus der Regiepraxis heraus plausibel zu machen. Deutlich wird im Verlauf des Gesprächs, dass Haneke sich mit seiner paradoxen Stellung als Filmkünstler auseinandersetzt: der Gewalt der Konsumgesellschaft, deren destruktive Filmkultur auch der Ort seiner Werke ist, will er durch "unerbittliche Genauigkeit" mit unangenehmen Wahrheiten konfrontieren.

Kritik am manchmal didaktischen Filmverständnis Hanekes übt sein Gesprächspartner nicht, wohl aber fordert er den Filmemacher heraus, zu den heiklen Punkten seiner Ästhetik Stellung zu nehmen. Wie steht Michael Haneke zu dem Vorwurf, er wolle gegen die Konsumierbarkeit unserer gewalttätigen Bilderkultur Einspruch einlegen, mache die Zuschauer jedoch unverhohlen zu voyeuristischen Komplizen seiner eigenen Gewaltfaszination?

Hanekes Antworten enthüllen sein grundsätzlich skeptisches Menschenbild, das um dessen schuldhaftes Wesen und zerstörerische Asozialität kreist. Kunst, entlockt Thomas Assheuer dem Regisseur in seinem geduldigen Fragespiel, versteht sich für ihn nur als "Trauerspiel". Nur die Musik bietet utopische Fluchtpunkte gegen die "Unbehaustheit". Die Nahaufnahme dieses Buches führt mit Erkenntnisgewinn in den konsequent radikalen Pessimismus von Michael Haneke ein.

Rezensiert von Claudia Lenssen

Thomas Assheuer: Nahaufnahme Michael Haneke, Gespräche mit Thomas Assheuer
Alexander Verlag, Berlin 2008,
184 Seiten, 12,90 Euro
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