Kongress "Vorsicht Volksbühne"

"Da hat Kulturpolitik versagt"

Berlin Mitte, Theater Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz/Rosa-Luxemburg-Straße Berlin, Außenansicht von der Luxemburgerstrasse direkt Ansicht des Gebäudes *** Berlin centre Theatre Volksbühne at Pink Luxembourg square Pink Luxembourg Road Berlin
Berlin Mitte Theater Volksbühne am Rosa Luxemburg Platz Rosa Luxemburg Straße Berlin © imago stock&people / Jürgen Ritter
Ulrich Khuon im Gespräch mit Ute Welty · 15.06.2018
Ulrich Khuon, Präsident des Deutschen Bühnenvereins, sieht die Verantwortung für die Misere der Berliner Volksbühne bei der Kulturpolitik. Beim Kongress "Vorsicht Volksbühne" wird jetzt über die Zukunft des Hauses diskutiert.
Ute Welty: Mehr als 25 Jahre lang war die Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz eines der einflussreichsten Schauspielhäuser im deutschen Sprachraum. Und die Volksbühne steht da, wo Berlin zusammengewachsen ist und wo die kulturellen Reibungen zwischen Ost und West nach wie vor genauso polarisieren wie verbinden.
Nach der Ära Castorf erlebt die Volksbühne stürmische Zeiten, und wie die Zukunft aussieht, das weiß niemand zurzeit so ganz genau. "Vorsicht Volksbühne!" ist der Titel eines zweitägigen Kongresses, der heute und morgen von der Berliner Akademie der Künste veranstaltet wird, zusammen mit dem Deutschen Bühnenverein. Dessen Präsident ist Ulrich Khuon.

"Gucken, wie man die Volksbühne langfristig aufstellt"

Welty: Warum müssen Sie und ich uns vor der Volksbühne in Acht nehmen, was ist daran so gefährlich, dass es eine Warnung braucht wie eben "Vorsicht Volksbühne!"?
Khuon: Man könnte sagen, Kunst ist ja immer gefährlich, aber das wäre jetzt zu beliebig und zu belanglos. Im Fall der Volksbühne haben wir einfach eine schwierige Situation, die gewachsen ist in den letzten Jahren – zunächst mal die Nichtverlängerung von Castorf und dann die neue Entscheidung mit Chris Dercon. Und dann hat das nicht funktioniert. Es gab auch riesige Querelen und Auseinandersetzungen. Schlussendlich hat nun seine eigene Arbeit aus vielen Gründen nicht funktioniert.
Ulrich Khuon, Intendant des Deutschen Theaters Berlin. 
Ulrich Khuon, Intendant des Deutschen Theaters in Berlin© Klaus Dyba
Jetzt gibt es eine Übergangslösung, die ich ganz zielführend finde, mit Herrn Dörr, und gleichzeitig muss man gucken, wie man die Volksbühne längerfristig aufstellt. Das ist in Anbetracht der Geschichte, der Kämpfe, des Mythos, der jetzt im Grunde schon auch im Abschied ein Jahr lang besungen, beweint und umkämpft wurde, nicht ganz einfach.
Welty: Inwieweit ist das Schicksal der Volksbühne vielleicht sogar symptomatisch für Theater überhaupt im 21. Jahrhundert? Weil sonst könnte man ja sagen, pfff, Berliner Problem halt.
Khuon: Ich finde es gerade umgekehrt, ehrlich gesagt. Sagen wir mal so, es gab mal die Schiller-Theater-Schließung, und viele haben gesagt, ja, das ist jetzt vielleicht symptomatisch für die Situation der Theater. Umgekehrt war's. Es ist kaum ein anderes Theater geschlossen worden, trotz einer schwierigen Situation gerade im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung. Und ich würde auch bei der Volksbühne sagen, das ist ja das, was mich ja eher stört, wenn man sagen würde, das ist ein Symptom für das Ganze.
Ich finde, da hat Kulturpolitik versagt – in vielen anderen Städten versagt sie ja eben nicht –, wir sehen aber, welchen Einfluss Kulturpolitik hat. Oft wird ja so getan, die haben ja keinen Spielraum, was sollen sie denn überhaupt machen, oder eigentlich spürt man die gar nicht, man sieht die gar nicht.

"Der Untergang ist interessanter als das Gelingen"

