Konken: "Überwachungsstaat wird gesetzlich zementiert"

Moderation: Birgit Kolkmann · 06.11.2007
Der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes (DJV), Michael Konken, hat das Gesetzesvorhaben zur Überwachung der Telekommunikation als einen massiven Angriff auf die Grundrechte bezeichnet. Die Regierung nutze die Terrorgefahr als vorgeschobene Begründung, um in die Rechte der Bürger einzugreifen, sagte Konken.
Birgit Kolkmann: Welches Berufsgeheimnis ist höher einzuschätzen, das des Arztes oder des Abgeordneten, das des Rechtsanwalts oder des strafverteidigenden Rechtsanwalts, das des Journalisten oder das des Seelsorgers? Wo das Rechtsempfinden des Laien spontan gar keinen Unterschied zu sehen vermag, will der Gesetzgeber künftig aber doch einen machen. Absoluter Schutz vor staatlichen Überwachungsmaßnahmen bei Abgeordneten, Strafverteidigern oder Seelsorgern. Bei den anderen Berufsgruppen soll das nach den Plänen der Bundesregierung anders werden. Ärzte, Journalisten und Rechtsanwälte fühlen sich nun als Berufsgeheimnisträger zweiter Klasse und appellieren gemeinsam an die Bundestagsabgeordneten, die Neuregelungen zur Telekommunikationsüberwachung und zur Vorratsdatenspeicherung am Freitag so nicht zu verabschieden.
Heute gibt es einen bundesweiten Aktionstag dazu und wir sprechen mit dem Vorsitzenden des Deutschen Journalistenverbandes Michael Konken. Schönen guten Morgen!

Michael Konken: Schönen guten Morgen!

Kolkmann: Herr Konken, ist diese Gesetzesnovelle für Sie ein Angriff auf die Grundrechte?

Konken: Das ist ein massiver Angriff auf die Grundrechte, denn wir haben lange für das Zeugnisverweigerungsrecht und den Informantenschutz gekämpft, weil der Artikel 5 (die Pressefreiheit) ein glaube ich sehr hohes Grundrecht in Deutschland ist. Insofern ist das schon ein massiver Eingriff jetzt, weil wir doch befürchten, hier wird ein Grundrecht abgeschafft. Journalisten werden künftig nicht mehr frei und unabhängig mit Informanten sprechen können. Man muss immer wieder befürchten, dass abgehört wird oder dass Daten gespeichert werden.

Kolkmann: Was befürchten Sie da konkret und vor allen Dingen an Auswirkungen für den recherchierenden Journalismus, vor allem für den investigativen, also den nachforschenden und aufdeckenden?

Konken: Ja. Ich befürchte natürlich, dass überhaupt Recherche schwierig wird, weil jeder Informant künftig überlegen wird, ob er sich an einen Journalisten wenden wird, und diese Informanten brauchen wir. Das sind natürlich auch Informanten, die aus Behörden kommen, die uns Tipps geben, wo mit öffentlichen Geldern nicht ordnungsgemäß umgegangen wurde, und da haben wir ja mehrere Beispiele in den vergangenen Jahren gehabt, wo dann über solche Informanten auch die Medien anfingen zu berichten und diese Skandale aufdeckten. Da gehen wir mal davon aus, gerade mit solchen Maßnahmen soll so etwas künftig auch verhindert werden. So wird jeder natürlich vorher genau überlegen, ob er mit einem Journalisten in Verbindung tritt. Was bleibt ist höchst wahrscheinlich die Parkbank, wo man sich dann inspirativ und konspirativ trifft.

Kolkmann: Ich dachte auch gerade schon spontan an den toten Briefkasten irgendwo am Baum. Aber Spaß bei Seite. Schon jetzt ist es ja möglich oder werden Handy-Gespräche aufgezeichnet, werden die Rufnummernlisten gespeichert, auch für längere Zeit. Die E-Mail-Verkehre können natürlich auch nachvollzogen werden. Was ist die neue Qualität?

Konken: Die neue Qualität ist, dass jetzt sechs Monate die Daten gespeichert werden. Die neue Qualität wird natürlich auch bei der Telekommunikationsüberwachung sein, dass die Ermittlungsbehörden onlinemäßig reingehen können. Die neue Qualität ist natürlich auch ein Zwei-Klassen-System. Sie haben es gerade schon gesagt. Es werden Abgeordnete und Strafverteidiger geschützt, also ein Schutz erster Klasse, während Journalisten und andere in die zweite Reihe rücken. Das widerspricht auch meiner Meinung nach voll den grundgesetzlichen Anforderungen. Das haben damals auch die Väter des Grundgesetzes nicht gewollt. Sie wollten die Pressefreiheit schützen und sie wollten uns Journalisten schützen und auch die Informanten schützen, dass hier ungehindert gearbeitet werden kann. Von einem unterschiedlichen Schutz war damals nie die Rede und war auch in den vergangenen Jahren nicht die Rede.

Kolkmann: Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, der sich jetzt auch an dem Aktionstag engagiert, sagt, die Aufzeichnung der Daten stellt die bisher größte Gefahr für unser Recht auf ein furchtloses, selbst bestimmtes und privates Leben dar. Das klingt schon sehr nach Überwachungsstaat. – Hätten wir den dann oder haben wir den schon?