Die Kulturpolitik in Berlin hat unter anderem die Staatsoper neu besetzt, da schreit keiner jetzt, wie toll das ist, dass es gut funktioniert. Die sind umgezogen, wieder zurück, die haben einen neuen Intendanten, das wird nirgends diskutiert. Es ist eigentlich erstaunlich, dass alles, was gelingt, in keiner Weise reflektiert wird, und dass dann der Fall, wo Kulturpolitik Fehler gemacht hat – auch das muss übrigens passieren können –, ist halt tragisch, dass es in so einem wichtigen Kontext wie bei der Volksbühne passiert. Da wird es dann oft gleich zum Menetekel erklärt.
Also, ich würde sagen, das ist ein ganz konkreter Fall, in dem einiges falsch gemacht wurde, und das ist das Gegenteil – also ist meine These – von dem, was an vielen anderen Theatern und in anderen Städten passiert.
Welty: Aber als Intendant des Deutschen Theaters, der Sie ja auch sind, wissen Sie doch ganz genau, dass der Untergang sich viel schöner inszenieren lässt als alles andere.
Khuon: Ja, da haben Sie recht, deswegen überrascht es mich auch nicht, dass das alles so breit ist. Es gibt ja Zeitungen… die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" zum Beispiel, die schreibt überhaupt nicht mehr über Theater, aber die Volksbühne wird natürlich breitest diskutiert und analysiert. Das ist auch alles okay so, und Sie haben natürlich recht, der Untergang ist viel interessanter als das Gelingen, das hat schon Tolstoi gewusst, also das Misslingen ist natürlich spannender – wir lernen aus den Krisen viel mehr als aus dem Gelingen.
 Intendant Frank Castorf (M) verabschiedet sich am 01.07.2017 in Berlin nach seiner letzten Vorstellung von "Baumeister Solness" (Ibsen) mit den Schauspielern auf der Bühne der Volksbühne.
"Einen Castorf schickt man nicht weg", sagt Ulrich Khuon.© picture alliance/dpa/Foto: Paul Zinken
Ich finde das auch alles kein Problem, ich würde nur sagen, es ist kein Beispiel dafür, wie es in den anderen Theatern aussieht. Das ist eigentlich die einzige These. Und ansonsten finde ich es natürlich richtig, aus den Fehlern zu lernen, jetzt so einen Kongress zu machen und zu überlegen, wie kann man jetzt vernünftige Lösungen und auch gute Lösungen finden. Das ist ja alles jetzt nicht so einfach. Aber in der Tat, es ist kein Problem, dass man das durchleuchtet und beleuchtet und analysiert, die anderen Zusammenhänge.
Das kann wunderbar nebeneinander bestehen, für die Volksbühne müssen wir es jetzt rauskriegen, was im Ensemble der anderen Häuser jetzt eine interessante Perspektive wäre. Das hat dann mit möglichen Personen zu tun, aber auch mit einer grundsätzlichen Ausrichtung. Vielleicht lässt sich sogar eine Mischform denken, das muss ja alles nicht so die reine Lehre sein.
Also, da sind viele Möglichkeiten denkbar, und ich finde, gerade im Kontext der anderen Häuser lassen sich auch aufgelöstere Formen denken, allerdings müsste man die Struktur dann ändern, und das wird ja jetzt auch eine Diskussion sein. Man hat ja im Grunde über eine Struktur hinweg … ist da über die hinweggegangen, dann sitzen da 250 Mitarbeiter, die man teilweise oder in großen Teilen gar nicht mehr braucht. Das war ja das Haupt… oder neben dem künstlerischen Misslingen war das ein Hauptproblem der Ära Chris Dercon.

"Richtig, das breit zu diskutieren"

Welty: Das heißt, Sie wollen welche Struktur in Zukunft?
Khuon: Nee, ich sag ja, wenn man ein anderes Theater will, müsste man die Struktur ändern, und man kann nicht sagen, ich mach ein anderes Theater, aber mit derselben Struktur, also mit Menschen, die für Kostüm zuständig sind, die für Bühnenbild, die täglich die Bühne umbauen können und so weiter. Ich will gar nichts. Es geht auch gar nicht drum, was ich will, das wurde jetzt auch gelernt langsam …
Welty: Herr Khuon, das glaube ich Ihnen nicht, dass Sie gar nichts wollen.
Khuon: Das ist so, das ist so. Erstens finde ich es wahnsinnig schwierig, jetzt und damals übrigens auch schon – ich hätte damals Castorf verlängert –, um es mal ganz simpel zu sagen, man schickt Castorf nicht weg, ganz blöd gesagt. Man hat in Hamburg zum Beispiel den 80-[76-]jährigen John Neumeier gerade verlängert. Da kann man auch drüber diskutieren, aber die haben im Grunde den Eindruck gewonnen, John Neumeier, der muss das selber entscheiden. Und irgendwo sehe ich das für Berlin... sah ich das damals so ähnlich. Der war wahnsinnig erfolgreich, der hatte zwischendrin auch schwierigere Phasen, aber dann waren die wahnsinnig erfolgreich. Sie haben eine super Arbeit gemacht, und da hätte ich gesagt, das muss der jetzt selber sehen.
Es gibt sicher Punkte, wo man dann auch selber mal eine Setzung machen muss – siehe Claus Peymann, der hätte wahrscheinlich noch mal fünf Jahre gemacht. Das ist schon richtig, da dann auch mal mit jemandem zu reden und zu sagen, das war eine gute Zeit, eine wichtige Zeit... Aber im Falle Castorf hätte ich es ein bisschen anders gesehen. Im Moment ist aber eine neue Situation, und die finde ich in der Tat sehr, sehr schwierig. Und ich bin heilfroh, dass ich nicht derjenige bin, der da Kulturpolitik machen muss. Deswegen ist es auch richtig, das jetzt relativ breit zu diskutieren, viele anzuhören, und dann muss der Kultursenator gucken, wo er hingeht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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