Konken: Wir haben ihn dann, weil ich habe gerade vor drei Tagen mit einer jungen Frau gesprochen, die dann sagte "das ist doch gar nicht so schlimm". Dann habe ich gesagt "aber überlegen sie doch mal. Ihre SMS, die sie mit ihrem Freund austauschen, die werden irgendwo sechs Monate gespeichert". Erst dann ist ihr bewusst geworden, was hier überhaupt passiert. Das wieder auf den Journalismus bezogen: alles was kommunikativ im Journalismus läuft, kann künftig von den Ermittlungsbehörden eingesehen werden. Dieser Hinweis, dass man dann sagt, wir entscheiden dann auch später nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, ob wir solche Daten dann auch uns anschauen und ob die dann wirklich unter dem Geheimnisappell stehen, das halte ich für ebenso überhaupt nicht durchführbar, denn das haben wir in der Vergangenheit gemerkt. Beispiel die Untersuchung bei der Dresdener Morgenpost. Da gab es einen Tippgeber, der einfach nur einen Tipp gegeben hat, es findet morgen eine Hausdurchsuchung statt bei einem Wirtschaftsminister. Das reichte schon aus, um die ganzen Telefonleitungen dann zu überprüfen. Das ist keine Verhältnismäßigkeit. Es ist auch bekannt, dass mittlerweile 70 Prozent aller richterlichen Anordnungen formale Kriterien nicht erfüllen. Daran sieht man: hier wird Tür und Tor geöffnet, um Ermittlungsbehörden Möglichkeiten zu geben, Daten nachzuprüfen.

Kolkmann: Der ARD-Vorsitzende Fritz Raff sagt – die ARD ist mit in dem Medienbündnis beteiligt -, man kann Freiheit nicht schützen, indem man Grundrechte abschafft. Auf der anderen Seite ist die Bundesregierung gehalten, diesen Staat, dieses Land vor terroristischen Angriffen zu schützen. Befindet sich die Bundesregierung da in einem Dilemma?

Konken: Ich habe gestern Abend noch lange mit Fritz Raff darüber gesprochen, weil wir uns gestern Abend getroffen haben. Ich glaube hier geht es auch um vorgeschobene Gründe. Es ist immer alles richtig, wenn es um Terrorismusbekämpfung geht. Dann nimmt man das als Begründung dafür, wieder in die Grundrechte einzugreifen. Professionelle Terroristen – und die wissen mittlerweile, was da abgehört wird – suchen mittlerweile und werden künftig andere Kommunikationswege suchen. Insofern bleibt dann den Ermittlungsbehörden dort sowieso nicht der Zugriff. Die sind clever genug, um das anders zu machen. Das sind vorgeschobene Gründe. Das haben wir auch in der Vergangenheit immer wieder erlebt.

Kolkmann: Wir sprechen jetzt über die Ausnahmen für die sogenannten Berufsgeheimnisträger. Der ganz normale Bürger muss das sowieso alles schlucken oder?

Konken: Der Bürger muss es sowieso schlucken. Da gab es auch in der Vergangenheit nicht das große Aufbegehren. Die, die sich dagegen gewehrt haben, waren eben die, die davon direkt im Beruf betroffen werden, aber der normale Bürger kann sich da kaum noch wehren. Und ich bin auch sicher, dass in der Vergangenheit schon mehr abgehört wurde und mehr gesichert wurde als wir alle wissen. Insofern war das, was bekannt wurde, immer nur die Spitze des Eisberges. Wir haben eigentlich schon den Überwachungsstaat und der wird jetzt eigentlich noch mal ein bisschen gesetzlich fundamentiert.

Kolkmann: Sie erinnern sich sicher noch an die Debatte über die Volkszählung Anfang der 80er Jahre. Das war eine Riesen Aufregung. Im Vergleich zu dem was jetzt passiert war das glaube ich Peanuts. Was hat sich denn verändert in unserem Land, dass das so ist?

Konken: Ich glaube wir sind nicht mehr so richtig kritikfähig in Deutschland. Ich erinnere mich noch gerne an diese Volkszählung, wie man wirklich massiv dagegen vorging und sie ja auch wirklich eingeschränkt und fast zum Kippen gebracht hat und nachher wirklich nur noch ein Mindestmaß an Daten abgefragt wurde. Heute nimmt man alles hin, was hier in die Rechte der Menschen eingreift. Heute wehrt man sich nicht dagegen. Vielleicht ist das schon eine falsche Einstellung zum Staat. Hier fehlt glaube ich auch die Verantwortung der Menschen, mit dem Staat anders umzugehen, sich selbst als Staat zu sehen und vor allem auch für die Rechte zu kämpfen. Ich weiß nicht, ob man vielleicht kein politisches Verständnis mehr hat oder das nicht mehr aufbringen will, oder ob vielleicht Politik und Staat den Menschen hier schon egal sind. Anders kann ich das im Moment aber auch nicht bewerten, weil mich wundert, dass bei einem solchen krassen massiven Eingriff in die Grundrechte der Menschen die Menschen einfach ruhig bleiben und es vielleicht den Medien überlassen, darüber zu berichten, aber nicht auf die Straße gehen. Das hat mich schon verwundert in den vergangenen Wochen.